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Kiki-Smith-Ausstellung "Procession"
Das Anatomische als Heiligtum

Die amerikanische Künstlerin Kiki Smith bekommt im Münchner Haus der Kunst ihre erste große Retrospektive in Deutschland. Ihr Lebensthema ist der weibliche Körper, den sie wie eine Medizinerin seziert - und mit Natur, Tieren und christlichen Ikonen in Verbindung bringt.

Von Julian Ignatowitsch | 02.02.2018
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    Das Münchner Haus der Kunst zeigt das Werk der amerikanischen Künstlerin Kiki Smith (picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow)
    Die Jungfrau Maria ist bei Kiki Smith nur noch Fleisch, Fasern und Muskeln. Nackt, ja gehäutet steht sie da, die menschenhohe Wachsskulptur, und höchstens an den geöffneten Armen lässt sich überhaupt noch irgendeine Referenz an traditionelle Mariendarstellungen erkennen. Das Heilige als anatomisches Modell. Oder sollte man besser umgekehrt sagen: Das Anatomische als Heiligtum?
    Künstlerin Kiki Smith stülpt das Innere nach außen, sie seziert, sie fragmentiert den menschlichen, den weiblichen Körper. Ihr Lebensthema habe sie durch einen Zufall gefunden, erinnert sie sich. Ein Freund gab ihr das medizinische Lehrbuch "Grey’s Anatomy" aus dem 19. Jahrhundert: "Vorher wusste ich gar nicht genau, was ich machen sollte, irgendwie wollte ich Künstlerin werden und zeichnete anfangs Zigarettenschachteln und Gitarren."
    Faszination für den menschlichen Magen
    Nun, in ihrer Retrospektive, krümmt sich da eine menschlichen Figur am Boden und die Wirbelsäule drückt sich durch sie hindurch. Ein Darm mäandert an der Wand und in der Vitrine liegt ein gläserner Magen. Smith fertigt überwiegend Skulpturen an, experimentiert dabei mit den unterschiedlichsten Materialien: Wachs, Bronze, Aluminium, Gips, Glas, Latex. Die Münchner Ausstellung zeigt diese Vielfalt.
    Die Kunstakademie besuchte Smith nicht. Stattdessen lernte sie von ihrem Vater Tony, ebenfalls ein bekannter Künstler und Bildhauer. "Meine Schwestern und ich halfen ihm schon als Kinder im Garten", erzählt Smith. "Wir bewegten Skulpturen durch den Hinterhof und er gab uns Unterricht."
    Sogar eine Ausbildung zur Sanitäterin schloss Smith ab, wodurch sie den menschlichen Körper noch einmal auf ganz andere Weise kennenlernte. Die hohlen und soliden Organe hätten sie besonders fasziniert: "Der Magen als Hohlorgan! Es gibt ja Menschen, die schlucken Stifte oder Klammern. Ein Arzt hat mir das mal auf Röntgenaufnahmen gezeigt. Den Glasmagen in der Ausstellung zum Beispiel wollte ich ursprünglich füllen, aber dann hat er mir leer doch besser gefallen."
    Neue Werke der feministischen Künstlerin
    Als amerikanische, 1954 in Deutschland geborene Künstlerin war Smith in den 1970er und 1980er Jahren bei der feministischen Avantgarde dabei, der "Feminist Art". Im Zentrum der Münchner Retrospektive stehen die neusten Werke: riesige Wandteppiche mit träumerischen Motiven, die mit ihrer fehlenden Tiefe und Perspektive an mittelalterliche Darstellungen erinnern.
    Sie habe sich die apokalyptischen Tapisserien in Angers in Frankreich zum Vorbild genommen: "Dazu mag ich die 20er Jahre, Hollywood, Art Deco und später dann die Hippie-Bewegung. Das war alles in meinem Kopf, mich hat interessiert, wie das zusammenpasst."
    Irgendwo zwischen schön und hässlich
    Wer will, kann überall mythologische, christliche und kunstgeschichtliche Verweise entdecken: die Schlange neben der Frau, das zarte Reh. Und ihre tote Katze betrauert Smith in einem Selbstporträt wie Maria den Leichnam Christi.
    Das alles ist zum Teil sehr plakativ, strengt an, fordert heraus. Manches wirkt auf den ersten Blick belanglos, entfacht dann aber, wenn man sich darauf einlässt - im besten Fall - eine Sogwirkung. Im Zusammenspiel der Werke schließlich entsteht ein widersprüchliches Narrativ zwischen schön und hässlich, zwischen Verfall und Heilung, zwischen Leben und Tod.
    Und so verwundert es dann auch nicht, dass die großen, silbernen Gefäße gleich im ersten Raum der Ausstellung, auf denen "Blut", "Schleim", "Urin" oder "Samen" in altdeutscher Schrift steht, einfach nur leer sind.