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Kernkraftwerk Leibstadt
Löchrig wie ein Schweizer Käse

Das Schweizer AKW Leibstadt befindet sich unmittelbar an der Grenze zum baden-württembergischen Landkreis Waldshut-Tiengen. Nicht nur die Eidgenossen, sondern auch die deutsche Nachbarschaft ist besorgt über die Sicherheitsstandards. Zuletzt entdeckt: Löcher in der Reaktorhülle.

Von Thomas Wagner | 08.08.2014
    Das schweizerische Kernkraftwerk Leibstadt nebst Kühlturm
    Bereit im Jahr 2008 hatten Arbeiter sechs Löcher in den Sicherheitsbehälter gebohrt - um Feuerlöscher aufzuhängen. (picture alliance / dpa - Patrick Seeger)
    Jörg Gantzer, Erster Landesbeamter im Landkreis Waldshut, wollte seinen Ohren nicht so recht trauen.
    "Es war für mich erschreckend, dass mein Kollege, der Justiziar, mit der Meldung hereinkam: Im Kernkraftwerk wurden Löcher durchs Primärcontainment gebohrt, immerhin 3,8 Zentimeter tief. Und ich habe das erst für einen Scherz gehalten."
    Die Meldung war allerdings kein Scherz, sondern bitterer Ernst: Im benachbarten Schweizer Kernkraftwerk Leibstadt, gerade mal drei Kilometer vom Landratsamt entfernt, waren tatsächlich sechs Löcher gebohrt worden - und das vor sechs Jahren. Das bestätigten nun sowohl Sprecher des Kernkraftwerkes als auch des Eidgenössischen Nuklear-Sicherheitsinspektorates der Schweiz, kurz ENSI. Offenbar hatten bereits im Jahr 2008 Arbeiter bei der Installation neuer Feuerlöschgeräte ausgerechnet Löcher in den Sicherheitsbehälter des Reaktorgebäudes gebohrt. Kaum auszudenken, so Jörg Gantzer vom Landratsamt Waldshut, wenn es in dieser Zeit einen Störfall mit einem Druckanstieg im Reaktor gegeben hätte.
    "Hätte es in diesen Jahren einen echten Störfall in Leibstadt gegeben und wäre es zum Druckanstieg gekommen, dann vermute ich mal, dass dann Druck durch diese Bohrlöcher ausgetreten wäre, dass es dann diese Feuerlöscher weggehauen hätte und dass dann quasi unter Umständen Radioaktivität ausgetreten wäre."
    "Ein unglaublicher Vorgang"
    Jörg Gantzer vom Landratsamt Waldshut hat für all dies nur einen einzigen Satz übrig:
    "Es ist ein unglaublicher Vorgang, das jemand auf die Idee kommt, die Stahlhülle des Primärcontainments anzubohren."
    Nach Angaben des ENSI ist in all den Jahren, seit dem die Löcher gebohrt wurden, aber keine Radioaktivität entwichen. Und sofort, nachdem die Löcher entdeckt wurden, sann der Kraftwerksbetreiber auf Abhilfe. Andrea Portmann, Sprecherin des Kernkraftwerkes Leibstadt:
    "Es sieht so aus, dass die Löcher abgedichtet wurden und die Behörden auch bestätigt haben, dass die Arbeiten zu ihrer Zufriedenheit ausgeführt worden sind."
    Also: Löcher im Kernkraftwerk wieder zugeschweißt. Ende gut, alles gut? Keineswegs. Denn völlig ungeklärt ist bislang, weshalb die Löcher trotz ständiger Sicherheitsüberprüfungen gleich über sechs Jahre unbemerkt blieben - Sicherheitsüberprüfungen, die nach Ansicht von Jörg Gantzer vom Landratsamt Waldshut keine Sicherheit garantieren.
    "Da kommen jetzt schon Zweifel auf. Und es zeigt uns, dass wir hier mit einem erheblichen Sicherheitsrisiko leben und eigentlich auf Landkreis politisch Vorstöße zu unternehmen auf Bundes- und auf Landesebene. Aber man kann im Grunde genommen eine Katastrophe nicht ausschließen."
    In der Schweizer Nachbarschaft jedenfalls wollen die Verantwortlichen ausschließen, dass ein Vorgang wie die unbemerkten Löcher noch mal passiert. Andrea Portmann, Sprecherin des Kernkraftwerkes Leibstadt:
    "Es ist so, dass wir vertieft jetzt auch analysieren, warum das zu diesem Ereignis kommen konnte und warum das so lange gedauert hatte, bis das entdeckt wurde. Das ist jetzt einfach noch zu früh, zu sagen, welche Konsequenzen das hat und wo überall ein Fehler passiert werden könnte."
    Die Schweiz hat keine festen AKW-Abschaltzeiten
    Doch welche Maßnahmen das Kernkraftwerk Leibstadt konkret ergreifen will, um einen ähnlichen Zwischenfall zu verhindern, ist noch nicht bekannt. Das wiederum trägt zu einiger Beunruhigung auf deutscher Seite des Hochrheins bei.
    "Das haben sie doch vertuschen wollen. Da ist doch irgendetwas faul"
    "Das ist ja nur ein Vorfall von vielen. Das ist ja nicht das einzige. Da passiert ja fortlaufend was."
    "Das ist Pfusch, Nachlässigkeit, dass das nicht vorher aufgefallen ist."
    Und so erfüllt viele der Anblick des benachbarten Kernkraftwerkes Leibstadt mit Unbehagen. Das wird auch noch eine Weile lang anhalten. Zwar hat die Schweiz ebenso wie Deutschland im Grundsatz den Atomausstieg beschlossen, allerdings, so Jörg Gantzer vom Landratsamt Waldshut, mit einem ganz wesentlichen Unterschied:
    "Die Schweiz kennt keine festen Abschaltzeiten wie wir. Das ist natürlich auch ein wenig unbefriedigend. Man weiß nicht, wann das aus dem Netz geht: so 2040, 2050 frühestens, würde ich sagen."