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Kinder an die Macht

"Kinder mit nem Willen kriegen was auf die Brillen." Sprüche wie diese transportieren den Zeitgeist vergangener Tage. Heute haben Kinder Rechte. Und eine Lobby, die über die Umsetzung dieser Rechte wacht: das Kinderrechtskomitee der Vereinten Nationen in Genf.

Von Monika Köpcke | 20.11.2009
    "Jedes Kind soll ohne Ausnahme in den Genuss der folgenden Rechte gelangen: Dem Kind soll im Sinne von Freiheit und Würde sozialer Schutz gewährt werden, es hat von Geburt an das Recht auf einen Namen und eine Staatsangehörigkeit."

    New York, der 20. November 1989: Die UNICEF-Sonderbotschafterin Audrey Hepburn spricht vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Soeben haben die UN-Gesandten einstimmig eine Konvention verabschiedet. Sie heißt: Übereinkommen über die Rechte des Kindes. UNICEF-Mitarbeiter Michael Klaus:

    "Bis dahin verfolgte man einen Bedürfnisansatz, es war reine Wohltätigkeit, also hungernden Kindern zu helfen, aber dies ist ein ganz neuer Ansatz, der betont nämlich das Menschenrecht sozusagen aller Kinder auf Überleben, auf Schutz, auf Förderung, auch auf Beteiligung an gewissen Entscheidungen. Und von daher ist es schon ein revolutionäres Menschenrechtsdokument."

    Die Kinderrechtskonvention ist völkerrechtlich verbindlich: Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, ihre Inhalte in die jeweilige nationale Gesetzgebung zu übernehmen. Sämtliche Staaten sind der Konvention beigetreten – außer Somalia und den USA, die in ihr eine unzulässige Einschränkung der Elternrechte sehen.

    "Die Tatsache, dass so viele Länder so schnell dieser Konvention beigetreten sind, ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass viele Länder sich wirklich nicht ganz klar darüber waren, welche Brisanz doch in diesem Dokument liegt. Auf der anderen Seite ging es natürlich auch darum, möglichst an internationale Hilfsgelder leichter ranzukommen, weil man sich das einfach erhoffte."

    Zehn Jahre lang, seit 1979, hatte eine internationale Kommission den Text der Kinderrechtskonvention ausgearbeitet. Noch in den Zeiten des Kalten Krieges konzipiert, profitierte das Dokument vom Wettstreit der Systeme. Gesundheit, soziale Sicherheit und ein angemessener Lebensstandard für alle Kinder forderten vor allem die sozialistischen Staaten, die freiheitlichen Bürgerrechte lagen vor allem dem Westen am Herzen.

    "Artikel 19: Schutz vor Gewaltanwendung, Misshandlung und Verwahrlosung – Artikel 14: Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit – Artikel 28: Recht auf Bildung, Schule und Berufsausbildung – Artikel 24: Recht auf Gesundheitsvorsorge – Artikel 32: Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung – Artikel 6: Recht auf Leben."

    "40.000 Kinder sterben am Tag, eine Viertel Million jede Woche, 14 Millionen jedes Jahr. Ein Kind alle zwei Sekunden, an jedem Tag, in jeder Woche, in jedem Jahr."

    Dieser UNICEF-Spot scheint all die Bestimmungen der Kinderrechtskonvention zu verhöhnen. 150 Millionen Kinder sind unterernährt, 120 Millionen können nicht zur Schule gehen, über acht Millionen arbeiten als Soldaten oder Prostituierte.

    Es gibt keine übergeordnete Instanz, die Verstöße gegen die verbrieften Kinderrechte sanktionieren könnte. So hat Deutschland zugleich mit der Ratifizierung eine Vorbehaltserklärung abgegeben. Danach besitzen Flüchtlingskinder in Deutschland nicht die gleichen Rechte wie deutsche Kinder. Eine klare Verletzung des Artikels 2:

    "Die Vertragsstaaten gewährleisten diese Rechte jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind. Unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft."

    Alle fünf Jahre müssen die Unterzeichnerstaaten vor dem UN-Kinderrechtsausschuss in Genf Rechenschaft über die Umsetzung der Konvention ablegen. In vielen Ländern veröffentlichen und kommentieren Nichtregierungsorganisationen diese Rechenschaftsberichte. Diese kritische Öffentlichkeit ist die stärkste Waffe der Kinderrechtskonvention. Denn die meisten Staaten wollen sich ihr Image durch die Verletzung von Kinderrechten nicht ankratzen lassen. So hat sich, trotz allem, seit 1989 vieles gebessert: Immer mehr Regierungen leisten sich einen Kinderbeauftragten, viele Länder haben Gesetze gegen Kinderarbeit verabschiedet, die Einschulungsrate vor allem bei Mädchen hat sich mehr als verdoppelt. Doch noch immer klafft weltweit eine tiefe Lücke zwischen der formalen Anerkennung der Kinderrechte und ihrer Verwirklichung im Alltag.