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Kinder, Kirche und Karriere

Deutschland hat ein neues Gesprächsthema: Schule und Familie, Volk und Kind. Da kann jeder was zu sagen, diejenigen, die Kinder haben, und diejenigen, die keine haben. Mit weniger ideologischen Gepäck wären die Deutschen in der Kinderfrage beweglicher.

Von Tanya Lieske |
    Düsseldorf, eine Ladenkasse, es ist nur wenige Tage her. "Bekommen Sie ein Baby?", fragt die neugierige Verkäuferin. "Nein", antwortet die Kundin, "ich bekomme zwei." "Sie Ärmste", sagt die Verkäuferin, und hebt zu einer Tirade an, die die kinderfeindliche bundesdeutsche Gesellschaft im allgemeinen, den Staat im besonderen zur Rechenschaft zieht.

    Die kurze Begebenheit sagt soviel wie mancher Leitartikel: Kinder gelten als Belastung, Mütter als uncool und dem sozialen Abstieg geweiht, der Staat hat zu lange geschlafen. Vieles davon ist leider wahr. Und es treibt uns um. Die Debatte um die Ursachen des demografischen Knicks kommt spät, dafür um so heftiger. Sie tangiert alle Felder unseres Daseins, die makroökonomischen, ordnungspolitischen und ethischen, die öffentlichen und die privaten Räume. Und über all dem wetterleuchtet das Ende unserer Konsumgesellschaft. Wir debattieren erhitzt, weil es diesmal ums Ganze geht.

    Den Auftakt setzte Frank Schirrmacher mit seinem jüngsten Buch "Minimum", einer Analyse über das Bestehen und Vergehen von sozialen Gemeinschaften. Am Beispiel von zwei historischen Siedlertrecks formuliert Schirrmacher die These, dass Familien mit Müttern überlebensfähiger seien, weil dort eine Kultur des Helfens und Teilens gelebt werde. Er schreibt:

    "Man gelangt in der Regel mithilfe von Töchtern und Frauen in Krisen- und Umbruchzeiten, vereinfacht gesagt, direkter zum Ziel. Als Mütter sind sie der Kern der Familien, als Frauen Kern der sozialen Netze, als Töchter und Schwestern Experten der 'moralischen Ökonomie' über Generationengrenzen hinweg. Und nicht nur das: Man legt sich mit ihnen auch eine Art Spezialistentruppe für soziale Reparaturen zu."

    Schirrmachers Bestandsaufnahme endet hier. Über die Konsequenzen schweigt er sibyllinisch und nicht ohne mediale Könnerschaft. Nichts heizt eine Debatte so sehr an, wie eine polarisierende These ohne Schlussfolgerung. Schirrmacher sprach noch mit Matthias Matussek im "Spiegel", dann stürzten sich die Rezensentinnen wütend auf den Knochen. In der "taz" schreibt Claudia Pinl:

    "Man könnte Schirrmacher und Matussek mit ihren atavistischen Bluttheorien rechts liegen lassen. Leider sind die beiden Herren aber nicht die einzigen Stimmen im anschwellenden Bocksgesang der rückwärts gewandten Familienapologeten. (...) Es sind ausschließlich Männer, die die Rettung Deutschlands durch die heile Familie, wenn's sein muss, nach islamischem Muster, beschwören. "

    Mit nur einer achtel Drehung im Gewinde war die Debatte wieder dort angelangt, wo sie seit Jahren ergebnislos verharrt - bei der deutschen Variante des Geschlechterkampfs. Iris Radisch bemerkt in der "Zeit":

    "Die erste und einfachste Wahrheit geht so: Eine Frau, die Kinder bekommt, muss ihr Leben ändern; ein Mann, der Kinder bekommt, nur einen Lebensabschnitt, wenn überhaupt."

    In der "FAZ" sekundiert ihr Johanna Adorján. Sie verweist auf die nur vermeintlich progressive Wirkung der Antibabypille, die in Wahrheit den Frauen die Verantwortung für die Familienplanung übertrage:

    "Die Vorteile sind bekannt. Die Nachteile allerdings gravierend: denn Frauen haben sich damit freiwillig alles aufgebürdet, und alles allein, Beruf und Familie. Das ist sehr praktisch für den Rest der Gesellschaft, der auch mit Kindern weiterleben kann wie zuvor."

    Da mit dem Rest der Gesellschaft Männer gemeint sind, zauderten diese nicht lange, um ihre Sicht der Vaterschaft beziehungsweise der verhinderten Vaterschaft ins Feld zu führen. Ulrich Greiner sieht den Mann in einer Orientierungskrise, weil er auf allen Feldern von den Frauen eingeholt wurde. Der Mann, schreibt Greiner in der "Zeit", sei seiner traditionellen Rolle beraubt:

    "(Es) fehlt ihm das zentrale atavistische Motiv, das ihn früher dazu bewog, Verzicht auf egoistische Bedürfnisse zu leisten. Einst war er der Stärkere. Einst war er es, der die materiellen Bedingungen für die Familie garantierte. "

    Bis hierher bewegt sich die Debatte zwischen Schlachtruf und Abgesang auf den alten Pfaden, Frauen versus Männer, linke versus rechte Familienmodelle. Und während wir noch streiten wie ein altes Ehepaar, holt uns die politische Wirklichkeit ein. Ausgerechnet eine konservative Familienministerin bricht aus, sie setzt ein Elterngeld durch und ringt den Vätern einen winzigen Beitrag ab zur Kindererziehung. Ursula von der Leyen macht uns etwas vor: Mit leichtem ideologischen Gepäck sind wir beweglicher.

    Eigentlich wissen wir schon längst, was Frank Schirrmacher so aufwändig beweist: Frauen haben besondere soziale Fähigkeiten. Dies muss noch längst keine Rolle rückwärts bedeuten. Wir könnten mit unserem Wissen auch vorwärts gehen. Wir könnten dafür sorgen, dass Frauen, und vor allem Mütter nicht in den bisher üblichen Zustand der gesellschaftlichen Entgrenzung geraten. Wenn Erziehung unser aller Anliegen wird, werden wir auch alle davon profitieren. Wir werden Kompetenzen üben, die wir bald schon brauchen, denn nichts wartet so sicher auf uns wie das Ende unserer Wachstumsgesellschaft.

    Allen, die in den nächsten Tagen ein oder auch zwei Babys erwarten, sei daher Glück gewünscht. Sie erleben das letzte Abenteuer der westlichen Zivilisation.