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Kinder haften für ihre Eltern

Breite öffentliche Empörung von Intellektuellen und Künstlern hatte in Zürich, wo Friedrich Christian Flick ursprünglich ein Museum für seine Sammlung errichten wollte, zur Aufgabe des Projekts geführt. In Deutschland hingegen verging über ein Jahr ohne nennenswerten Widerstand, seit die Nachricht bekannt geworden war, dass Flick sich nun mit den Staatlichen Museen Berlin über die Präsentation der Sammlung geeinigt hatte. In Zürich hatte man Flick vor allem übelgenommen, dass er sich als Multimillionär nicht am Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter beteiligt hatte. Und schließlich war da noch der berühmte Brief, den Flick 1997 an seinen Onkel Friedrich-Karl geschrieben und in dem er seine Sammlung als Möglichkeit für seine Kinder und Nachkommen bezeichnet hatte, eine "neue Identifikation mit unserem Namen aufzubauen." Ziel sei es, dass "der Name Flick auf eine neue und dauerhafte positive Ebene" gestellt werde. Bei den Schweizer Protesten machte daraufhin das Wort vom "Ablasshandel" die Runde.

Von Carsten Probst |
    In Deutschland war zunächst Salomon Korn, Vorstandsmitglied im Zentralrat der Juden, der lautstark ethische Bedenken für die Ausstellung anmeldete. Korns Vorwurf an Flick lautete, durch seine exquisite Kunstsammlung jenes "Blutgeld weißwaschen" zu wollen, das sein Großvater Friedrich Karl Flick als Hitlers Militärausrüster Nummer eins durch den Einsatz zehntausender Zwangsarbeiter erwirtschaftet habe. Dies sowie Korns abschätzige Äußerungen über Flicks Vorleben als High-Society-Playboy trugen jedoch Züge eines Pauschalurteils und griffen daher nicht recht. Flick konnte sich in einer öffentlichen Replik dagegen verwahren, für die Handlungen seines Großvaters in Kollektivhaftung genommen zu werden, und er konnte darauf verweisen, dass er inzwischen in Potsdam eine Stiftung gegen Rassismus gegründet habe. Doch auch wenn dies niemanden wirklich überzeugen konnte, finden sich erst seit etwa einem halben Jahr entschiedenere Einwände gegen den großen Bahnhof, der der Flick Collection in Berlin bereitet werden soll.

    Mit Befremden wird die fortgesetzte Weigerung der Staatlichen Museen Berlin registriert, irgendeinen Zusammenhang zwischen Kunst und Politik herzustellen – obgleich die Einfädelung des Geschäfts mit Flick von vornherein ein Deal von höchsten politischen Gnaden war. Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit war und ist daran ebenso beteiligt wie Kulturstaatsministerin Weiss. Bundeskanzler Schröder wird zur Eröffnung sprechen. Längst hat sich die Sammlung Flick zu einem Repräsentationsprojekt der Bundesregierung entwickelt. Angesichts dessen werden innerhalb der Familie Flick tiefe Gräben sichtbar, so, als Dagmar Ottmann, die Schwester des Sammlers, in einem Beitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit" eine Verschiebung der Ausstellung verlangt und sich dagegen verwahrt, dass Kunst als Ersatz für eine unterlassene Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte in Dienst genommen wird.

    Besonderes Augenmerk fällt in letzter Zeit auf die Rolle der Finanzen bzw. die von den Staatlichen Museen stets behauptete Kostenneutralität der Flick-Präsentation. Der Sammler finanziert den Ausbau der Rieck-Hallen zum Museum, während die Staatlichen Museen für die Lagerung, Bewachung und Logistik aufkommen. Doch allein schon der Transport der vielen Werke von Zürich nach Berlin verschlingt große Summen. Darüber hinaus soll auf Kosten der Staatlichen Museen nun noch für 900.000 Euro eine Brücke gebaut werden soll, die die Rieck-Hallen mit dem Hamburger Bahnhof verbindet. Allein der Festakt zur Eröffnung ist mit 1,44 Millionen Euro veranschlagt wird. Der Bundesrechnungshof, heißt es, sei inzwischen eingeschaltet.

    Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident der Staatlichen Museen, räumt mittlerweile ein, dass zur Finanzierung der Flick-Präsentation Umschichtungen innerhalb des eigenen Etats notwendig sind. Fest steht, dass es Einschnitte in das Programm anderer Häuser der Staatlichen Museen geben wird, während Bundestagsabgeordnete wie SPD-Mann Lother Binding darauf hinweisen, dass viele der Werke der Sammlung Flick durch die Präsentation in Berlin eine Wertsteigerung erfahren werden, deren Rendite der Sammler im Verkaufsfall jedoch allein einstreichen würde, ohne dafür in Berlin Steuern zahlen zu müssen. Als nachgerade zynisch empfinden es angesichts dessen manche Kommentatoren, dass Institutionen wie der "Förderverein Dokumentation Zwangsarbeiter", die begleitend zur Ausstellung über die Geschichte der Zwangsarbeiter und der Familie Flick informieren wollen, weder vom Bund noch vom Land Berlin auch nur im Geringsten finanziell unterstützt werden. Bei den Staatlichen Museen zu Berlin schließlich wächst mittlerweile die Befürchtung, dass die Kunst nicht, wie eigentlich erhofft, für sich allein sprechen könnte, sondern inzwischen von d er öffentliche Debatte überformt wird. Hinweise wie jener von Eugen Blume, des Chefkurators des Hamburger Bahnhofs, dass auch die Medici schon Künstler wie Michelangelo politisch vereinnahmt hätten, deren Kunst doch seit Jahrhunderten für sich selbst stehe, wirken da eher hilflos.