Freitag, 19. April 2024

Archiv


Kicken mit Kopftuch

Rund 400.000 muslimische Mädchen leben in Deutschland, die meisten haben türkische Wurzeln. In Sportvereinen aber sind sie kaum vertreten. Laut einer Studie der Technischen Universität Dortmund ist von den 15-jährigen Türkinnen nur jede fünfte Mitglied in einem Sportklub. Kann die Fußball-WM einen Wandel auslösen?

Von Ronny Blaschke | 10.07.2011
    Das Willy-Kressmann-Stadion in Kreuzberg, Fußballerinnen aus acht Ländern tragen ein Turnier aus, der Titel: "Discover Football", entdecke den Fußball. Unter den Zuschauern sind auch Pädagogen und Sportwissenschaftler. Das Thema Integration im Sport und durch Sport wird immer wichtiger, nicht nur in Berlin.

    Am Spielfeldrand steht Ulf Gebken aus Oldenburg, der wie kaum ein anderer die Integrationspolitik der Sportverbände beurteilen kann. Gebken hatte nicht viel für Fußball übrig gehabt, bis ihn seine Tochter Ende der neunziger Jahre begeistern konnte:

    "In Oldenburg hatten wie keinen Mädchenfußballverein für sie. Und dann hat sie mich als Sportlehrer weichgeklopft, mit ihr in der Schule eine AG aufzumachen, mit ihren Freundinnen zusammen. Und ich war überrascht: es kamen die türkisch-, arabisch-, russischstämmigen Mädchen und spielten mit. Und ich hatte ja vorher schon einige Vorträge gehalten zur Frage, wie kommt man an Mädchen mit Migrationshintergrund heran - und festgestellt: ich weiß es nicht. Und plötzlich, das war 1999, waren die da und kickten mit."

    Während einer Vortragsreise 2006 lernt der Sportdidaktiker Gebken den DFB-Präsidenten kennen. Theo Zwanziger bittet ihn um ein Konzept. Gebken startet sein Projekt in Niedersachsen, doch in den Vereinen und Verbänden an der Basis stößt er auf Widerstand. So sucht er Kontakt zu den Schulen, die muslimische Mädchen in der Regel zum ersten Mal mit Sport in Verbindung bringen:

    "Wir fragen immer Schulleitungen: Na, wie viele von Ihren Kindern sind in Sportvereinen, und dann kommt immer: von 400 eine Handvoll. Ja, und dann sagen wir der Schulleitung, komm, mit dem Verein von nebenan machen wir eine Mädchenfußball-AG. Und die Schulleitung reagiert dann in der Regel immer damit: Also, wissen sie, wir haben zehn Projekte an dieser Schule. Und wir bevor wir uns auf ein neues Projekt einlassen, müssen sie uns erstmal überzeugen. Wir sagen ja immer: das wichtigste ist das Spiel, ist der Wettkampf, ist das Turnier, gegen und mit anderen Schulen. Und wenn sie hinkriegen, dass die Eltern dort sind und merken: Meine Tochter schießt da das entscheidende Tor. Dann kriegen sie auch eine emotionale Bindung der Eltern an diesen Sport."

    Bei einer anderen Sportart haben Lehrer große Probleme als im Fußball: Immer wieder verbieten Muslime ihren Töchtern das Schwimmen. Sie fürchten, dass Bewegungen und Kleidung der Mädchen zu aufreizend sein könnten. In Kreuzberg hat nur jedes vierte Kind zu Hause schwimmen gelernt, im Berliner Durchschnitt jedes zweite. An den Schulen in Kreuzberg bleibt ein Viertel Nichtschwimmer, im bürgerlichen Zehlendorf sind es dagegen nur fünf Prozent. An vielen Schulen schicken Lehrer muslimische Schülerinnen zum Frauenschwimmen, wo sie mit Radlerhose und T-Shirt ins Wasser dürfen. Wissenschaftler Ulf Gebken hat sich viel mit Glaubensfragen beschäftigt, auch mit dem Kopftuch. Er appelliert vor allem an die Eltern:

    "Wir haben inzwischen ganz gut Mütter-Töchter Turniere auch. Also wo die Mütter eingeladen werden zum Fußballspielen mit den Töchtern. Und dann merken sie, die haben da so einen Spaß dran, die freuen sich so drüber, das kann ich nicht verbieten. Weil die Mädchen erobern den Bolzplatz mit, zeigen sich mit den Jungs und das verändert dieses Rollenklischee und auch die Emanzipationsbestrebungen gewaltig."

    8000 Mädchen hat Ulf Gebken von der Universität Oldenburg inzwischen mit seinen Projekten erreicht. Studien beweisen, dass körperliche Betätigung die Kommunikation und den Zusammenhalt fördert - unabhängig von ihrer Herkunft. Das Selbstbewusstsein, das Migrantinnen im Fußball oder im Turnen gewinnen, übertragen sie auf den Mathematik- oder Biologieunterricht.

    Das Konzept, das Ulf Gebken entworfen hat, wird in einigen Regionen weiterentwickelt. Zum Beispiel in der Hauptstadt. Dort hat der Berliner Fußball-Verband als erster der 21 Landesverbände eine hauptamtliche Stelle für Integration geschaffen. Die in Berlin geborene Breschkai Ferhad, die Wurzeln in Afghanistan hat, pflegt eine intensive Zusammenarbeit mit dem Türkischen Bund. Eine Kooperation mit einer Migrantenselbstorganisation hatte es im Amateurfußball noch nicht gegeben. Breschkai Ferhad knüpft seit Monaten ein Netzwerk mit Partnern außerhalb des Fußballs:

    "Was uns auch ganz wichtig ist, nicht nur in den Sport zu bringen, das heißt also auch auf den Platz, sondern eben auch in die Strukturen, in die ehrenamtlichen Strukturen, vielleicht des Verbandes, aber auch vor allem der Vereine. Weil ich glaube, dass da ein riesiges Potenzial ist."

    In der Türkei sind nur zwei Prozent der Menschen in Sportvereinen organisiert. In Deutschland sind es 34 Prozent. Viele Einwanderer fühlen sich im hiesigen Breitensport fremd, durch Sprachprobleme und Anmeldebürokratie. Ulf Gebken, Breschkai Ferhad und die Vertreter ihrer Projekte führen besorgte Väter durch Duschkabinen oder Umkleidetrakte. Sie verweisen auf den freundlichen Hausmeister und die Straßenbeleuchtung des Heimweges. Oder sie fahren die Spielerinnen selbst nach Hause. Vor Trainingslagern werden Bedingungen besprochen: Alkoholverbot, Mahlzeiten ohne Schweinefleisch, getrennte Schlafräume. Breschkai Ferhad will zudem die Strukturen multikulturell erweitern, sie berichtet von Müttern während eines Jugendturniers:

    "Die saßen alle da, haben ihre Kinder hingebracht, haben zugeguckt, manchmal draußen gestanden, eine geraucht und gewartet, dass der Tag zu Ende geht und sie ihre Kinder wieder einsammeln können. Vielleicht ist da auch eine Rechtsanwaltsgehilfin, eine Rechtsanwältin oder eine Steuerfachangestellte, die dann eben im Verein auch ganz andere Aufgaben übernehmen könnte. Und ich glaube, dass das auch von den Vereinen noch viel zu wenig genutzt wird."

    68 Prozent der türkischstämmigen Jungen im Alter von 15 Jahren treiben Sport in einem deutschen Verein, bei den Mädchen sind es nur 20 Prozent. Vor vier Jahren schickte ein Schiedsrichter eine muslimische Kickerin wegen ihres Kopftuchs vom Platz. Nur langsam entstehen Sport-Angebote für Musliminnen. Auch Sportartikelhersteller stellen inzwischen moderne, sichere Kopftücher her. DFB-Chef Zwanziger bringt es auf den Punkt: Kein Mädchen solle dem Fußball verloren gehen, nur, weil es ein Kopftuch trägt.