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Kinder, Küche, Karriere

Wir haben drei neue Buchveröffentlichungen aus der umfangreichen Literatur zum Thema Familie, Frauen und Kinder ausgesucht. Sie stammen alle von Frauen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit der Kinderfrage heute auseinandersetzen. Kostas Petropulos hat sie gelesen.

    Kern der Nachwuchskrise hierzulande ist das radikal gewandelte Verhältnis der Frauen zur Mutterschaft. Sie sind unter den heutigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen immer weniger dazu bereit. Deshalb steht für die bekannte Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim die historische Entwicklung der Mutterrolle im Mittelpunkt ihres neuen Buches "Die Kinderfrage heute".

    In der vorindustriellen Gesellschaft seien Familien- und Arbeitsleben räumlich nicht voneinander getrennt gewesen. Mütter konnten sich daher um die Kinder kümmern und zugleich an der Arbeit auf dem Bauernhof oder im Handwerksbetrieb beteiligen. Der entscheidende und bis heute nachwirkende Einschnitt habe mit der Industrialisierung stattgefunden:

    "Mit der Industrialisierung bricht die früher vorherrschende "Einheit von Arbeit und Leben" auf, die Familie verliert ihre Funktion als Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft. […] So entsteht […] eine neue Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau: Er wird zuständig für Außenwelt, Beruf, Öffentlichkeit; sie für Heim, Haushalt, Familie."

    Zeitgleich bilde sich die Vorstellung von der unterschiedlichen Natur von Männern und Frauen heraus. Hinzu kam ein neues Verständnis von Kindern. Von bloßen Arbeitskräften, die ohne großen Aufwand heranwuchsen, wurde jetzt ihre Erziehung und Bildung zur eigenständigen und zeitaufwendigen Aufgabe für Mütter. Mit der Industrialisierung entstanden vor allem erstmals Erwerbsmöglichkeiten für Frauen außerhalb der Familie, also eine echte Alternative zur ausschließlichen Rolle als Mutter.

    Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts sorgten die Bildungsexpansion und die Einführung der Pille schließlich für einen weiteren tiefen Einschnitt:

    "Zum ersten Mal entsteht für breitere Gruppen von Frauen eine Art Wahlmöglichkeit: das Leben ohne Familie, ohne Mann, ohne Kind. […] (In dieser neuen Konstellation löst sich die unmittelbare Verbindung von Frauenleben und Mutterschaft auf.)"

    Frauen können jetzt auf breiter Front entscheiden, ob sie überhaupt noch Mutter werden wollen. Seither bestehe die gesellschaftliche Aufgabe darin, Frauen den Zugang zur Erwerbsarbeit trotz Mutterschaft zu ermöglichen, also das berühmte Schlagwort von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

    Am Schluss dieser differenzierten und anschaulichen Darstellung der gewandelten Mutterrolle in den letzten 300 Jahren erlebt der Leser jedoch eine Enttäuschung. Für den neuen Konflikt zwischen Beruf und Familie bietet Elisabeth Beck-Gernsheim in ihrem Buch nämlich nur ein sattsam bekanntes Patentrezept an: Mehr Krippen und Ganztagsschulen braucht das Land. Dabei trägt sie selbst genügend Material für eine andere These zusammen: Nicht die fehlende Betreuung ist die zentrale Kinderbremse, sondern die Arbeitswelt mit ihren vielfältigen Zwängen:

    "Mit der außerhäuslichen Erwerbsarbeit sind nicht nur neue Freiräume verbunden, sondern ebenso auch neue Risiken, Abhängigkeiten und Zwänge. Denn die Existenzsicherung wird jetzt mit den Gesetzen des Marktes verknüpft, die oft erbarmungslos sind: miserable Arbeitsbedingungen, und bei Verlust des Arbeitsplatzes keine soziale Absicherung."

    Diese Beobachtung gilt nicht nur für die Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts, sondern kaum verändert ebenso für unsere mit dem globalen Markt aufs engste verknüpfte Wirtschaft in der Gegenwart. Globalisierung bedeute nämlich

    "mehr Konkurrenzkampf, schnelleres Tempo, verstärkter Innovationsdruck. Je mehr aber die Arbeitswelt von den Gesetzen und Zwängen eines globalisierten Marktes geprägt wird, desto weniger Raum bleibt für soziale Gesichtspunkte, wie etwa die Rücksicht auf Familien und deren Bedürfnisse."

    Flexibilisierung, Deregulierung, Zeitarbeitsverträge und viele andere Erscheinungen der modernen Arbeitswelt zerstören vor allem eines: die verlässlichen Koordinaten der Existenzsicherung. Damit ist eine langfristige Lebensplanung nicht mehr möglich und das Eingehen familiärer Bindungen, also auch die Entscheidung für Kinder, wird immer mehr zur unüberwindlichen Hürde.

    Zu einem ganz anderen Befund in Sachen "deutscher Kindernotstand" kommt indes die Frankfurter Journalistin Karin Deckenbach. In ihrem Buch "Die Mutterglück-Falle" macht sie das deutsche Familienbild als das eigentliche Grundübel aus. Sein Kern: die "Mutter ist die Beste"-Ideologie - also die in Deutschland vermeintlich grassierende Vorstellung, für die Kindererziehung seien nur die Mütter am besten geeignet. Dementsprechend herrsche hierzulande das Leitbild von der Alleinverdiener-Familie vor, das vom Staat über das Steuer- und Sozialrecht massiv gefördert würde. Für Karin Deckenbach hat dieses Familienbild fatale Folgen:

    "Deutschland hat die niedrigste Geburtenrate in der EU. Wir haben auch die niedrigste Frauenerwerbsquote und die wenigsten Betreuungsplätze. Und die allerwenigsten Ganztagsschulen und die größte "Geschlechterlücke" auf dem Arbeitsmarkt. Traurig, aber wahr: Wir haben eben nicht die am besten behüteten und geförderten Kinder. Aber die spießigsten Männer. Und wohl die meisten frustrierten Frauen."

    Dieses harsche Urteil versucht die Frankfurter Journalistin durch den Verweis auf einschlägige Studien und ausführliche Protokolle von Gesprächen mit Frauen und jungen Paaren zu untermauern. Zweifellos tut sie das sehr anschaulich und mit einer flotten Sprache. Aber genauso flott geht sie in ihrer offenkundigen Wut auf die "deutschen Verhältnisse" über die vielen Widersprüche und Fakten hinweg, die nicht in ihr Bild passen.

    Schon bei der Behauptung, Deutschland hätte die niedrigste Geburtenrate der EU liegt sie voll daneben. Tatsächlich heißen die westeuropäischen Schlusslichter Griechenland, Spanien und Italien. Die deutsche Vorliebe für die Erziehung der Kinder in den Familien ist für die Frankfurter Journalistin reine Ideologie. Das zeigt schon ihre Verballhornung des Begriffs "Mutterglück". Sie spricht in ihrem Buch fast durchgängig nur von "Gluttermück".

    Dabei liefert Karin Deckenbach durchaus Material dafür, dass Kinder sich eben nicht in jedem Alter problemlos wegorganisieren lassen, um Mütter bei ihren Karriereambitionen nicht im Weg zu stehen. So ist etwa im ausführlich wiedergegeben Gespräch zweier karriereorientierter Mütter zu hören:

    "Kannst du dir vorstellen, was los war, gleich am Anfang, als Dustin sich bei seiner ersten Tagesmutter wochenlang schlicht geweigert hat, auch nur aus seinem Buggy auszusteigen? […] Es übt einfach einen wahnsinnigen Druck aus, wenn man so deutlich sieht: Mein Kind will das nicht, es will nicht weg von mir und ich mute es ihm trotzdem zu, weil ich mich selbst verwirklichen will[…] Bei mir hat das zweierlei ausgelöst: einmal eine gewisse Verzweiflung und viel schlechtes Gewissen, aber auch eine ungeheure Wut. Wut auf dieses Kind, das sich nicht so rumschieben lässt, wie ich das gerne hätte."

    Diese und andere Mütter zeigen für Karin Deckenbach offenbar, wie Frau mit ihrem schlechten Gewissen umgehen sollte. "Die Trennung nicht dramatisieren!" - Bei Karin Deckenbach erscheinen Kinder im Wesentlichen als Hindernis für die Berufskarriere. Dass viele Mütter und Väter hierzulande Kinder als Glück und eine Bereicherung ihres eigenen Lebens empfinden und die Erwerbsarbeit nicht ihren alleinigen Lebenssinn ausmacht, übergeht die Frankfurter Journalistin fast vollständig. So ist es nicht weiter verwunderlich, wenn der Begriff Liebe zu den eigenen Kindern erst am Ende ihrer wütenden Streitschrift kurz auftaucht.

    Ganz anders dagegen bei der Hamburger Journalistin Iris Radisch: In ihrem Buch "Die Schule der Frauen" ist gerade die Liebe zu ihren Kindern der Antrieb, sich mit den Arbeits- und Lebensverhältnissen der Familien in Deutschland auseinanderzusetzen. Ausgangspunkt ist ihr persönliches Scheitern bei der berühmten Vereinbarkeitsfrage:

    "Ich habe viele Jahre geglaubt, man muss es nur wollen, dann kann man alles haben, Kinder, Arbeit und Liebe. […] Das glaube ich inzwischen alles nicht mehr. Irgendwann […] kommen die Zweifel: Läuft hier nicht alles grundsätzlich falsch?"

    Mit ihrem plötzlich geschärften Blick auf ihre Umwelt macht Radisch eine tiefe Spaltung unserer Welt aus: hier die Sphäre, in der Kinder überhaupt nicht mehr vorkommen, dort die Sphäre mit Kindern, "in der Familien zerbrechen, auseinandergerissen werden und wir keine Zeit füreinander haben".

    Wie es zu dieser Spaltung kommen konnte, ist die Leitfrage der Journalistin, die im Hauptberuf Literaturkritikerin ist. So überrascht es nicht, wenn ihre Antworten bis in den Bereich der Kultursoziologie reichen. Allerdings beschreibt sie auch ganz konkret, was sich in der Beziehung zwischen Männern und Frauen geändert hat. Warum diese entweder gar nicht mehr zustande kommen oder immer häufiger scheitert. Die vorherrschenden Rollenmodelle der Geschlechter, so Radisch, scheitern im Kern aus einem Grund:

    "Die Erwerbstätigkeit, zumindest die den ganzen Menschen fordernde Variante derselben, war - Emanzipation hin oder her - in unseren Liebesmodellen nicht eingeplant."

    Für die Mutter von drei Kindern kann es keine Rückkehr zu den tradierten Geschlechterrollen im Rahmen der Hausfrauen-Ehe mehr geben. Aber die derzeit politisch hochgejubelte Alternative "Kinder und Karriere" ist für Radisch genauso wenig eine Lösung. Wer dieses Modell tatsächlich zu leben versucht, wird scheitern, wie die Journalistin aus eigener, leidvoller Erfahrung weiß. Kinderkrippen und Ganztagsschulen könnten zwar dieses Vereinbarkeitsmodell ermöglichen, aber das sei gewiss nicht mit Familienfreundlichkeit gleichzusetzen.

    Was Eltern und Kinder nämlich bräuchten, sei mehr Zeit für einander. Die gebe es bei einer doppelten Vollzeiterwerbstätigkeit ganz einfach nicht. Die gern gebrauchte Formel von der Quality-Time könne darüber nicht hinwegtäuschen. Nüchtern betrachtet sei dies:

    "Kindererziehung für Eilige. Alles in Kurzfassung, alles in ungeheurem Tempo. Geige, Klavier, Blockflöte, ein anregendes Tischgespräch, Bücher, Welterklärungen, Herzensangelegenheiten, Top 1, Top 2, Top 3 und gute Nacht."

    Um den Familien mehr Zeit zu verschaffen, so das Fazit von Iris Radisch, müsse der alles dominierende Anspruch der Arbeitswelt zumindest für Familien zurückgedrängt werden:

    "Die durch Kinder unbehinderte Arbeitszeit der Eltern genießt allgemeine Anerkennung und staatliche Förderung, die durch Arbeit unbehinderte Familienzeit muss noch entdeckt - und geschützt werden."

    Eine schlichte und vernünftige Forderung. Ob sie freilich in einer Zeit Gehör finden wird, wo die Politik die neuesten Exporterfolge der deutschen Wirtschaft blindlings als Gewinn für alle bejubelt, ist freilich mehr als ungewiss.


    Elisabeth Beck-Gernsheim: Die Kinderfrage heute - Über Frauenleben, Kinderwunsch und Geburtenrückgang
    C.H. Beck, München 2007
    175 Seiten, 10,90 Euro

    Karin Deckenbach: Die Mutterglück-Falle
    dtv premium, München 2007
    240 Seiten, 14,50 Euro

    Iris Radisch: Die Schule der Frauen - wie wir die Familie neu erfinden
    DVA, München 2007
    192 Seiten, 14,95 Euro