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Kinderoper eines Nazi-Ideologen?

Keine zurechtgestutzte Oper à la "Zauberflöte für die Jüngsten” wollte das Münchner Gärtnerplatztheater den Kindern zur Weihnachtszeit vorsetzen. Es sollte eine "richtige” Kinderoper sein, und da wurde man fündig bei Cesar Bresgen, einem 1913 geborenen österreichischen Komponisten. Was im Programm von "Mann im Mond” nicht erwähnt wird, ist, dass Bresgen in der Nazizeit linientreue Propagandamusik schrieb.

Von Susanne Lettenbauer | 19.11.2007
    Der Skandal kam mit einiger Verzögerung, dann jedoch handfest. Erst musste das Publikum zusehen, wie der Intendant des Gärtnerplatztheaters Klaus Schulz vorzeitig aus dem Amt gedrängt wurde, dann folgte ihm Ulrich Peters nach, vorher Theaterintendant im gern bespöttelten Augsburg. In Zukunft, so Peters, wird das zweite Opernhaus Münchens, das in den vergangenen Jahren mit wegweisenden Uraufführungen bundesweit auf sich aufmerksam machen konnte, zur Volksoper mit neuem Schwerpunkt leichte Muse. Darunter die Oper "Der Mann im Mond”, 1960 in Nürnberg uraufgeführt, komponiert vom gefeierten Idol der Hitlerjugend und dem einstigen Chef der 1000köpfigen Musikschule für Jugend und Volk in Salzburg, Cesar Bresgen.

    "Ein spannendes Stück Theater”, verspricht das Haus am Gärtnerplatz lapidar auf seiner Webseite, ein Stück "das weit über den Moment hinaus zum Nachdenken anregt über den Umgang mit Macht, Versuchungen, Treue und Liebe”. Macht und Versuchung, diese Ankündigung bekommt bei dieser Oper einen ganz anderen Beigeschmack: Cesar Bresgen, geboren 1913, war musikalischer Berater für die Programmzusammenstellung der Hitler-Jugend beim Reichssender München. Er leitete das Kammerorchester des Nationalsozialistischen Lehrerbundes und der NS-Kulturgemeinschaft. Der Hitlerjugend trat Bresgen schon sehr früh bei, begeistert vom Volksgedanken. In Salzburg bereitete er bis Kriegsende seine Schüler "auf den kulturellen Einsatz an der Front” vor. Nie hat er sich von seiner Rolle im Dritten Reich distanziert. Diesen entscheidenden Punkt übergeht man am Gärtnerplatz geflissentlich, weil..:

    " ...wir zunächst einmal eine wirklich gute Kinderoper gesucht haben und haben sehr sehr viel gesucht und geguckt, was passt, was passt ins Ensemble, was passt ins Repertoire, was können wir gut besetzen und welche Oper gibt es, mit der man auch mit Kindern arbeiten kann, in Workshops, stückbegleitend, was auch immer. Irgendwann blieb dann Cesar Bresgen, ja, nicht übrig, aber es war der für uns sinnvollste Komponist, also haben wir gesagt, wir spielen diese Oper von Cesar Bresgen. Ganz banal eigentlich."

    Ganz banal mal eben, weil es an anderen Kinderopern in Deutschland mangelt - und die anspruchsvolle Oper "Brundibar” aus dem Ghetto von Theresienstadt zu kurz erschien - aus diesem Grund das Idol der Hitlerjugendbewegung Cesar Bresgen zu wählen, lässt in zweifacher Hinsicht aufhorchen:

    Zu wenige Komponisten beschäftigen sich heute mit Musik für die Jugend, weshalb oftmals wie in Köln die großen Opern zurechtgestutzt werden zu kindgerechten Formaten. Aus scheinbar lauter Not, und weil es eine Münchner Erstaufführung werden sollte, deshalb eine umstrittene Kinderoper ins Programm zu hieven und vorab beflissentlich auf eine "raffiniert einfache Musik”, Bresgens hinzuweisen, die "sehr klar strukturiert und melodiös wie harmonisch eingängig” das Herz des jungen Publikums erobern soll, ist entweder naiv oder fahrlässig. Selbst als Professor am Mozarteum Mitte der 1980er Jahre leistete sich Bresgen Momente, die seine Studenten, die noch immer nichts von der Vergangenheit des Professors wussten, alarmierten.

    Laurence Traiger, damals jüdischer Student aus New York am Mozarteum, lebt heute als Komponist in München und kennt eine Anekdote:

    "Cesar Bresgen hat angefangen, aus irgendeinem Grund, Dies irae zu singen und Antony, der afrikanische Student hat es dann weiter gesungen. In dem Moment hat Bresgen seine Augen weit aufgemacht, erstaunt geschaut und gefragt: Sie kennen das? Da hab ich verstanden, dass er gemeint hat, dass überrascht mich, dass ein Afrikaner diesen lateinischen Text auch kennt und singen kann."


    "Ich würde sagen, dass Bresgen sowohl ein Mitläufer als auch mitbestimmt und mitgearbeitet hat. Er war beides. Er sah vielleicht vieles, was er da getan hat außerhalb des ideologischen Rahmens und darauf berief er sich dann später. Er war ja "nur” Musiker, aber so einfach war das damals nicht zu trennen und wenn man seine Artikel, die er in diversen Zeitungen und Zeitschriften schrieb, wenn man sich die ansieht, dann merkt man doch, dass Bresgen ideologisch bewusst arbeiten konnte."

    So Musikwissenschaftler Thomas Nussbaumer vom Salzburger Mozarteum, der die Oper "Der Mann im Mond” lediglich als Gebrauchsmusik einstuft. Schaut man sich danach auch die Handlung genauer an, fallen Parallelen zu diktatorischen Regimen auf:

    Der Mann im Mond, einst verbannt von der Welt, ist auf dunkle Machenschaften auf der Erde aus. Er gelangt durch einen leichtsinnigen Prinzen zu den Menschen und sitzt seitdem als grausamer Kanzler neben der machtbesessenen Königin. Der Prinz, nun verbannt auf den Mond, kann nur durch die Heirat mit der Prinzessin erlöst werden und den Mann vom Mond besiegen. Kann dieses Libretto Zufall sein? Für Regisseur Holger Seitz jedenfalls passend genug, um damit Workshops für Kinder anzubieten.

    Die Intendanz des Gärtnerplatztheaters rudert mittlerweile halbherzig zurück und gibt sich belustigt über die Aufregung der Münchner. Bresgen wurde und wird in Leipzig aufgeführt, so die Begründung, seine Oper "Der Igel als Bräutigam" war ein Kultstück in der DDR. Spielte Bresgens Nazivergangenheit bereits damals keine Rolle? Sollten dann heute die deutschen Opernhäuser auch die gefälligen Musiktheaterwerke eines Kurt Schwaen oder Ernst Hermann Meyer spielen, ohne auf deren zwiespältige Vergangenheit als DDR-Staatskomponisten zu verweisen?

    Aufgrund des Druckes der Münchner Öffentlichkeit hat sich Intendant Peters jetzt entschlossen, doch über die Nazivergangenheit des Cesar Bresgen zu reden. In der Sonntagsmatinée zum Auftakt der Neuinszenierung wurde die Gelegenheit zur Diskussion angeboten.