Freitag, 19. April 2024

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Kinderbuchklassiker
Wie umgehen mit dem N-Wort in "Jim Knopf"?

Kinderbücher wie "Jim Knopf" aus dem Lesekanon zu streichen, weil darin das N-Wort vorkommt, "wäre schon eine extreme Zensur", sagte Heike Gfrereis vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach im Dlf. Pädagogische Fachkräfte könnten aber in einem Workshop lernen, mit den Textstellen umzugehen.

Heike Gfrereis im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 08.03.2021
Lesen macht Spaß: Der zwölfjährige Tobias hat sich am 3.8.2000 in seinem Zimmer in Stuttgart in Michael Endes Welterfolg "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" vertieft. Das Kinderbuch feierte am 9. August 2000 seinen 40. Geburtstag. Bis heute wurde der Bestseller in 25 Sprachen, darunter litauisch und koreanisch, übersetzt und drei Millionen Mal verkauft.
"Jim Knopf" - früher ein unumstrittener Kinderbuchklassiker (picture-alliance / dpa | Norbert Försterling)
"Pippi Langstrumpf" von Astrid Lindgren oder "Jim Knopf" von Michael Ende sind Kinderbuchklassiker - zeitlose Geschichten, die aber auch unliebsame Spuren ihrer Entstehungszeiten tragen. Formulierungen und Bezeichnungen, die einst niemanden aufhorchen ließen, werden heute – mit wachem Blick für Diskriminierungen – kritisch beäugt. Soll man diese Bücher also aus dem Literaturkanon streichen, weil darin zum Beispiel das N-Wort vorkommt?
Heike Gfrereis, Leiterin der Museumsabteilung in Marbach und auch zuständig für die Bildungsprogramme, lehnt diese Option kategorisch ab. "Das würde heißen, Geschichte zu verfälschen", sagte sie im Dlf. Und ohne Literaturgeschichte könne man Literatur nicht richtig verstehen. "Das wäre schon eine extreme Zensur." Schließlich hätten solche Bücher über Generationen hinweg Bilder und Lebenshaltungen geprägt.

N-Wort nicht schwärzen, sondern ansprechen

Diese Klassiker sollten nach Ansicht der Literaturwissenschaftlerin also weiter mit Kindern und auch von Kindern gelesen werden - allerdings sollte man mit den Kindern über die kritischen Stellen sprechen. Das Deutsche Literaturarchiv Marbach und das Linden-Museum Stuttgart bieten dazu derzeit eine virtuelle Fortbildung an – für pädagogische Fachkräfte, Erzieher und Lehrerinnen. Überschrift: Koloniale Spuren in der Kinderliteratur.
"Sprache an sich ist nicht diskriminierend, aber in dem Moment, wo Wörter diskriminierend verwendet werden und auch ein Bewusstsein dafür da ist, dass ein Wort verletzend ist, müssen Wege gefunden werden, wie man sich gemeinsam darüber unterhält", so Heike Gfrereis.
Der Forderung von Aktivistinnen und Aktivisten, nicht einmal mehr "N-Wort" zu sagen, erteilte Gfrereis genauso eine Absage wie dem Schwärzen der heute als diskrimininierend empfundenen Wörter in Texten. "Mit einer Gegenzensur erreicht man, wenn man aufklären will, gar nichts." Man müsse Zwischenwege finden.
Wie so eine politisch korrekte Auseinandersetzung mit Kinderbüchern konkret aussehen kann, ist bei Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern offenbar von großem Interesse. Die Fortbildung ist ausgebucht, eine Fortsetzung angedacht. "Bei der Fortbildung soll nicht von oben herab etwas gelehrt werden, sondern wir wollen gemeinsam Wege finden."