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KiKa-Journalisten in Bangladesch attackiert
Angriff nach "gezielter Falschinformation"

Bei Dreharbeiten in einem Flüchtlingslager in Bangladesch ist ein deutsches Kamerateam im Februar von einem "rasenden Mob" angegriffen worden, berichtet Südasien-Korrespondent Peter Gerhardt. Anders als vom deutschen Botschafter behauptet, sei der Grund kein "Missverständnis" gewesen, sondern gezielte Desinformation.

Peter Gerhardt im Gespräch mit Bettina Schmieding | 12.03.2019
Blick über die aus Planen bestehenden Dächer der Hütten im Flüchtlingslager Kutupalong in Bangladesch im Juni 2018. Durch das Lager läuft ein Fluss, die Erde ist durchnässt und dreckig.
Das Flüchtlingslager Kutupalong ist das größte der Welt (imago stock&people / Masfiqur Sohan)
Bettina Schmieding: Am 21. Februar war ein deutsches Kamerateam des KiKa im Rohingya-Flüchtlingscamp Kutupalong in Bangladesch unterwegs. Die Journalistin Stefanie Appel hatte mit ihrem Team bereits seit sieben Tagen in dem Lager Aufnahmen für eine Dokumentation über ein Flüchtlingskind gemacht. Am Schluss der Dreharbeiten wollten sie mit Kind und Mutter einen Markt besuchen. Was dann geschah, war so schockierend, dass wir Stefanie Appel zurzeit keine Fragen zu den Ereignissen stellen können. Peter Gerhardt ist TV-Korrespondent der ARD für Südasien, war selber nicht dabei, hat aber mit dem KiKa-Team gesprochen. Ihn habe ich gefragt, was er über die Ereignisse auf dem Markt in Erfahrung bringen konnte.
Peter Gerhardt: Es haben sich dann relativ schnell, ja, ein gutes Dutzend Männer um das Auto herum versammelt und haben dann aufgebracht nachgefragt, was das denn solle, wo das Kind hingebracht werden soll und was das für eine Situation ist. Es kamen dann immer mehr Menschen hinzu, immer mehr Männer und Jugendliche hinzu, die dann auch immer aggressiver geworden sind, und die Stimmung hat sich dann hochgeschaukelt, bis dann aus diesen Männern, diesen 150, die das dann am Ende gewesen sind, wirklich ein rasender Mob wurde, die dann die Kollegen im Auto auch tätlich angegriffen haben, mit Stöcken auf das Auto eingeschlagen haben und mit Steinen die Scheiben eingeworfen haben und die sicherlich die Kolleginnen und Kollegen dann auch körperlich angegangen wären und vielleicht auch gelyncht hätten, wenn dann nicht beherzterweise Polizisten in Zivil, bangladeschische Polizisten in Zivil dazwischen gegangen wären.
"Gezielte Falschinformation"
Schmieding: Wie ist es Ihrer Information nach zu dieser Ansammlung von Menschen gekommen?
Gerhardt: Das ist eine Sache, die hier in Südasien in allen Ländern zu beobachten ist, die relativ schnell geht. Da schickt irgendjemand eine WhatsApp in eine WhatsApp-Gruppe, da sind Unbekannte unterwegs, gerne auch Europäer, unterwegs, die nehmen Kinder mit. Dann ist immer sehr schnell die Rede von Kindesmissbrauch, Kindesentführung, dass Kinder verkauft werden sollen, und dann schaukelt sich so was hoch. Das ist gezielte Falschinformation und gezielte Desinformation, die da verbreitet wird.
Schmieding: Waren denn die Kolleginnen und Kollegen vom Kinderkanal, vom KiKA nicht als Reporter zu erkennen?
Gerhardt: Doch, die waren relativ leicht als Reporter zu erkennen, alleine schon an ihrem Kamera-Equipment, das sie im Auto mitgeführt haben. Vor allen Dingen waren sie auch in dem Camp bekannt, weil sie schon sieben Tage vorher dort gedreht hatten. Also das heißt, es hätte sehr wohl bekannt sein können und bekannt sein müssen, dass das Journalisten sind und dass es sich keineswegs hier um eine Kindesentführung handeln kann.
"Kein ganz ungefährliches Land"
Schmieding: Wie gefährlich ist Bangladesch für Journalisten?
Gerhardt: Da muss man unterscheiden. Also ich selbst bin auch schon in Kutupalong gewesen, in diesem Flüchtlingslager, in dem dieser Vorfall jetzt passiert ist, und ich muss sagen, ich hätte das nicht als so gefährlich eingeschätzt. Bangladesch im Allgemeinen ist unterschiedlich, was die Gefährdungslage angeht. Das ist sicherlich kein Land, das gefährlich ist wie Afghanistan oder Syrien für Journalisten, aber in dem es schon auch Ecken gibt, in denen man aufpassen muss und in denen man sich genau überlegen muss, wo man hingeht. Und insofern ist es kein ganz ungefährliches Land. Es gehört aber auch nicht zu den Hochrisiko-Ländern.
Schmieding: Es gibt ja immer wieder Kritik an Reporterinnen und Reportern, die für eine Geschichte, für eine Story in ein Land fliegen, quasi einfallen, ein bisschen recherchieren, ein paar Aufnahmen machen und dann wieder gehen, sich im Prinzip gar nicht auskennen. Ist das so ein Fall?
Gerhardt: Nein, das muss man in diesem Fall wirklich ganz klar verneinen. Es handelt sich bei diesem Team, das dort vor Ort gewesen ist, um ein wirklich erfahrenes Team. Die Autorin ist eine Autorin, die schon häufig in Bangladesch gedreht hat, die sich vor Ort mit den Gegebenheiten auskennt, die auch in Cox’s Basar in der Stadt, die nah diesem Flüchtlingslager liegt, schon gedreht hat. Auch das Kamerateam ist geschult und auch sehr erfahren in solchen Situationen.
Gerhardt: Tätlicher Angriff statt Missverständnis
Schmieding: Vom deutschen Botschafter in Bangladesch gibt es einen Tweet, der Botschafter spricht von einem Missverständnis bei dem Vorfall. Wie beurteilen Sie das?
Gerhardt: Ja, ich kann das überhaupt nicht verstehen, wie er zu diesem Urteil kommen kann. Der Tweet kam ja relativ schnell dann, nachdem klar war, dass es sich eben nicht nur um ein Missverständnis gehandelt hat, sondern dass es sich um einen tätlichen Angriff gehandelt hat, der, wenn es dumm gelaufen wäre, sicherlich sehr viel schlimmer für die Kolleginnen und Kollegen hätte ausgehen können.
Ich finde das geradezu bizarr, denn es gibt ja auch von den Regierungsbehörden in Bangladesch entsprechende Stellungnahmen, es gibt sogar eine Entschuldigung im Nachhinein von der Regierung in Bangladesch dann für diesen Vorfall, und es gibt die Polizeiakte, die ja auch relativ schnell bekannt geworden ist in den Medien. Und insofern kann ich, ja, ein solches Wording, will ich mal sagen, überhaupt nicht nachvollziehen.
Vorfall in Bangladesch "in fast allen Medien berichtet worden"
Schmieding: Bis auf eine Agenturmeldung und eine Meldung in einem Mediendienst gab es bis jetzt keine, so gut wie keine Berichterstattung über einen Vorfall, der am 21. Februar passiert ist. Wie erklären Sie sich das?
Gerhardt: Das ist in der Tat eine gute Frage. Also in Bangladesch selbst hat der Vorfall sehr hohe Wellen geschlagen, er ist dort in fast allen Medien berichtet worden, auch im Fernsehen berichtet worden. Wir vom Hessischen Rundfunk haben uns dafür entschieden, diesen Vorfall jetzt erst mal nicht groß öffentlich an die große Glocke zu hängen sozusagen, weil für uns im Vordergrund gestanden hat, die Kolleginnen und Kollegen erst einmal nach Hause zu bringen und sicher aus Bangladesch herauszubringen und heil wieder nach Frankfurt zurückzuholen, um dann auch mit ihnen zu sprechen, um genau zu analysieren, was ist eigentlich passiert, wie geht es den Kolleginnen und Kollegen? Und wir haben auf Nachfragen geantwortet, aber warum das nicht aufgegriffen worden ist, kann ich Ihnen jetzt auch nicht beantworten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.