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Kiel
Junge Frauen halten Polizei in Atem

Für die Sicherheit am Kieler Hauptbahnhof ist die Bundespolizei zuständig. Doch seit einigen Wochen hat sie selbst ein Sicherheitsproblem: Streifenwagen werden beschädigt, Reifen zerstochen, Fensterscheiben zerstört oder Parolen gemalt. Dahinter steckt eine Gruppe junger Menschen, die der Polizei bekannt ist – es sind allesamt Frauen.

Von Johannes Kulms | 21.10.2016
    Der Kieler Hauptbahnhof.
    Am Kieler Hauptbahnhof treibt sich eine Gruppe junger Frauen herum - und hat die Bundespolizei im Visier. (imago/Werner Otto)
    Der Parkplatz für die Einsatzwagen der Bundespolizei liegt nur ein paar Schritte entfernt von den Gleisen des Kieler Hauptbahnhofs. Doch die Fläche ist an diesem Vormittag ziemlich verwaist – gerade mal ein Streifenwagen steht dort, wo doch eigentlich ein halbes Dutzend Platz hätte.
    In den letzten Wochen sind die Fahrzeuge immer wieder ins Visier genommen worden – von einer Gruppe junger Frauen zwischen 13 und 16 Jahren. Mal zerstachen sie die Reifen, mal zerkratzen sie die Scheiben – oder schlugen sie ein. Und sie beschmierten die Polizeiwagen mit Lackfarbe, hinterließen Parolen die – vorsichtig gesagt – nicht gerade schmeichelhaft ausfallen für die Beamten.
    Die Bundespolizei äußert sich derzeit zu dem Thema gegenüber Medien nicht – und verweist auf die Kieler Staatsanwaltschaft, die inzwischen die Ermittlungen übernommen hat. Deren Sprecher Axel Bieler sagt: Die Taten haben etwas Außergewöhnliches. "Wir wissen zwar, dass einige der jungen Frauen auch schon anders strafrechtlich in Erscheinung getreten sind, jedoch innerhalb dieser kurzen Zeit immer wieder zum Nachteil der Bundespolizei. Das ist zumindest hinsichtlich der Vorfälle etwas Besonderes."
    Im Fokus stehen vier Mädchen
    Sagt Axel Bieler, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Kiel. Von einer "Mädchengang" oder "Mädchenbande" könne aber keine Rede sein. Denn es gebe nach derzeitigen Kenntnissen keine führende Persönlichkeit in der Gruppe.
    Im Fokus stehen vier Mädchen – das jüngste 13, das älteste 16 Jahre jung. Eine besondere Altersgruppe was mögliche Sanktionen angeht – aber auch das Tatmotiv. Auf einem der beschmierten Streifenwagen hatten die jungen Frauen die Parole "ACAB" hinterlassen - die Buchstabenkombination gilt als Abkürzung für "All Cops are Bastards".
    Bei der Durchsuchung einer 16-Jährigen wurde Ende September zudem eine Liste gefunden. Darauf notiert waren Punkte wie "Bullenauto klauen und schrotten". Oder "einbrechen, klauen und Widerstand leisten".
    Ein besonderer Hass auf die Polizei, eine Art neuer Gruppierung gegen die Staatsgewalt? Nein, sagt Oberstaatsanwalt Bieler: "Also, da sind wir mit unseren Erkenntnissen noch nicht völlig durch. Wir können aber politisch motivierte Taten gänzlich ausschließen."
    Die Taten könnten durchaus ein Hilfeschrei sein
    Ja, es gehe hier um Beleidigung und Sachbeschädigung. Aber all das rechtfertige eben keine massiven strafprozessualen Maßnahmen, sagt Bieler. Gefordert seien stattdessen Jugendhilfemaßnahmen um die Teenager zu stabilisieren und weitere Straftaten zu verhindern.
    "Man könnte eventuell davon sprechen, dass es um Aufmerksamkeit geht, die junge Menschen suchen. Und wenn sie diese nicht auf normalem Wege erlangen diese manchmal dann eben auch durch Taten, um überhaupt bemerkbar zu werden. Nach unseren ersten Gespräch auch mit dem Jugendamt müssen wir wohl davon ausgehen, dass es die Mädchen nicht einfach haben im Leben, so dass dies durchaus ein Hilfeschrei sein könnte – aber nicht sein muss."
    "Sie haben es nicht einfach im Leben" – das sagt auch eine Person, die mehrere der jungen Frauen kennt und im Radio nicht zu hören sein will.
    Warum den jungen Frauen nicht mal ein Praktikum bei der Polizei anbieten?
    In einigen Fällen spielten Gewalt, Drogen, Vernachlässigung eine Rolle. Den Mädchen gemeinsam sei, dass sie ein Bindungsproblem hätten. Ihnen fehle das Vertrauen in Erwachsene und sie seien schwer zu erreichen. Vielleicht erkläre dass auch, warum sie sich nun die Polizei ausgesucht habe, weil die etwas symbolisierten. Und weil die jungen Frauen wüssten, dass die Beamten ihnen nicht wirklich etwas tun würden. Es gebe da eine Art Ehrgefühl – dass sie niemanden verletzten wollen, eher sei es ein Räuber- und Gendarm-Spiel. Bei dem es aber auch um eines ginge: Um Aufmerksamkeit. Wichtig sei es, eine Verbindung zu den Jugendlichen aufzubauen, sie wach zu rütteln und zu zeigen, was ihnen bevorsteht.
    Genau das erhofft sich auch Thomas Voerste, der beim Kieler Jugendamt die Abteilung Allgemeiner Sozialdienst leitet:
    "Also, von Machtlosigkeit zu sprechen fände ich schwierig. Wir sprechen von jungen Menschen, wir sprechen von sehr jungen Menschen die ein zugegeben sehr auffälliges Verhalten zeigen und dennoch sind alle Beteiligten intensiv dabei, diesen jungen Menschen auch zu begegnen, von unserer Seite als Jugendamt auch Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Aber es ist natürlich eine Herausforderung, diesen Mädchen eine neue Perspektive aufzuzeigen und das nimmt auch Zeit in Anspruch."
    Inzwischen hat es mehrere Treffen zu dem Thema gegeben, an dem Vertreter von Jugendamt, der Polizei und der Staatsanwaltschaft teilnahmen. Ein Vorschlag der dabei diskutiert wurde: Warum den jungen Frauen nicht mal ein Praktikum anbieten – bei der Polizei?