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Kinderparadies Kranichstein

Über Jahrhunderte hinweg haben die jagdbegeisterten Landgrafen von Hessen-Darmstadt eine weitläufige Kulturlandschaft mit Park, Buchenwald und Fischteich geschaffen. Mittendrin stehen das Jagdschloss Kranichstein. Seit einem halben Jahr beherbergt das alte Bruchsteingemäuer ein modernes Experimentiermuseum, das Bioversum Kranichstein.

Von Anke Petermann |
    "Ist da was? Ja, da hinten ein Tausendfüßler. Komm raus, komm raus!"

    Vom Forschergeist beflügelt stochert Max mit einem langstieligen Plastiklöffel in einer Baumhöhle.

    "Das ist ein Mini-Tausendfüßler. Ja, ich hab ihn."

    Max lässt den Tausendfüßler in die Becherlupe plumpsen, die Christopher ihm hinhält. Der Wald lebt, und genau hinzuschauen lohnt sich, lernen die Darmstädter Gymnasiasten an diesem Morgen im Bioversum Kranichstein. Mit ihrer Forscherbeute legen sie den kurzen Weg vom Schlosspark zum Museum zurück. Im Museumslabor begutachten die Sechstklässler die Funde unter Binokularen, angeleitet von einem Biologen.

    "Warum sind die immer zusammen? Daniel guck, die fressen gerade was. Die hängen immer aneinander."

    Wie sich Bachflohkrebse aneinander klammern, wie eine Köcherfliegenlarve aus ihrem Sandhäuschen kriecht - aufregende Entdeckungen für die Zwölfjährigen. Die Sensation an diesem Morgen ist ein fingernagelgroßer Pseudoskorpion.

    "Den haben wir aber nur zufällig entdeckt, wo wir den Regenwurm und den Erdkäfer rausgeholt haben."

    Im Biologieunterricht nehmen die Sechstklässler soeben verschiedene Lebensräume durch, die Lehrerin freut sich, wie stark das Experimentieren im Bioversum ihre Schüler motiviert:

    "Bei einer Fortbildung war ich hier, aber mit einer Klasse bin ich zum ersten Mal hier - bin sehr begeistert, weil die Schüler selbst arbeiten können, sie kriegen es nicht vorgesetzt, sie können es selbst sammeln, das ist wirklich besonders. Zumindest die Begeisterung ist deutlich größer als im Unterricht."

    Davon werden wir noch eine Weile profitieren, konstatiert Ulrike Mahr. Wie Lebensräume vernetzt sind, wie Arten einwandern und aussterben - das zeigt das Darmstädter Bioversum auf kleinstem Raum, im Wildschutzgebiet Kranichstein und im alten Zeughaus.
    Herz der Ausstellung ist ein lebensgroßes Buchenwaldbiotop einschließlich Dachshöhle und Fuchsbau mit ausgestopften Tieren. Vögel zwitschern, Spechte klopfen. Viele Schüler rutschen bäuchlings um den riesigen Schaukasten herum, versuchen, durch Gucklöcher Einblicke in die sonst unzugängliche Unterwelt des Waldes zu erhaschen.

    "Also, hier ist einmal, wo das Weibchen den Bau verlässt und einmal die kleinen Babyfüchse."

    Nils, Christopher und Max begutachten halb fasziniert, halb angewidert den Zersetzungsprozess eines toten Eichhörnchens.

    "Uaääh - schon cool - da sind schon Maden."

    In drei auf Knopfdruck zu beleuchtenden Schaukästen liegt das Eichhörnchen erst fliegenübersät da, dann Aaskäfern ausgeliefert und schließlich pilzbesiedelt und bakterienzersetzt, fast dem Erdboden gleich. Der Kadaver - temporärer Lebensraum für 400 Arten.

    "Wir gliedern auch den Tod nicht aus, was schon zu starker Kritik geführt hat bei manchen Eltern..."

    ... , so Onno Faller, Kuratorin des Darmstädter Experimentiermuseums.

    "Wenn Kinder den Anblick eines verwesten Eichhörnchens nicht aushalten, sollten ihre Eltern sie auch nicht in den Wald lassen"

    , kommentiert Niels trocken. Wie sein Freund Max hat er die Entdeckungsreise sichtlich genossen, schauerliche Einblicke inklusive.

    "Warum gehen wir - nein, ich will nicht gehen."

    Unzufrieden ist Max nur in einem, nämlich, dass die Reise durch die Artenvielfalt nach fast drei Stunden endet.