Donnerstag, 18. April 2024

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Kerstin Faber vs. Axel Brüggemann
Ist das Dorf abgehängt?

Zeitschriften wie "Landlust" feiern die Idylle, ein Magazin namens "Landflucht" gibt es noch nicht, aber auch das läge im Trend: Die Jugend zieht weg, der letzte Laden macht zu. Das Dorf ist am Ende, sagt der Publizist Axel Brüggemann. Es bewegt sich viel, hält die Urbanistin Kerstin Faber dagegen.

Moderation: Christiane Florin | 13.01.2018
Kleinstadt-Idylle in Sachsen-Anhalt
Wohin steuert das Leben auf dem Dorf? (dpa / Jens Wolf)
Axel Brüggemann, Journalist und Autor des Buches "Landfrust":
Axel Brüggemann, Journalist und Autor des Buches "Landfrust"
Axel Brüggemann, Journalist und Autor des Buches "Landfrust" (privat)
"Ja, das Dorf ist wirklich abgehängt, schon seit Jahren. Die Kneipen sind zu, die Kirchen werden fusioniert, die Sportvereine schließen. Die Menschen fliehen vom Land, jeder, der noch wegkommen kann, versucht wegzukommen. Wer dableibt, für den wird es schwer, etwas Neues aufzubauen. Es ist nicht mehr so - wie in einem Lied besungen -, dass die schönsten Blumen auf dem Land wachsen. Denn da haben wir hauptsächlich Monokulturen. Es ist wichtig zu sagen: Das Land ist abgehängt, gerade damit die Debatte in Gang kommt. Es gibt auf dem Land viele Menschen, die Eigeninitiative zeigen. Wir dürfen diese Menschen, die kreativ sind, um ihre Heimat zu schützen, nicht allein lassen. Wir müssen sie entweder fördern, ihnen zuhören oder ihnen die Wahrheit sagen: Wir schließen eure Region, fertig, Punkt, aus."
Kerstin Faber, Urbanistin, Projektleiterin der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen:
Kerstin Faber, Urbanistin, Projektleiterin der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen
Kerstin Faber, Urbanistin, Projektleiterin der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen (privat)
"Ja und nein. Wir verändern uns von einer Agrargesellschaft zu einer Industriedienstleistungsgesellschaft seit 200 Jahren. Das hat sehr starke Auswirkungen auf den ländlich peripheren Raum. Er steht unter einem großen Anpassungsdruck, weil sich dort die Lebensstile insoweit geändert haben, dass die Menschen, die im ländlichen Raum leben, gar nichts mehr mit dieser traditionsreichen Agrarkultur zu tun haben. Es arbeiten nur noch zwei Prozent der Bevölkerung in diesem Bereich, um 1800 waren das 90 Prozent, um 1900 40 Prozent. Gleichzeitig haben wir mit der Digitalisierung auch eine Veränderung der Ausbildung und der Bildung. Das bedeutet, dass junge Menschen abwandern und auch nicht zurückkommen.
Nein antworte ich aber, weil ich es nicht pauschalisieren will. Es gibt Dörfer und Kleinstädte, die wunderbar prosperieren, vor allem in der Nähe größerer Metropolregionen sind. Nein sage ich, weil es nicht "den" ländlichen Raum gibt und eher die Kleinstädte ein Problem haben als die Dörfer. Nein sage ich, weil wir in unserer Arbeit beobachten, dass es sehr viele Innovationen auf dem Land gibt. Es gibt dort Hidden Champions, Weltmarktführer, wir schauen zu oft mit einem großstädtischen Blick auf die ländlichen Räume.