
Verwesentlichung von Alltagswahrnehmung durch Materialwechsel – so nüchtern könnte man die bildhauerische Strategie Rita McBrides beschreiben. Ein immer wiederkehrendes Stilmittel der 55-jährigen US-Amerikanerin ist die Verfremdung von Design-Klassikern, wie jenes berühmten Toyota-Sportwagens, den McBride schon 1990 während eines Stipendiums in Berlin aus Rattangestänge nachbilden ließ.
Gerade weil man sie wiedererkennt in ihrer angedeuteten Funktionalität, wirken McBrides Objekte so befremdlich, erscheinen sie mehr als Traumgebilde denn als tatsächliche Dinge. Ein Hauch des Surreal-Unheimlichen durchweht die Hallen der Kestnergesellschaft - auch wenn Christina Végh als Kuratorin alles unternimmt, diese Werkschau möglichst nüchtern auszuleuchten und McBrides Werk eher in die Nachfolge der Sozialen Plastik von Joseph Beuys zu rücken. Das Düsseldorfer Erbe verpflichtet. Am Ende sind McBrides Arbeiten vieldeutig genug, um auch unterschiedlichen Deutungen standzuhalten.
Ihre großen, abstrakten Stahlschablonen etwa, die sie gern im Außenraum platziert und durch die man hier aus dem Innenraum zumindest auf die verregnete Hannoveraner Innenstadt blicken kann, lassen die Umgebung zugleich ausschnitthaft, aber auch nach dem Schlüsselloch-Prinzip intensiver wahrnehmen. Zugleich erscheinen diese Schablonen aber auch wie Werkstücke einer unbekannten, riesigen Maschine. Modelle von gewöhnlichen Parkhäusern goss McBride zu Bronzeskulpturen, jenes Material, mit dem Henry Moore einst die abstrakte Moderne kunsthistorisch zu verewigen suchte. Bei McBride erscheinen hingegen alltägliche Architekturen, die Verhaltensnormen vorgeben und abbilden, in einen überzeitlichen Zusammenhang entrückt und werden dadurch plötzlich sakral - und wenn es bloß verdammte Parkhäuser sind.
Skulptur und die Funktion wechselweise zum Vorschein bringen
Ein unsichtbares Netz sozialer Handlungen, von halbbewusster Kollektivität, durchwebt das Werk McBrides und auch die beiden wichtigsten Schaustücke in dieser Ausstellung. Das eine ist die "Arena" von 1997, eine Großskulptur, die zugleich auch eine funktionale Treppenstruktur aus Holz und Polymerfasern ist, auf der man sich wie auf einer aufsteigenden Theatertribüne niederlassen kann. Scharniere und Riegel aus Stahl machen sie zugleich zu einer leicht zusammenklappbaren, transportablen Installation. Sie tourt folgerichtig seit Jahren durch Museen und Galerien der Welt. In der Kuppelhalle der Kestnergesellschaft wird nun eine eigene Veranstaltungsreihe in der "Arena" stattfinden. Doch McBrides Hauptabsicht ist eigentlich, wechselweise die Skulptur und die Funktion zum Vorschein zu bringen. Ist die Arena mit Menschen besetzt, verschwindet das Kunstwerk und bietet einer temporären Gesellschaft Raum. Sind keine Menschen in der Arena, steht sie verlassen da, wie ein der Zeit enthobenes, abstraktes Raumgebilde.
Ganz ähnlich ist es mit einer nebenan von McBride installierten "Service Station", einer Art Tankstellen-Installation auf Stahlstützen. Sie gibt dem Saal eine banale funktionale Strenge, scheint aber weder Gebrauchsobjekt noch Kunst zu sein. Elektrokästen verschiedener Größen assistieren als ironische Symbole für die Verkaufsleiter-Hierarchien im Einzelhandel. So überschreiten McBrides Arbeiten jeden Kunstkontext. Anders als die Readymades von Marcel Duchamp spielen sie nicht mit der Tautologie eines banalen Gegenstandes, der demonstrativ zu "Kunst" erklärt wird. Sondern ihre Arbeiten verwandeln Kunst in ein Vexierspiel, in etwas Unsicheres, von dem man nie genau weiß, was es jetzt eigentlich ist: Banal? Unheimlich? Oder nur ein Fantasieprodukt des Betrachters?
Schon lange, seit den 80er-Jahren, verfolgt Rita McBride ihren entgrenzten Begriff von Bildhauerei, bei dem der Betrachter immer auch Teil des Werkprozesses ist - eine jüngere Generation bedient sich dessen wie selbstverständlich als künstlerische Strategie. Erstaunlich genug, dass diese Werkschau in Hannover tatsächlich die erste in Deutschland sein soll. Fast wirkt sie dadurch schon heute museal.