Archiv


Ketten und Ringe

Chemie. - Für die Griechen war Wasser ein Element. Sie ordneten ihm als geometrische Form den Ikosaeder zu. Das ist ein aus 20 regelmäßigen Dreiecken zusammengesetzter Körper. Heute wissen die Wissenschaftler, dass die drei Atome des Wassermoleküls aneinander hängen und eher wie ein "v" gebogen sind. Und daraus formen sich dann größere Strukturen, bei Eis sind über 12 verschiedene bekannt. Zu was für einer Form sich jedoch flüssiges Wasser fügt, ist umstritten. Denn es ändert ständig seine Geometrie und entzieht sich so der Untersuchung. Mit einer neuen Methode wollen Wasserforscher in Berlin nun Klarheit schaffen.

Von Michael Fuhs |
    Der Elektronenspeicherring Bessy in Berlin-Adlershof ist untergebracht in einem großen runden Gebäude mit etwa 125 Metern Durchmesser.

    Hier drüben sieht man die großen Betonklötze, Betonwände, und dahinter befindet sich der Elektronenring. Den können wir nicht sehen, er läuft auch gerade. Im Speichering sind Elektronen und die strahlen natürlich ständig Energie, Strahlung ab.

    Philippe Wernet richtet diese so genannte weiche Röntgenstrahlung auf flüssiges Wasser. Dessen chemische Struktur ist wohlbekannt: H2O, zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom. Aber in dieser reinen Form kommen die Moleküle nur im Wasserdampf vor. In der Flüssigkeit ziehen sie sich über so genannte Wasserstoffbrücken an und verbinden sich zu größeren Netzwerken. Wie genau die aussehen und wie sie von Verunreinigungen und Salzen beeinflusst werden, das untersucht der Forscher mit seinen Kollegen aus Amerika und Schweden. Sie variieren die Energie ihres Röntgenstrahls und beobachten, wie viel davon ein Wassertropfen aufnimmt.

    Ein Molekül kann maximal vier Bindungen eingehen. Im Eis ist das der Fall. Bisher herrschte die Meinung, dass sich die Moleküle in flüssigem Wasser stärker bewegen - die Bindungen also ständig gebrochen und neu geformt werden -, dass aber im Mittel 3,5 Wasserstoffbrückenbindungen für jedes Molekül intakt sind. Und wir sagen, es gibt im Mittel für jedes Molekül zwei Wasserstoffbrückenbindungen - eine an der Wasserstoffseite und eine an der Sauerstoffseite. Und wenn man das fortsetzt, ist die direkte Schlussfolgerung, dass es in flüssigem Wasser Ketten und ringförmige Strukturen geben muss.

    Diese Meinung wird nicht von allen Experten geteilt. Doch Philippe Wernet ist davon überzeugt, dass sein neues Wassermodell auch die anderen, älteren Messungen gut erklären kann. Wie er machen die meisten Forscher Momentaufnahmen der Wassermoleküle, als ob die Bewegung zu einem bestimmten Zeitpunkt eingefroren wäre. Erik Nibbering vom Berliner Max-Born-Institut untersucht dagegen die Dynamik der Moleküle. Er regt sie in seinen Experimenten mit kurzen Infrarotlichtpulsen zu Schwingungen an und beobachtet, wie sie sich dann ändern:

    Mit unseren Methoden schauen wir die Moleküle auf eine mehr indirekte Art an. Aber wir haben mit unseren Techniken den großen Vorteil, dass wir auch die Änderungen in der Zeit verfolgen können. Man kann das nicht so erklären, dass man eine statische Situation hat, dass das Wasser zwei Bindungen hat oder vier. Das ist so: ein bestimmtes Molekül kann mal vierfach verbunden sein mit benachbarten Wassermolekülen, aber wenn man eine Picosekunde weiter schaut - eine Picosekunde ist ein Millionenstel vom Millionenstel einer Sekunde -, dann kann es plötzlich nur mit zwei Wassermolekülen verbrückt sein.

    Ob zwei oder vier Bindungen, in den letzten Jahren ist Bewegung in die Wasserforschung gekommen - auch weil die Bedeutung für die Biologie erkannt wurde. Wenn Proteine zusammen gebaut werden, liegen sie erst einmal in langen Ketten vor, die sich dann zu ihrer dreidimensionalen Struktur zusammen falten.

    Das ist wichtig, denn sonst können Proteine nicht das machen, was sie sollen. Und da spielt Wasser auch eine sehr wichtige Rolle. Wenn man ein anderes Lösungsmittel nehmen würde, dann hat man nämlich diese Proteine nicht so aufgefaltet wie sie normalerweise auffalten in Wasser.

    Die Ergebnisse Bochumer Wissenschaftler deuten darauf hin, dass die Art, wie sich sein Modellprotein faltet, direkt mit der Struktur des Wassers korreliert. In kaltem Wasser ist das Protein ungefaltet. Wird es wärmer, formt es sich zum dreidimensionalen Gebilde. Oberhalb von 60 Grad denaturiert es. Und gleichzeitig ändert das Wasser seine Eigenschaften. Die natürliche Umgebung für Proteine ist allerdings nicht das sterile Wasser aus dem Bochumer Computer oder im Labor von Bessy, sondern die Flüssigkeit in lebenden Zellen. Wie sich die Wassergeometrie durch die darin gelösten Salze verändert, steht deshalb als nächstes auf dem Forschungsplan.