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Kindermilchschnitte und Westarbeiter

znaju pravi put: Alles gut, alles gut

Von Wolf Oschlies |
    Werbung für ein Belgrader Kredit-Institut, jeden Abend im Serbischen Fernsehen zu bestau-nen: Ist das Deutsche – seit rund 1.500 Jahren in Osteuropa präsent und von Lenin einmal als allgemeine Slavensprache bezeichnet – jetzt zum Werbeträger avanciert? Offenkundig ja, wissen slowenische Kinder:

    Kinder-Pingui je super – Kinder-Pingui

    Heidnische Kulte, Bergbau, Militärwesen, Technik sind die größten Einfallstore für deutsche Wörter, die sich im Verlauf von anderthalb Jahrtausenden in Osteuropa nacheinander öffne-ten. Neuerdings kam die Ökonomie hin, die 2004 in aller Munde ist. Aus gegebenen Anläs-sen: Pravi Slovenac zna da kšeft je kšeft, befand die Mladina aus Ljubljana: Ein echter Slo-wene weiß, dass ein Geschäft ein Geschäft ist. Was auch Tschechen und andere wissen, die ebenfalls kšefty planen. Welche das sind, sagte vor kurzem die Warschauer Rzeczpopolita: Deutsche kaufen gern polnische grunty (Baugrundstücke) auf, vorwiegend in grenznahen ku-rorty und treiben die Preise hoch. Der polnische grunt ist der südslavische plac, der zwar auch deutsch ist, aber für Deutsche noch nicht interessant. Polen hingegen, die mitbieten wollen, haben einfach pech– welches deutsche Wort auch Tschechen und Serben geläufig ist. Glück aber hat der Russe, der im ukrainischen Kiew einen Job bekommt und sich nun stolz als vestarbajter fühlt. Deutsche, die in Polen Jobs suchen und finden, wurden vom Warschauer Wprost mit dem Neuwort gastpracownik geadelt: eine Kombination aus dem deutschen Gast und dem polnischen pracownik (Arbeiter) und so eine witzige Paraphrase des Gastarbeiters, der in Osteuropa ohnehin Germanismus des 20. Jahrhunderts sein dürfte (eventuell im Wett-lauf mit Realpolitik oder Kitsch). Merke: Schau den östlichen Nachbarn aufs (deutsche) Maul, aber wisse, das...

    nije za štamtiše
    ist nichts für Stammtische. Am wenigstens 2004, als unsinnige Besitzansprüche von Vertrie-benen böse Erinnerungen an jüngere Historie und deren Wortgut weckten: Einsatzstab, Füh-rerbefehl, Kulturkampf, Sonderbehandlung etc. – solche Begriffe muß man östlichen Zei-tungslesern nicht übersetzen. Sogar ihre aktuellen Probleme kleiden sie oft in diese Wortwahl:

    Oni su predlagali blickrig

    So der Belgrader Politiker Nebojša Čović über jüngste Konflikte mit Albanern, die Heiß-sporne per blickrig klären wollten. In Hamburg sei polnischen Familien Polnisch verboten, schäumte (deutsch) die polnische Presse, und verärgerte Väter fanden, to nowa forma Le-bensborn. Wer kennt bei uns noch die SS-Gebärheime Lebensborn? In Makedonien wurden ethnischen Reibungen im November gar als Dolchstoss gegen jeden Ausgleich empfunden.
    Der Belgrader Barde Đorđe Balašević hat’s weder mit Politik noch mit Regen, den er in sei-nem jüngsten Album am janker-štofna abrinnen lässt. Mit Textilien verbinden auch Moskauer Blätter den derzeitigen Konflikt in der Ukraine: Janukovičs Galstuk (Halstuch, also Krawatte) versus Juščenkos Schal. Und für Makedonen ist der Konflikt eh’ ...:

    Leitmotiv von Gipfeltreffen. Ein neues Kontrollsystem in der Moskauer Metro soll ein šlag-baum gegen Schwarzfahrer sein, Pisa-Sorgen hat auch Tschechien, wogegen kein biflovat (büffeln) hilft, vestici (Wessis) wären auch die Rumänen gern, während Russen oft nicht wis-sen, otkuda duet briz – woher die Brise weht. So klingt Deutsch allenthalben, neuerdings auch im Internet: Im tschechischen Mähren und im polnischen Schlesien sind Internet-Wörterbücher entstanden, die regionale Sprachkonventionen voller deutscher Wörter wieder-beleben. Und aus Moskau wendet sich ein Internet-Menü an alle Erfolgsbewussten. Erfolg heißt auf russisch uspech, aber der Zugang zum uspech öffnet sich nur über die unerwartete Adresse www.erfolg.ru.