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Kinder, Küche und ... Karriere?

Es ist eine Ausnahme, wenn Sonja Roth ihren anderthalb- jährigen Sohn Mathis schon am Nachmittag sieht. Normalerweise sitzt die Politologin bis 18 Uhr in ihrem Büro in der TU Berlin, während ihr Mann das Kind betreut. Nach dem Examen und einem halben Jahr Elternzeit konnte sich Sonja Roth nicht vorstellen, den Start ins Berufsleben noch länger aufzuschieben.

Barbara Leitner |
    Ich wollte unbedingt danach einsteigen, weil ich so das Gefühl hatte, wenn ich jetzt noch zu Hause bleibe, wird es immer schwieriger einzusteigen; und es war ganz arg mein Wunsch, richtig zu arbeiten und auch voll zu arbeiten. Und mein Mann hat schon fünf Jahre Berufserfahrung gehabt, und für ihn war es völlig okay auszusteigen, und für ihn war es eher der Genuss, auch mal zu Hause sein zu können und Zeit zu haben für das Kind am Anfang.

    Für ein paar Stunden am Tag bringt Sonja Roth ihren Sohn in eine Kinderkrippe. Für die übrige Zeit ist dann ihr Mann zuständig: Der ist Kinderarzt - und auf Teilzeit umgestiegen. Einer der wenigen also, die vom neuen Teilzeit-Gesetz der rot-grünen Bundesregierung Gebrauch machen. Das sind nicht einmal zwei Prozent aller Väter.

    Dabei würden viele Frauen davon profitieren, wenn ihre Männer - oder deren Arbeitgeber - flexibler wären. Die meisten nichterwerbstätigen Mütter mit Kindern bis zu 12 Jahren wollen berufstätig sein - so das Ergebnis einer Studie im Auftrag des Familienministeriums. In den alten Bundesländern sind es knapp 70 Prozent, in den neuen sogar 90 Prozent. Zudem würden im Westen viele Frauen mit Teilzeitjob gerne mehr arbeiten, wenn sie ihr Kind gut betreut wüssten. Doch gerade in den alten Bundesländern ist es nach wie vor schwierig, einen Platz in der Krippe, im Kindergarten oder im Hort zu finden. Sonja Roth hat die Situation in Baden-Württemberg erlebt:

    Es ist in Tübingen immer noch so, dass vor allem die Situation für Kinder unter drei Jahren katastrophal ist, und Sie kriegen im Prinzip nur einen Platz, wenn Sie alleinerziehend sind und unbedingt arbeiten müssen, in einem Programm sind, sonst gibt es keine Chance. Das einzige, was Sie sich organisieren können, sind Tagesmütter. Und das ist aber unglaublich teuer. Da gibt es auch keine städtische Initiative oder so, das müssen sie einfach privat bezahlen.

    Zwar besteht in der Bundesrepublik – außer in Bayern - seit 1996 für jedes Kind ab drei Jahren ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Doch das heißt in den meisten Bundesländern: Halbtags-Betreuung; für höchstens vier bis fünf Stunden am Tag sind die Kinder also versorgt. Den Müttern bleibt dann nichts anderes übrig, als Teilzeit zu arbeiten oder zusätzlich eine Tagesmutter zu engagieren. Für Kinder unter drei Jahren fehlen in allen westlichen Bundesländern Krippenplätze, für die Grundschulkinder fehlen Hortplätze. Angesichts dessen fühlen sich junge Paare oft überfordert, betont Stefan Sell, selbst Vater und Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Fachhochschule in Koblenz:

    Das große Problem sind doch die ganz unflexiblen Strukturen. Nehmen sie die deutsche Schullandschaft. Die Kinder sind in der Regel nur halbtags in der Schule, in der Grundschule schon halb 11, halb 12 kommen sie nach Hause. Sie können noch nicht mal eine Halbtagstätigkeit ausüben als Mutter. Das löst natürlich enorme Frustrationspotentiale aus.

    "Kinder werden allemal geboren." Das war die Überzeugung Konrad Adenauers in den 50er Jahren. Über Jahrzehnte begnügte sich der Staat damit, ein Kindergeld einzuführen, es zaghaft zu erhöhen, später Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld zu gewähren. Ansonsten förderte er durch die Steuergesetzgebung vor allem die Hausfrauenehe. Während Länder wie Finnland, Schweden, Dänemark und Frankreich über drei Jahrzehnte ein verlässliches System der Kinderbetreuung aufbauten, stritt man in Deutschland darüber, an welchem Leitbild sich Familienpolitik orientieren sollte: Kind und Küche oder Kind und Karriere. Daran hat sich selbst in den zurückliegenden Jahren der rot-grünen Bundesregierung nichts Grundlegendes geändert. Das gibt auch die Grünen-Politikerin Katrin Eckhardt-Göring zu:

    Natürlich hat die Bundesregierung mit Kindergeld, mit Steuern, mit Rentenanwartschaften für Eltern und so was relativ viel gemacht in den letzten vier Jahren. Aber das entscheidende Problem ist sie nicht angegangen, aus einem einfachen Grund, weil sie nicht zuständig dafür ist. Dafür sind Länder und Kommunen zuständig. Aber genau da ist der Bruch, dass Kinder immer bei einer Zuständigkeitsgrenze durch den Rost fallen, und wir am Ende keine Verbesserung der Situation kriegen.

    In der föderal organisierten Bundesrepublik ist die Bundesregierung dafür zuständig, die familienpolitischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Über die Bereiche Jugend und Schule allerdings wird in den Ländern entschieden – eine Falle, die seit Jahren quasi jede Reform im Bildungswesen unmöglich macht. Dass hier Nachholbedarf besteht, beklagte jüngst auch Bundeskanzler Gerhard Schröder.

    Ich glaube, es ist wirklich unserer Gesellschaft nicht entsprechend, auch dem Reichtum in unserer Gesellschaft nicht entsprechend, wie wenig zeitlich flexible Kinderbetreuungsmöglichkeiten wir gerade in Deutschland haben. Da sind andere europäische Länder weiter als wir.

    Allen voran Frankreich. Dort können sich Mütter und Väter auf die staatliche Ganztagsbetreuung für ihre Kinder verlassen - vom dritten Lebensjahr bis zum Ende der Schulzeit. Fast 70 Prozent der hochqualifizierten Frauen bleiben auch als Mütter mit kleinen Kindern ganztags berufstätig; selbst Frauen mit zwei oder drei Kindern erreichen die höchsten Führungsebenen in Politik und Wirtschaft. An ihrer Mütterlichkeit wird deshalb nicht gezweifelt. In einem solchen Klima werden dann auch wirklich Kinder geboren. 1,9 pro Frau sind es in Frankreich laut Statistik. Das ist europäischer Höchststand.

    Anders die Situation in Deutschland. Hier bringt eine Frau im statistischen Mittel 1,3 Kinder auf die Welt. Nur noch Spanien weist in Europa mit 1,2 eine schwächere Geburtenrate auf. Jede dritte nach 1960 geborene Frau bleibt hierzulande mittlerweile kinderlos, bei den Akademikerinnen sind es 40 Prozent. Seit den 60er-Jahren zeichnet sich dieser Trend ab und wurde zunächst nur als die individuelle Entscheidung einzelner betrachtet. Inzwischen erschüttert die Kinderlosigkeit die Grundfesten der Gesellschaft. Personalmanager und Politiker beginnen das allmählich zu begreifen, meint André Habich, Professor für Sozialethik und Gesellschaftspolitik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt:

    Es geht natürlich darum, Standortfaktor Deutschland. Es geht um Nachwuchskräfte. Wir haben heute schon gravierenden Nachwuchsmangel in vielen Bereichen. Wir werden das jetzt in den nächsten Jahren noch ganz dramatisch erleben, wie sich das verschärft. Und von daher haben viele Unternehmen umgedacht und treten den Politikern zum Teil auf die Füße und sagen, hier muss etwas passieren.

    Schon jetzt fehlen – trotz hoher Arbeitslosigkeit – in einigen Bereichen qualifizierte Fachkräfte. Dieser Mangel wird sich binnen kürzester Frist enorm verschärfen. Denn in Deutschland wächst nur noch die Bevölkerungsgruppe über 65. Der Anteil junger Menschen hingegen schrumpft kontinuierlich. Setzt sich diese demographische Entwicklung fort, wird sich die deutsche Bevölkerung bis zum Jahre 2080 halbiert haben und überaltert sein. Das bestehende Renten- und Steuersystem kippt, die gesamte Infrastruktur kollabiert; Arbeitskräfte, Wissen und Kapital werden zur Mangelware.

    Angesichts dessen wird Familienpolitik zunehmend vom weichen zum harten Wirtschaftsfaktor, rückt vom Rand ins Zentrum der Gesellschaftspolitik. Entsprechend umwerben Politiker aller Couleur die Eltern der rund 16 Millionen Kinder und Jugendlichen in Deutschland, um sie als Wähler für ihre Politik zu gewinnen:

    Wir wollen ein Familiengeld von 600 Euro pro Kind und Monat für die ersten drei Monate für die ersten drei Lebensjahre, von 300 Euro bis zur Volljährigkeit und danach in der Ausbildung von 140 Euro pro Monat. Wir wissen, dass das eine enorme finanzpolitische Kraftanstrengung erfordert. Diese zusätzlichen Leistungen müssen an anderer Stelle eingespart werden.

    ... verspricht Friedrich Merz für die CDU/CSU. In mehreren Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung inzwischen dazu verpflichtet, die ökonomische und rechtliche Benachteiligung von Familien abzubauen. Mit dem geplanten Familiengeld würde die Union tatsächlich die Leistung der Eltern besser honorieren, als es bisher durch das Kindergeld geschieht. Dennoch stößt dieser Vorschlag bei vielen Betroffenen auf wenig Gegenliebe - so auch bei Sonja Roth.

    Es ist dann ja ein Stückweit so, dass sie damit wieder die Mütter zu Hause halten. Es ist ja ganz klar, dass sie dann sagen, sie kriegen mehr Geld für ihre Kinder und dann müssen sie nicht mehr arbeiten gehen und das kann ich überhaupt nicht unterstützen.

    Doch so wollen sich CDU und CSU nicht länger verstanden wissen. Sie akzeptieren, dass Väter nicht mehr alleinige Ernährer sein wollen und können und dass Eltern Hilfe brauchen, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Deshalb verspricht ihr Wahlprogramm vielfältige, an Bedarf und Elternwillen orientierte Betreuungsmöglichkeiten - von Kinderkrippen bis zu Ganztagschulen, betont Katharina Reiche, Expertin für Familienpolitik im Kompetenzteam von Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber.

    Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für uns ein wesentlicher Baustein. Das Familiengeld soll einen Beitrag dazu leisten. Ich persönlich möchte keiner Frau vorschreiben, wie lange und wie intensiv sie sich um ihr Kind kümmern kann. Wenn sich eine Frau für ihr Kind und für die Erziehungsleistung entscheidet, soll dies genau so möglich sein, wie eine Frau sagt: Ich nutze dieses Geld und bezahle davon eine Betreuung für mein Kind außerhalb meines Haushaltes. Beide Dinge müssen möglich sein, und da leistet das Familiengeld einen ganz wesentlichen Beitrag. und auch dafür, dass Kinder aus der Sozialhilfe rauskommen und kein Armutsrisiko für die Familie mehr sind.

    Die Union plädiert für Wahlfreiheit. Es ist der Versuch, weit auseinander liegende Positionen aufzufangen. So wird die Union auch den Forderungen der Kirchen gerecht. Die Deutsche Evangelische Allianz etwa sieht die Gefahr, dass Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen, in Zukunft benachteiligt sein könnten. Auch der Familienbund der Katholiken betont, Familienarbeit müsse wie Erwerbsarbeit anerkannt werden. Zugleich fordert der katholische Verband einen Rechtsanspruch auf "Betreuung und Erziehung" in öffentlichen Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren. Auch hier also das Plädoyer für Wahlfreiheit. Dieser Wunsch aber - meinen Skeptiker - entspricht vor allem einem Interesse der Eltern, einem Anspruch der Erwachsenen, dem nun schon seit Jahrzehnten die Bedürfnisse der Kinder geopfert werden. Auch der Volkswirtschaftler Stefan Sell sieht das so:

    Wir brauchen auf alle Fälle eine kindbezogene Bildungs- und Betreuungsdiskussion. D.h. wir müssen uns zu aller erst mal die Frage stellen, was würde den Kindern denn gut tun. Ist z.B. die Ganztagsbetreuung, die möglicherweise bei dem anderen Kind gar nicht notwendig ist, weil es in einer vollständigen Familie mit 2 oder 3 Geschwistern aufwächst, ist vielleicht gesamtgesellschaftlich vielleicht trotzdem gerade deshalb notwendig, weil immer mehr Kinder allein gelassen werden, verwahrlosen, das Fernsehen sozusagen den Hauptpunkt der Tagesaktivitäten gestaltet. Die PISA-Studie hat gezeigt, es gibt 15-Jährige, da gibt es über 20 Prozent, die länger als fünf Stunden jeden Tag Fernsehen gucken. Wenn wir diese Befunde wissen, müssen wir uns auch die Frage stellen, bieten wir diesen Jugendlichen auch Alternativen?

    Die Frage ist: Kann und darf es den Familien allein überlassen bleiben, ob und wie sie ihre Kinder fördern? Oder muss auch die Gesellschaft als Ganzes für Betreuung und Bildung der Kinder Sorge tragen. Und wenn ja, wie? Bundeskanzler Gerhard Schröder formuliert die familienpolitischen Prioritäten der SPD so:

    Ich denke, in der Familienpolitik gibt es im Augenblick nichts wichtigeres, als den Ausbau der Kinderbetreuung zu forcieren, und das wird der Schwerpunkt unserer Familienpolitik in der nächsten Legislaturperiode sein.

    Mehr Engagement also für die Jüngsten. Noch im Frühjahr hatte sich Schröders Familienpolitik dagegen in dem Versprechen erschöpft, das Kindergeld stufenweise auf monatlich 200 Euro zu erhöhen.

    Die FDP will die Familienarbeit auf andere Weise honorieren: Sie will für Kinder die gleichen steuerlichen Freibeträge gewähren wie für Erwachsene – ein Vorteil, der nur den etwa 10 Prozent der Besserverdienenden in diesem Land etwas nutzen würde. Gleichzeitig betont die Partei in ihrem Bürgerprogramm:

    Eine bessere Ausstattung mit Kinderbetreuungsplätzen ist eine wichtige Aufgabe, der sich Politik zwingend stellen muss.

    Das sehen die Grünen ebenso. Die Bundestagsabgeordnete Katrin Eckhardt-Göring erklärt:

    Das eine ist, wir müssen gucken, dass wir ein flächendeckendes Angebot bekommen. Das ist in Brandenburg ganz gut. In Bayern ist es ganz schlecht. Da geht es erst mal darum, dass Eltern händeringend nach einem Angebot für Kinder suchen. Das muss erst mal sein. Wenn ich sage "erst mal", dann meine ich zugleich auch, lasst uns nicht jetzt Angebote schaffen, die geradeso ausreichen, aber bei Qualität wieder hinterher hinken. Da haben wir in 10 Jahren die nächste PISA-Studie. Da ist der Turm aber schon ungefallen. Das können wir uns nicht leisten.

    Grüne und FDP setzen sich dafür ein, Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten besser als bisher auszubilden. Nach ihrer Vorstellung soll der Kindergarten beides leisten: Betreuung und Bildung. Außerdem soll zumindest die Halbtagsbetreuung im Kindergarten kostenfrei sein, fordern die Grünen.

    Auch für die etwas älteren, für die Grundschulkinder, muss sich etwas ändern: Da sind SPD, Grüne und FDP einer Meinung. SPD und Grüne sehen die Lösung in flächendeckenden Ganztagsangeboten an Schulen. Die FDP plädiert dagegen für Horte an allen Grundschulen – zum einen weil sie gegen eine einfache Verlängerung der Halbtagsschule ist, zum anderen, weil sie den Eltern die Entscheidung über die Ganztagsschule überlassen will.

    Mit jährlich einer Milliarde Euro will die SPD – im Falle eines Wahlsieges - in den kommenden vier Jahren den Ausbau von Ganztagseinrichtungen für Kinder aller Altersgruppen fördern, kündigte Gerhard Schröder im Frühjahr an. Die Länder werden dieses Geld dringend brauchen.

    Das Saarland hat die ersten Reformschritte bereits beschlossen: Das letzte Kindergartenjahr ist dort schon seit zwei Jahren beitragsfrei. Und – weil es um Bildung geht – wird die Verantwortung für die Angebote vom Sozial- auf das Kultusministerium übertragen. In Rheinland-Pfalz werden zum neuen Schuljahr die ersten von 300 geplanten Ganztagschulen eröffnet; und auch in Brandenburg, Bayern und Baden-Württemberg werden neue Ganztagschulen aufgebaut, zunächst vor allem für hochbegabte oder sozial benachteiligte Schüler.

    Doch die Förderung von Kindern darf eben nicht davon abhängen, dass man zufällig im richtigen Bundesland lebt. Vertreter von Bund, Ländern, Kommunen und Wohlfahrtsverbänden müssen sich an einen Tisch setzen und beraten, wie die Kinderbetreuung bundesweit nachhaltig verbessert werden kann. Auch die Kommunen sehen sich familienpolitisch gefordert. Sie brauchen aber Geld vom Bund, wenn sie ihre Betreuungsangebote ausbauen wollen, sagt Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund.

    Vier Milliarden Euro in vier Jahren ist für mich keine ernsthafte Beteiligung. Das heißt für mich nämlich eine Milliarde auf 16 Bundesländer. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Das bringt nichts. Da muss der derjenige, der über die besten Steuereinnahmen verfügt und der auch den höchsten Nutzen von einer vernünftigen Tagesbetreuung qualitativ und quantitativ haben wird – das ist der Bund - da muss der Bund sich auch beteiligen.

    Zusätzliche 10 Milliarden Euro pro Jahr wären nötig, um bis 2006 hierzulande ähnliche Angebote zu schaffen, wie sie in Frankreich, Dänemark und Schweden selbstverständlich sind. Das errechnete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Die Grünen veranschlagen in ihren Wahlprogramm jährlich 5 Milliarden Euro. Sie wollen dafür - wie auch SPD und PDS - das Ehegattensplitting beschneiden und in ein Realsplitting verwandeln. Dagegen verwahrt sich die Union. Um das von ihr geplante Familiengeld zu finanzieren, überlegt sie, die Sozial- und Arbeitslosenhilfe zu kürzen. In der Tat nehmen sich die veranschlagten 5 bzw. 10 Mrd. Euro bescheiden aus, wenn man bedenkt, dass die Bundesanstalt für Arbeit allein für die berufliche Weiterbildung Erwerbsloser jährlich 7 bis 8 Milliarden Euro ausgibt – Investitionen mit vergleichsweise vagen Wirkungen.

    Sich auf solche Summen einzulassen, hieße klar Position zu beziehen für die Förderung von Kinder und Familien. Davor schrecken die in den Zeithorizonten von einer Wahlperiode agierenden Politiker allerdings zurück.

    Uns fehlt ein grundsätzliches betriebs- und volkswirtschaftliches Verständnis dieser Thematik im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse...

    ... argumentiert der Ökonom Stefan Sell.

    Natürlich haben wir Kosten, wenn wir in Bildungseinrichtungen investieren, wenn wir in Betreuung investieren. Aber wir haben auch Nutzen, die aus diesen Angeboten resultieren. Die Nutzen werden aber bisher kaum erfasst, wurden noch nicht mal diskutiert. Wir werden erst dann einen Durchbruch bekommen, wenn uns klar wird, wie beispielsweise eine Schweizer Untersuchung aus der Stadt Zürich für jeden investierten Franken in eine Kindertagesstätte etwa 4 Franken als zusätzlichen Nutzen der Gesellschaft zurückfließen. Erst wenn uns die Bedeutung dieser Investition in Humankapital, und darum handelt es sich aus ökonomischer Sicht, klar wird, wird auch der Öffentlichkeit klar, dass es sich lohnt in diesen Bereich zu investieren.

    Und ganz ähnlich sieht es der Sozialethiker André Habich von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt:

    Wenn wir es nur unter Kostengesichtspunkten diskutieren, verlieren wir hier aus dem Blick, dass wir irgendwann, eine Rechnung zu bezahlen haben, die wir jetzt noch gar nicht sehen. D.h. natürlich brauchen wir eine Veränderung unserer sozialpolitischen Strukturen, eine Stärkung von Familien, eine stärkere Berücksichtung dessen, dass Familien für die sozialpolitischen Probleme des 21. Jahrhunderts – Stichwort Individualisierung, Desintegration – immer wichtiger werden. Eine Berücksichtung auch in den Rentenversicherungssystemen. D.h. in dieser Weise unsere ganzen Sicherungs- und Finanzierungssysteme auf Familien und deren Bedürfnisse umzustellen, das gehört gerade auch zur Familienkultur dazu. Das ist ein wichtiger Bereich, in dem die Politik ihre Hausaufgaben machen muss.