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Kiews Krise
Die 180-Grad-Wende des Petro Poroschenko

Soldaten sterben, Politiker prügeln und pokern um Posten: Seit dem Zerfall der Regierungskoalition im Februar resigniert die ukrainische Bevölkerung zusehends. Vieles hängt nun vom Präsidenten ab. Doch der trägt auch nur zu weiterer Verwirrung bei.

Von Sabine Adler | 14.03.2016
    Die Parteien von Staatschef Poroschenko (r) und Ministerpräsident Jazenjuk kamen jeweils auf mehr als 21 Prozent der Stimmen.
    Ministerpräsident Jazenjuk und Präsident Poroschenko: Plötzlich ein fantastisches Verhältnis? (picture alliance / dpa / Mikhail Palinchak)
    Wie sich die Bilder gleichen: Ukrainische Abgeordnete in der Werchowna Rada gehen einander an die Gurgeln, ziehen sich vom Rednerpult, schubsen den Ministerpräsidenten. Solche Szene waren bis vor gut zwei Jahren unter Präsident Janukowitsch Normalität. Doch noch immer scheinen sie nicht der Vergangenheit anzugehören, denn die Ukraine steckt in einer tiefen Regierungskrise. Laut Premierminister Arseni Jazenjuk kann die nur überwunden werden, indem die alte Koalition ihre Arbeit wieder aufnimmt, eine neue formiert wird oder, dritte Variante, Neuwahlen ausgeschrieben werden. Ob es dazu kommt, könnte sich in dieser Woche entscheiden.
    Einen Monat seit dem Zerfall der Regierungskoalition im Februar war Zeit. Seitdem brodelt es vor allem in der Gerüchteküche, wurden Kandidaten gehandelt, einer brachte sich sogar selbst ins Spiel, Nikolai Asarow. Der war unter Präsident Janukowitsch Premier und hat jetzt über Facebook angeboten, mit Ministerpräsident Jazenjuk für zwei Jahre die Plätze zu tauschen. Er würde die Einkommen und Renten erhöhen, die Energiekosten, die den Bürgern zu schaffen machen, senken und für Frieden sorgen. "Das hätte er tun sollen, als er dran war", lautete das Urteil dieser Rentnerin aus Cherson. Noch resignierter klingt dieser betagten Ukrainer: "Weder der eine noch der andere bringen es."
    "Es geht nicht nur um den Premier"
    Wurde seit Wochen hinter den Kulissen verhandelt, wer mit wem koaliert, soll heute Nachmittag im der Fraktion des Blocks Petro Poroschenko offen über den Posten des Regierungschefs diskutiert werden. Irina Fris, Abgeordnete der Präsidentenpartei: "Es geht nicht nur um den Premier, die ganze Regierung hat vom Parlament eine rote Karte bekommen, deswegen muss das Kabinett umgebildet werden und über die Ideologie der neuen Regierung wie auch der neuen Koalition gesprochen werden."
    Igor Popow von der Radikalen Partei, die schon vor Monaten die Regierung verlassen hat, vermutet dass Poroschenko und Jazenjuk ausgerechnet die umbenannte Janukowitsch-Partei in die Koalition holen, die jetzt Oppositionsblock heißt. "Diese Koalition besteht faktisch schon. Der Block Petro Poroschenko, Jazenjuks Volksfront und der Oppositionsblock stimmten doch schon jetzt für die meisten Gesetze gemeinsam."
    Plötzlich ein fantastisches Verhältnis
    Sollten die ehemaligen Janukowitsch-Genossen in die Regierung kommen, wäre das ein schlechtes Zeichen. Denn dann wäre unklarer als zuvor, ob das Land überhaupt noch in Richtung Reformen steuert oder nicht doch alles beim alten belässt. Der Kampf gegen die Korruption jedenfalls kommt bislang nicht voran, was auch im Interesse der alten Janukowitsch-Vertrauten sein dürfte.
    Vieles hängt nun vom Präsidenten ab, der jüngsten Äußerungen zufolge seine Meinung um 180 Grad gedreht hat. Er, der dem Premier noch vor einem Monat den Rücktritt nahegelegt hat, bezeichnet Jazenjuk jetzt als einen Reformer, der ausgezeichnete Arbeit leiste und zu dem er ein fantastisches Verhältnis habe.