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Kinderlose sollen stärker zur Kasse gebeten werden

Meurer: Ab dem 1. Januar 2005 sollen Kinderlose höhere Beiträge in der Pflegeversicherung bezahlen, voraussichtlich 0,25 Beitragspunkte mehr. Auch wenn es für den einzelnen nur ein paar Euro monatlich sind, jährlich kämen damit rund 800 Millionen Euro zusammen. Dieser Vorstoß von Rot-Grün spaltet Deutschland naturgemäß in zwei Lager. Die Kinderlosen haben wenig Lust, neben Ehegattensplitting, Kindergeld und anderem mehr, auch noch bei der Pflege zur Kasse gebeten zu werden, und Eltern mit Kindern finden die Idee naturgemäß gut. Natürlich hätten sie aber lieber gesehen, sie selbst würden bei den Beiträgen entlastet. Das nämlich hatte das Bundesverfassungsgericht gefordert. Am Telefon begrüße ich nun Professor Bert Rürup, Mitglied im Sachverständigenrat. Herr Rürup, in Ihrer Kommission, der nach Ihnen genannten Rürup-Kommission, waren Sie ja dagegen, dass Kinderlose einen höheren Pflegebeitrag bezahlen. Warum?

    Rürup: Na ja, das ist meines Erachtens die ordnungspolitisch nicht richtige Antwort. Was jetzt bekannt geworden ist, was Sie eben beschrieben haben, ist natürlich keine Reform der Sozial- und Pflegeversicherung, sondern nur eine kurzfristige und notwendige Antwort auf das Urteil des Verfassungsgerichts von 2001, in dem, wie gesagt, eine einnahmeseitige Begünstigung der Erziehenden ab 2005 vorzusehen ist. Die vorgesehene Erhöhung des Arbeitnehmeranteils für Kinderlose ist eine mögliche aber doch irgendwie etwas eigenwillige Interpretation dieses Urteils, und ich halte diese Antwort konzeptionell und ordnungspolitisch nicht für überzeugend, also die relative Entlastung der Erziehenden durch eine Belastung der Kinderlosen herzustellen. Allerdings - auch das muss man sagen - realpolitisch sehe ich angesichts der desolaten fiskalischen Situation und Perspektive sowohl beim Staat als auch bei der Pflegeversicherung leider keine Alternative zu diesem Vorgehen. Damit wird natürlich - auch das muss man sagen - die eigentlich dringend erforderliche Reform der Pflegeversicherung in die nächste Legislaturperiode verschoben. Hierbei handelt es sich um eine Notoperation.

    Meurer: Das soll ja eben später kommen. Der Bundeskanzler hat im Moment wenig Neigung, sich sozusagen neuen Ärger an den Hals zu holen. Aber sind höhere Beiträge für Kinderlose nicht einfach gerecht?

    Rürup: Na ja, es kommt jetzt ganz darauf an, wen man in die Verantwortung für die Familienpolitik setzt. Also ich denke, Familienpolitik ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe sollte von der Allgemeinheit und damit über das Steueraufkommen finanziert werden. Deswegen waren wir damals in der Kommission der Ansicht, dass die beste Alternative ein steuerfinanziertes Kindergeld zur beitragsseitigen Entlastung wäre. Die zweitbeste Alternative wäre natürlich eine Entlastung der Erziehenden in der Pflegeversicherung. Das hätte aber die Erosion der finanziellen Grundlagen noch weiter beschleunigt. Wir haben gegenwärtig schon jährlich wachsende Defizite. Wenn man nichts tun würde, wäre es 2006 so weit, dass dann das Mindestreservesoll unterschritten würde und dass man dann den allgemeinen Beitragssatz hätte anheben müssen. Auch vor diesem Hintergrund muss man diese Interpretation des Urteils verstehen. Man will eben auch Geld in die Kassen der Pflegeversicherung spülen. Noch einmal: konzeptionell und ordnungspolitisch nicht sehr überzeugend, und die eigentlichen Probleme der Pflegeversicherung, sowohl die auf der Leistungsseite als auch auf der Finanzierungsseite in punkto Nachhaltigkeit werden damit nicht angegangen.

    Meurer: Aber noch mal zu Ihrem Modell: Wie hoch soll denn das steuerfinanzierte Kindergeld sein?

    Rürup: Das ist eine politische Entscheidung. Auf jeden Fall müsste es so sein, dass eine relevante Entlastung der Beiträge in der Pflegeversicherung realisiert wird. Man könnte da an eine Größenordnung von 5 Euro oder ähnliches denken, aber es kommt auf das Konzept an, und diese Möglichkeit hat man gegenwärtig nicht ergriffen. Ich verstehe es. Herr Eichel hat kein Geld. Er kann keine Steuermittel mobilisieren, und deswegen hat man sich zu dieser internen Lösung durchgerungen.

    Meuer: Gegen Ihr Modell gibt es ja den Vorbehalt, Kindergeld kriegen viele Eltern nicht mehr, wenn die Kinder älter sind als 20, 25 und nicht mehr in der Ausbildung sind?

    Rürup: Das würde genau dem Urteil des Verfassungsgericht entsprechen. Hier ist eine Entlastung der Kinder während der Erziehungsphase angedacht. Das wäre eigentlich genau richtig.

    Meurer: Aber dann werden Eltern, die sagen, ich habe doch Kinder großgezogen, sich benachteiligt fühlen, wenn sie plötzlich doch wieder höhere Beiträge für die Pflegeversicherung bezahlen müssen.

    Rürup: Sie müssen keine höheren Beiträge, sondern die normalen Beiträge bezahlen, sie kriegen nur den Zuschlag nicht mehr. Aber noch einmal: In dem Urteil heißt es, während der Erziehungsphase muss eine beitragsseitige, einnahmeseitige Entlastung erfolgen. Wenn man das Urteil ganz eng liest, so könnte man daraus lesen, dass eigentlich nur eine Reduzierung der Beiträge der Pflegeversicherung daraus abzuleiten ist, das heißt, dieser steuerpolitische Zuschuss wäre schon eine Ausweitung, das muss man schon sagen. Aber, ich denke, eine ordnungspolitisch korrekte Ausweitung, nämlich ökonomisch überzeugt dieses Urteil zur Pflegeversicherung nicht. So wichtig es ist, Kindererziehung zu honorieren, so falsch ist es meines Erachtens, das über das Beitragssystem der Sozialversicherung zu machen. Dafür ist das Steuersystem verantwortlich.

    Meurer: Wenn wir uns grundsätzlich über die Zukunft der Pflegeversicherung unterhalten, da haben Sie vorgeschlagen, dass vor allen Dingen die Rentner selbst mehr bezahlen sollen. Kann aber den Rentnern noch mehr als jetzt schon aufgebürdet werden?

    Rürup: Das ist wohl eine gute Frage. Das, was wir in der Kommission zur Reform der Pflegeversicherung erarbeitet haben, war eigentlich, denke ich, ein relativ pfiffiges Modell, und es ist von allen Seiten gelobt worden. Wir wollten ja im Interesse der Nachhaltigkeit den Erwerbstätigen Freiräume eröffnen, damit sie Altersvorsorge betreiben konnten und aus diesem Altersvorsorgebetreiben eine zusätzliche Rente beziehen, die dann zu einer Belastungsglättung führt. Die Umsetzung unseres Vorschlags ist nach Lage der Dinge derzeit eigentlich nicht mehr möglich, und zwar insbesondere dadurch, dass zum 1. April diesen Jahres die Rentner den vollen Beitragssatz zur Pflegeversicherung zahlen müssen. Damit ist diese Möglichkeit, den Rentnern ein Solidarbeitrag abzuverlangen, und zwar als Kompensation dafür, dass sie in den Genuss der Pflegeversicherung kommen, ohne lange Vorleistungen getätigt zu haben, leider nicht realisierbar. Mit diesem Beitrag sollte eine Dynamisierung der Leistung finanziert werden und eben der allgemeine Beitragssatz abgesenkt werden, um ein Altersvorsorgesparen zu erlauben. Dieses ist gegenwärtig leider nicht möglich, und ich bin gespannt, wie man in der nächsten Legislaturperiode aus diesem Dilemma rauskommt.

    Meurer: Und wenn das nicht mehr möglich ist, sollte man da hingehen und sagen, wir können uns die Pflegeversicherung nicht leisten, wir müssen sie abschaffen?

    Rürup: Nein, das wird man natürlich nicht machen. Die Einführung der Pflegeversicherung war völlig richtig. Was problematisch war, war, als man Mitte der neunziger Jahre alle demografischen Probleme und ihre Konsequenz für umlagefinanzierte Systeme kannte, sie als eine soziale umlagefinanzierte Pflegeversicherung einzuführen. Das war wohl ein ökonomischer Fehler. Aber Abschaffen kann meines Erachtens nicht der Fall sein. Ich denke, die Zukunft wird in einem mischfinanzierten System liegen. Es gibt ja Vorschläge, die ganze Pflegeversicherung zu privatisieren, aber damit sind so gewaltige Umstiegskosten und Zusatzbelastungen einer Erwerbsgeneration verbunden, dass dieses eigentlich kein denkbarer Weg ist. Auch eine private Pflegeversicherung muss ja finanziert werden. Ich glaube, die Zukunft liegt in der Tat darin, dass wir versuchen werden, zu einer Glättung der Belastung über die Generationen hinweg zu kommen, indem wir, wenn es nicht mehr über eine Zusatzbelastung der Rentner geht, aber dann über eine staatliche Anschubfinanzierung, den Erwerbstätigen Freiräume erschaffen, eben hier kapitalgedeckt vorzusorgen. Das wird meines Erachtens der Weg der Zukunft sein. Eine Abschaffung ist meines Erachtens kein gangbarer Weg.

    Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.