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"Kimberley" am Schauspiel Köln
Leben und Sterben auf dem Dorf

Am Schauspiel Köln brachte der Autor David Schalko zusammen mit einem norwegischen Komponisten das Singspiel "Kimberly" heraus. Eine buchstäbliche Mordsgeschichte über eine Männermörderin, die in ein Dorf kommt - skurril und gefühllos, meint unsere Rezensentin.

Von Dorothea Marcus | 12.12.2015
    Der Regisseur, Autor und Filmproduzent David Schalko
    Der Regisseur, Autor und Filmproduzent David Schalko (dpa / picture alliance / Horst Galuschka)
    Inspiriert ist das Singspiel "Kimberley" von der Mörderin, die zwei ihrer Männer im Keller einbetonierte, im Gefängnis ein Kind bekam und in Österreich Klatschspalten und Feuilletons füllte. Selbst der Schriftsteller Thomas Glavinic sprach fasziniert von ihren "bemerkenswerten Vibes" und "zarten Händen" - und stimmte in die mit heimlicher Geilheit verbrämte Popstarverherrlichung einer Verbrecherin ein. Eigentlich wäre David Schalko der richtige Mann, dieser verschwurbelten Verehrungsfreude unserer österreichischen Nachbarn auf die Spur zu kommen.
    Mauer aus Gummi-Elementen
    Doch alle Kölner Erklärungsansätze landen in einem tumben Dorf vor einer Mauer aus Gummi-Elementen: jegliche Unmoral wird hier aus dem Provinzspießertum und dessen Unfähigkeit zur Liebe geboren. Als Kimberley aus Medikamentenschleier und Abschlussgespräch mit ihrer durchgedreht-liebestollen Psychologin in grünem Latex-Anzug erwacht, trifft sie zunächst auf den Dorfpoeten Konrad. Der Dorfcasanova, der bei einem Autounfall seine Geliebte um- und seine Frau dauerhaft bandagiert ins Krankheitskoma brachte, ist stets auf der Suche nach Inspiration. Es ist schön zu sehen, wie Yuri Englert und Yvon Jansen sich hier um Kopf und Kragen flirten und sich allenfalls dann spüren können, wenn die Ahnung von Abenteuer und Intensität die innere Leere füllt.
    "Männermörderin auf der Flucht. – Konrad, ein Mann aus dem Volke. – Und die Leiche? – Eingemauert. Wegen des Leichengeruchs. – In 2000 Jahren freut sich ein Archäologe. – Sehe ich aus wie der Dorfdetektiv? – Sie ist aus der Stadt. Sängerin? Dein Gesicht passt nicht zu deinem Namen. – Noch nicht! – Ich sehe eine verletzte Frau. – Oh ich bin auf den Dorfpoeten gestoßen! – Konrad! Ich hab Durst! – Sie kann nicht aufstehen. Aber schreien! – Deine Mama? – Lacht."
    Katholisches Über-Ich
    Yvon Jansen als Projektionsfläche Kimberley wechselt ständig die Outfits und Perücken. Und auch die Bühne wechselt mit beeindruckenden Schatten- und Projektionseffekten ständig das Aussehen: mal Schnee, mal Regen, mal Feuerwerk, mal Tetris-Würfel auf der Gummiwand. Mal steht da ein Kreuz als katholisches Über-Ich über dem Ganzen, mal brodelt gruselig Trockeneis aus einem Herd.
    "I was there, just for one moment ...I was falling into coma. Our love was so contagious ..."
    Erklärungen im Bodensatz des Dorfes
    Und dann ist da ja auch noch die Musik des verwegen kajal-geschminkten, norwegischen Musikers Kyrre Kwam, dessen Band weit über der Bühne thront: düster-hymnische Klänge, die durchaus einen poetischen Sehnsuchtsraum öffnen. Danach, dass die Menschen doch etwas mehr wären als kleingeistige Egomanen. Mehr als die grauhaarig-schwergewichtige Mutter von Konrad, die Sabine Orleans sehr lustig resolut lieblos und desinteressiert zeigt, mehr als die Schwester, die im kleinen Schwarzen hübsch und trotzig aussieht, aber lieber ins Kloster geht. Doch Erklärungen im Bodensatz des Dorfes für all die Krankheit und Gefühlsunfähigkeit greifen leider sehr kurz. Genauso kurz wie die Erklärung für Kimberleys Morde:
    "Ich kann dich nicht lieben. Du kannst mich zum Orgasmus bringen. Du kannst Wut in mir entfachen. Aber lieben kann ich dich nicht. Ich spüre nur, was fehlt. Darin sind wir uns ähnlich. Mein Wunsch dich zu lieben wird so groß sein, dass ich dich töten muss ..."
    Holzschnittartig und wirklichkeitsfremd
    Die wenigen psychologischen Ansätze wirken aufgesagt und sind durch den ironisierten Tonfall gleich wieder erledigt. Komik will auch nicht so recht aufkommen. Als sich Konrads Ehefrau wieder erholt hat und in rosa Kleidchen einem naiv alle Störungen ausblendenden Liebesideal fröhnt, bleibt sie leider auch nur ein unglaubwürdiges Kitschbild. Bis dann Yvon Jansen mit Kreissäge auf die Bühne stürmt und ruhmsüchtig ihre Tötungsmission ausführen will. Das ist schräg und fast schon ein emanzipatorischer Akt, um den nervigen Feingeist-Macho Konrad endlich loszuwerden. Gefühlskicks, so die Aussage, können heute nur noch aus Splattermovie-Sensationen bezogen werden. Doch das dekorative Singespiel "Kimberley" bleibt letztlich trotz der schönen Effekte holzschnittartig, behauptet und wirklichkeitsfremd. Den Charme von Schalkos morbiden Fernsehserien holt es leider nicht ein. Und warum der Mensch so leicht von hohlen Versprechungen der Intensität verführt wird, erklärt es leider auch nicht.