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"Kinderstadt" für kleine Verbraucher

Geld ist kein Kinderwunsch, schrieb einst Sigmund Freud, der Nervernarzt, Psychiater und Begründer der Psychoanalyse. Hundert Jahre später lässt sich das so nicht mehr sagen. In der Wiener Kinderstadt "Minopolis" sollen die Kleinen einerseits konsumkritisch erzogen werden, lernen das aber mit Mitteln der Konsumtauglichkeit. Ganze Kindergarten-Busse fahren hin.

Von Beatrix Novy | 18.12.2005
    Kinder denken nicht immer ganz logisch. Sagt zum Beispiel die Mutter: Ich habe kein Geld dabei - vielleicht, weil sie dem Ansinnen, einen Schokoriegel zu erwerben, vorbeugen will -, dann rät das Kind: Kauf doch welches am Automaten! Woraufhin die Mutter sich zu einer länglichen Einführung in die Grundlagen der Ökonomie gezwungen sieht. Diesen pädagogischen Auftrag übernimmt in Wien ab sofort die Kinderstadt Minopolis - obwohl das Geld dort erstmal auch aus dem Automaten kommt. Hier aber heißt das Startkapital und es ist kein echtes Geld: Mit 110 Eurolinos versieht die Raiffeisenbank jeden der kleinen Besucher, bevor die in die simulierte Arbeitswelt von Minopolis ausschwärmen - in kleine Produktionsstätten, Lager und Geschäfte, untergebracht in einem Kinokomplex, dessen Betreiber sich bei der Größe etwas verkalkuliert hatte.

    Es gab schon diverse Projekte, mit denen Kinder aufs wirkliche Leben vorbereitet werden sollten. Begriff und Vorstellung von der Kindheit als eigenem, schutzwürdigen Lebensabschnitt gibt es erst seit etwa 200 Jahren; ein großer Fortschritt, aber mit einer Kehrseite: die fürsorgliche Ausgrenzung, die er mit sich brachte, wird den kindlichen Möglichkeiten auch nicht gerecht, besonders, seit durchgeplante städtische Umgebungen kaum noch Kontrolllücken übriglassen, in denen Kinder Erfahrungen machen können. Seit Jahren sucht man also nach Wegen, Kindern z.B. die Arbeitswelt nahe zu bringen, ohne den Kinderschutzparagrafen zu verletzen. Minopolis ist die erste dauerhafte Einrichtung dieser Art in Europa; sein Schöpfer ist keine städtische Jugendamtsabteilung, sondern ein privater Geschäftsmann, seine Geldgeber sind Sponsoren. Jene Unternehmen also, die Kinder, im Gegensatz zum pädagogischen Schutzraum-Konzept, immer schon für voll nahmen, weil sie es auf ihre Taschengeldmillionen und ihre Markentreue abgesehen haben. In Minopolis können Kinder zwischen 4 und 14 für ein paar Stunden richtig arbeiten: Bei der Feuerwehr löschen sie mit echtem Wasser falsche Brände, beim Bäcker backen sie echte Brötchen. Sie hämmern begeistert auf der Baustelle, dekorieren im Einrichtungsstudio, schreiben und drucken bei der Zeitung, verkaufen im Elektromarkt..und sie spielen Moderator im Fernsehstudio, das können sie am besten, weil da die Lücke zwischen Kinder-und Erwachsenenwelt sowieso schon geschlossen ist. Und wie im richtigen Leben tragen alle Geschäfte die bekannten Namen ihrer Sponsoren-Firmen: von Ikea bis zum ORF.

    Erwin Soravia, der Betreiber, nennt das Attention Marketing und findet es recht und billig: Wer anderer als die Kelly GmbH hätte ihm denn für eine Mini-Cornflakes-Fabrik 200000 Euro auf den Tisch gelegt? Andere sehen es nicht so locker. Hier werden Kinder auf Marken dressiert, sagen die Kritiker; nicht sie stehen im Vordergrund, sondern das Geldverdienen: die Kinderstadt als schlichtes Werbemodell. Ja, genau so ist es, und das kann auch eine offizielle Minopolis-Mappe mit pädagogischem Begleitmaterial nicht entkräften; diese schematische Auflistung "pädagogischer Ziele" und "Lehrplanbezüge" ist eigentlich nur komisch, sorgt aber dafür, dass Kindergärten und Schulen ihre Schutzbefohlenen unbesorgt in Richtung Kinderstadt in Bewegung setzen.

    Und das geht schon in Ordnung. In vier Stunden durchschnittlicher Verweildauer erleben die Kinder Freude und Stolz des Selbermachens, was diesen Abenteuerspielplatz immerhin zu einem besseren Abenteuerspielplatz macht. Eine simulierte Stadt ohne Logos wäre ja keine Stadt. Dass fehlende Vielfalt - vulgo: Wettbewerb - einen Markentreue-Reflex auslöst, ist eine Unterstellung, die unsere ausgefuchsten kleinen Marktteilnehmer doch sehr unterschätzt. Und den Ärger, am Ausgang durch einen Shop geschleust zu werden, in dem Eltern und Kinder "themenbezogen" Plüschtiere und Schnickschnack einkaufen können - den hat man an jeder Tankstelle. Für diese Lebensnähe im Maßstab 1:1 sollte man allerdings kein Eintrittsgeld bezahlen müssen.