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Kinderdarstellung in der Entwicklung

Gemälde mit Kindern aus dem 16. Jahrhundert zeigen die jungen Menschen als kleine Erwachsene. Das Oldenburger Landesmuseum ermöglicht mit der Ausstellung "Kinderzeit" einen Einblick in die sich wandelnde Wahrnehmung von Kindern durch die Jahrhunderte.

Von Rainer Berthold Schossig | 28.01.2013
    Das Antlitz der Sechsjährigen ist noch im Werden, linke und rechte Gesichtshälfte sind beunruhigend ungleichmäßig; die übergroßen, braunen Augen schwimmen unsicher und erwartungsvoll, sanft aber klar im Zentrum dieses Bildes, auf dem der Maler Lovis Corinth vor 100 Jahren seine Tochter Wilhelmine frisch und frank, zugleich sehr gefühlvoll festgehalten hat. Eine Jahrhunderte lange Entwicklung abendländischer Kinderdarstellung scheint hier zu einem gewissen End- und Höhepunkt gekommen: das Kind auf Augenhöhe. Michael Reinbold vom Oldenburger Landesmuseum erklärt, warum die Besucher dieses Gemälde so mögen:

    "Es ist sehr ansprechend, wie Corinth das sehr schnell heruntermalt, auch das Gesicht spricht einen durch die großen Augen stark an und diese Unregelmäßigkeiten der Proportionen. Das ist ein Bild, was eine individuelle Person darstellt. Da ist nichts geschönt, und das Bild frappiert!"

    Wer die Ausstellung betritt, spürt sofort, mit wie viel Hoffnung und Sorge, Liebe und Stolz die Kinder von Anfang an begleitet wurden. Die Bildnisse aus dem 16. Jahrhundert machen aus Kindern kleine Erwachsene, erschreckend alte Zwerge in repräsentative Kleidchen und Höschen gezwängt, durchweg ernst, oft traurig. Zarte Mädchen sind bereits sorgende Puppen-Hausmütter und Knaben im Windelalter tragen Harnisch wie Heerführer, zu sehen auf einem appetitlich gemalten Knabenporträt von Francesco Salviati. Im Laufe der Zeit verändert sich allerdings der Blick, vor allem im bürgerlichen Familienbild.

    "Das ist interessant, wenn man sieht, wie sich die Darstellung von Kindern verändert, vor allem im 18. Jahrhundert, als – bedingt durch die Aufklärung und Rousseau – dann plötzlich eine moderne Sichtweise aufs Kind sich durchsetzt und Kinder auch anders dargestellt werden können als nur Personifikationen oder verkleinerte Erwachsene."

    Im 18. und 19. Jahrhundert kommen weniger feudale Stammhalter als vielmehr umhegte, verzärtelte oder pädagogisch überforderte Sprösslinge ins Bild. Der Düsseldorfer Maler Gustav Adolf Köttgen stellt seine beiden wohl genährten Kinder in feinem Zwirn dar, davor ein reich gedecktes Kindertischchen, bestückt mit Törtchen und Keksen, Tässchen, Schälchen und Töpfchen, dazu eine ganze Puppenküche. Der Knabe hält stolz eine – noch leere – Schiefertafel. Er wird Lesen und Rechnen lernen, ein großer Wissenschaftler werden, seine Schwester als züchtige Hausfrau walten. Auch diese Kinder sind nicht bei sich, das Spielzeug ist ihnen äußerlich, ihre Rollen sind von den Erwachsenen vorgedacht. Dies ändert sich erst mit dem Aufkommen einer sozialkritischen Sichtweise an der Schwelle zur Modern. Die Maler suchen Hinterhöfe, Armen- und Waisenhäuser auf. Paula Modersohn-Becker, Josef Scharl und Konrad Felixmüller prangern Vereinsamung und Verwahrlosung, Kinderarbeit und mangelnde Hygiene an. Kinder werden zu Belegexemplaren:

    "Bei einem Großteil ist es so, dass die Kinder nicht um ihrer selbst willen dargestellt sind. Das ist sogar bei Wilhelm Busch so, wo man meinen könnte, der nimmt sich des Kindes schon in einer anderen Weise. Auch Wilhelm Busch ist ein Maler, der Kinder moralisierend darstellt: Das Kind ist im Grunde genau so schrecklich wie der Erwachsene."

    Eigensinnige Kinder sind selten. Wie fremd, wie unverfügbar Kinder sind, zeigt ein fürsorglich verschnürtes Wiegenkind auf weißem Spitzenkissen, kurz nach dem Dreißigjährigem Krieg gemalt. Es ist blass, hat die Augen geschlossen und die Hände gefaltet – es ist tot.