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Kind eines Genies

Seine Herkunft hat Klaus Mann, ältester Sohn von Thomas und Katja Mann, immer als "problematisches Glück" gesehen. Das Wunderkind hatte wie der Vater großes Talent zum großen Spiel, das er auch im Schreiben der Welt vorführte. An die Bedeutung des Vaters reichte er nicht heran.

Von Christian Linder | 18.11.2006
    "Die ganze Welt kennt Klaus Mann, den Sohn von Thomas Mann. Wer ist übrigens Thomas Mann?"

    Diese klirrend ironische Bemerkung Bertolt Brechts hat Klaus Mann gerne zitiert. Er war, als ältester Sohn Thomas und Katja Manns am 18. November 1906 in München geboren, das Wunderkind und zugleich "Kind seiner Zeit", wie Klaus Mann in seinem ersten autobiografischen Buch sich selber nannte. Damals war er 25 Jahre alt und wusste schon und gab es Jahre später der Welt auch zu Protokoll, dass "es nicht leicht ist, das Kind eines Genies zu sein". Das Genie Thomas Mann machte sich manche Gedanken über seinen Sohn und vertraute sie seinem Tagebuch an. Einmal hatte der Vater den zwölfjährigen Sohn nachts "phantastisch entblößt in seinem Bett" vorgefunden:

    "Er wusste auf Fragen keine Antwort zu geben. Pubertätsspiele oder Neigung zu schlafwandlerischen Handlungen ... ? Vielleicht beides in einem. Wie wird das Leben des Jungen sich gestalten? Jemand wie ich 'sollte' selbstverständlich keine Kinder in die Welt setzen. Aber dies Sollte verdient seine Anführungsstriche. Was lebt, will nicht nur sich selbst, weil es lebt, sondern hat auch sich selbst gewollt, denn es lebt."

    Die Welt des Vaters, des Zauberers, wie man ihn in der Familie nannte, steckte den jungen Klaus Mann früh an. Er sah "die Schrift an der Wand", wie er ein Kapitel in seinem zweiten autobiografischen Buch "Der Wendepunkt" nannte; und er wollte seine eigene Lebensschrift an die Wand malen, natürlich auch, um sich vom Vater zu unterscheiden. Verschanzte sich der Vater zumeist in seinem Arbeitszimmer und bestand darauf, nicht gestört zu werden, drängte der Sohn in die Welt hinaus. Während Thomas Mann heimliche Fantasien nur in seinem Werk ausagieren konnte, hat der Sohn seine Neigungen exzessiv demonstriert . Er bekannte sich zum Beispiel - nachdem er eine Zeit lang mit Pamela Wedekind liiert war - zu seiner Homosexualität und hat sich mit ihr in dem Tschaikowsky-Roman "Symphonie Pathétique" auseinandergesetzt. Klaus Mann schrieb schnell und alles Mögliche, Theaterstücke, Prosa, Essays. Vieles war nur kühn hingeworfen, kaum durchgearbeitet, so dass Kurt Tucholsky 1928 höhnte:

    "Man braucht nicht gleich auf das Niveau Klaus Manns runterzusteigen, der von Beruf jung ist und von dem gewiss in einer ernsthaften Buchkritik nicht die Rede sein soll."

    Aber dann wurde aus diesem leichtgewichtigen Spieler ein ernsthafter Schriftsteller und intellektueller Widerstandskämpfer gegen Hitler und den Nationalsozialismus. Am Beginn dieses Engagements stand ein offener Brief, den Klaus Mann dem von ihm einst bewunderten Gottfried Benn schrieb, als der die Nationalsozialisten jubelnd begrüßt hatte:

    "Was konnte Sie dahin bringen, Ihren Namen, der uns der Inbegriff des höchsten Niveaus und einer geradezu fanatischen Reinheit gewesen ist, denen zur Verfügung zu stellen, deren Niveaulosigkeit absolut beispiellos in der europäischen Geschichte ist und vor deren moralischer Unreinheit sich die Welt mit Abscheu abwendet?"

    Klaus Manns Engagement war umfassend und zog sogar den Vater gelegentlich mit. Einige Jahre lebte er in Amsterdam, wo er die antifaschistische Exilzeitschrift "Die Sammlung" herausgab, nebenbei schrieb er in rascher Folge Bücher wie den Roman "Mephisto", eine beispielhafte Parabel über das Verhältnis von Macht und Unterwerfung im Nationalsozialismus. 1936 ging Klaus Mann in die USA, wurde amerikanischer Staatsbürger und kehrte 1945 als Soldat der US-Armee, in die er 1942 eingetreten war, nach Deutschland zurück, nach München und nach Berlin. Wieder nach Hause zurückzukehren, war damals für ihn ein Problem, das er für sich selber am ehesten in der englischen Sprache ausdrücken konnte. Hielten ihm damals in Berliner Cafés Journalisten ein Mikrophon vor den Mund, antwortete er aber auch auf Deutsch:

    "In Berlin ist der Ost-West-Gegensatz besonders stark spürbar, er geht ja bis in die kulturellen Kreise. Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine wirkliche Verbesserung der Verhältnisse hier in Berlin oder überhaupt in Deutschland möglich ist, ehe der Ost-West-Gegensatz in irgendeiner Form geregelt und behoben sein wird. Berlin ist einerseits die anregendste, andererseits die gefährdetste Stadt."

    Klaus Manns politische Hoffnungen erfüllten sich in der vom Kalten Krieg geprägten Nachkriegszeit nicht. Enttäuscht wandte er sich ab, ging auf Reisen, folgte alten Träumen und Spuren, zum Beispiel an die Côte d'Azur, die er in den 20er Jahren mit Schwester Erika unsicher gemacht hatte. Klaus Mann war zu dem Zeitpunkt aber ein ausgebrannter Mann, er hatte sich völlig verausgabt und fand sich in einer kalten Welt, die er früh auch als Kälte in der Familie erfahren hatte, nicht mehr zurecht. Er versuchte wie eh und je dem Körper durch Drogen Befriedigungen zu verschaffen. Seine Zimmerwirtin in Cannes erinnerte sich später:

    "Klaus Mann war ein Gast, der kein Gast war. Er hat sich nie mit mir unterhalten und blieb meistens auf seinem Zimmer."

    Wenn er die Pension doch mal verließ, dann um nachts in einer Bar zu trinken und nach Männern Ausschau zu halten. Am 20. Mai 1949 schrieb er nach Hause:

    "Alles Liebe, Treue, Schöne dem Papa und Euch vom lieben, treuen, schönen Klaus."

    Stunden später nahm Klaus Mann sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben. In Wahrheit, schrieb Klaus Manns Onkel Heinrich Mann in einem Nachruf, sei er aber "von der Epoche" getötet worden. Begraben wurde Klaus Mann in Cannes. Der Vater nahm die Todesnachricht erschüttert zur Kenntnis, reiste aber nicht zur Beerdigung. Auf Klaus Manns Grabstein steht der volle Name: Klaus Heinrich Thomas Mann.