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Kind des Olymp

"Pierre Brasseur ist ein Tier, das nur leben kann, wenn es spielt" Das jedenfalls hat Jean-Paul Sartre einmal über den französischen Theater- und Kinoschauspieler Pierre Brasseur gesagt. Wenn es darauf ankam, dann konnte der heute vor 100 Jahren in Paris geborene Brasseur seinen mächtigen Bass allerdings auf sehr zarte Tonlagen heruntermodulieren - etwa in der berühmten Flirtszene am Anfang von "Kinder des Olymp" oder als Interpret der Gedichte Jacques Prévèrts.

Von Katja Nicodemus | 22.12.2005
    Diese Musik wurde für ihn zum Aufbruchsignal, zur Fanfare einer Karriere, zum Schritt in die Filmgeschichte. Marcel Carnés Film "Kinder des Olymp" machte Pierre Brasseur zu einer Legende des französischen Kinos. Seine Darstellung des sinnenfrohen, zynischen Schauspielers Frédéric Lemaitre bildete einen wunderbaren Gegensatz zum verträumt-vergeistigten Pierrot, den Jean-Louis Barrault spielte.

    Mit der Figur des Frédéric Lemaitre erschuf Brasseur auf der Leinwand den Vollblutschauspieler, den immer auf Hochtouren spielenden, aus dem Vollen schöpfenden Lebemann. In Carnés Film kann dieser Frauenheld, für den das Schauspielern das Leben und das Leben ein Spiel ist, seinen mächtigen Bass beim Flirt zu einem fröhlichen Singsang heruntermodulieren.

    "Kinder des Olymp" und ein weiterer Carné-Film, "Hafen im Nebel" - das sind die beiden emblematischen Filme des Pierre Brasseur. Doch der Schauspieler ist mit einer ganzen Epoche des französischen Kinos verbunden. Pierre Brasseur, das sind nicht nur unglaubliche 150 Filme und Auftritte in 30 Theaterstücken. Pierre Brasseur, das ist vor allem der poetische Ton einer Zeit, in der die Schauspielkunst noch als eine leicht anrüchige Gegenwelt zum bourgeoisen Establishment galt. Er selbst soll sogar ganz frivol in einer Loge gezeugt worden sein:

    Eigentlich sollte Pierre Brasseur nach dem Wunsch der Eltern Zeichner werden, obwohl er sich schon als Fünfzehnjähriger von der Welt des Theaters angezogen fühlte. Statt in die Zeichnerei stürzte er sich lieber in den gerade in Mode gekommenen Surrealismus, in die Werke von Breton, Prévèrt, in die künstlerische Bohème des Montparnasse. Eine kleine Anekdote sagt viel über sein schon damals sinnenfrohes Wesen. Und über das vibrierende Paris der 20-er Jahre, einen Künstlerbiotop, indem man auf Du und Du mit den späteren Großen dieser Welt war:

    Als Schauspieler war Pierre Brasseur ein Schlachtross. Er spielte Seichtes und Frivoles, Horrorfilme und große Kunst, was gerade anstand. Und er erwies sich als ungemein zarter, kluger Interpret der Gedichte Jacques Prévèrts. Für seinen ebenfalls schauspielernden Sohn Claude Brasseur, der mehrmals mit seinem Vater auf der Bühne stand, war diese vitale, scheinbar mühelose Schaffenskraft das Ergebnis einer großen Arbeitsdisziplin.

    Pierre Brasseur versuchte sich auch als Autor. Doch bei seinen sieben selbst verfassten Boulevardstücken bewies er keine besonders glückliche Hand. Besser in Erinnerung ist da schon ein Liebeslied, das er für Edith Piaf schrieb und seine offenherzige Beschreibung des Spatzen von Paris:

    Pierre Brasseur, der im Privatleben alle Konventionen verachtende Künstler, passte in das Bild des "Bastardes", an dessen Vorstellung Jean-Paul eine ganze Philosophie knüpfte. Sartre schrieb ihm auch die Rolle des "Kean" in der Bearbeitung des gleichnamigen Stückes von Alexandre Dumas auf den Leib. In dieser Mythologisierung eines Komödianten sagt Pierre Brasseur den denkwürdigen Satz: "Ich werde das Natürliche nachahmen, bis es meine zweite Natur wird." Das Spiel, seine zweite Natur, betrieb er buchstäblich bis zum letzten Atemzug. 1972 starb Pierre Brasseur im Alter von 67 Jahren auf dem Set, während der Aufnahmen zu einem Film von Ettore Scola. Als er kurz vor seinem Tod nach einem Rat für den Nachwuchs gefragt wurde, gab er denn auch keine große Belehrung von sich. Sondern das, was sein Leben ausgemacht hatte: "Spielen, Spielen, Spielen, so oft Ihr könnt!"