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Kinderstube im Wattenmeer

Zwischen 30 und 80 verwaiste Seehunde werden jährlich in der Seehundstation Nationalpark-Haus Norddeich aufgezogen. Die Station ist zuständig für das gesamte Niedersächsische Wattenmeer, wo sich rund 6200 Seehunde tummeln.

Von Gaby Reucher |
    15 Uhr: Fütterungszeit, das wissen auch schon die ganz kleinen Heuler. Unsicher und noch etwas tapsig robben sie den Tierpflegern entgegen. Dabei sollen Sie gar keine große Bindung zum Menschen aufbauen, denn in der Zeit von August bis Ende Oktober werden sie wieder ausgewildert.

    Peter Lienau: "Insgesamt sind es dann neun bis zehn Wochen der Aufzucht, bis die Tiere von ihrem Anlieferungsgewicht von 8 bis 10 Kilogramm ein Auswilderungsgewicht von 25 Kilogramm und drüber erreicht haben und dann können wir sie wieder ins Wattenmeer hinausbringen."

    Die Jungtiere müssen sich in dieser Zeit ordentlich Fett anfressen, um fit zu werden für die offene See, erklärt Peter Lienau, Leiter der Seehundstation. Besucher dürfen die Fütterung der Tiere nur durch eine Panoramascheibe beobachten. Doch das macht nichts. Sattgefressen kommen die Heuler ganz dicht an die Scheibe geschwommen, spielen fangen und kratzen sich mit ihren Flossen am Bauch.

    Peter Lienau: "Sie sind nun einmal von so einer wunderschönen Lebensart. Das machen sie als Jungtiere auch gerne, ein bisschen raufen. Allerdings ist es tatsächlich bei den Säuglingen so. dass sie noch viel schlafen müssen und ab und zu fressen."

    Je kleiner die Seehunde, desto mehr Spaß macht es, ihnen dabei zuzusehen.
    Besucher: "Die haben sich immer gejagt und gärgert." "Die sind einfach niedlich, also ich find die süß."

    Durch eine andere Scheibe können die Besucher einen Blick in die Seehundküche werfen und sehen, wie das Futter zubereitet wird. Die ganz jungen Seehundbabys bekommen einen Muttermilchersatz mit hohem Fettanteil, denn die eigentliche Seehundmilch enthält 55 Prozent Fett. Nach zwei bis drei Wochen wird der erste Heringsbrei unter die Milch gemischt.

    Peter Lienau: "Und dann bekommen die Tiere die ersten kleinen Heringe und lernen dann das Fischfessen. Sobald sie selbständig fressen kommen sie jeweils immer in ein größeres Becken, so dass die sich immer mehr trainieren können und die letzte Stufe dann nach neun bis zehn Wochen ist in einem Auswilderungsbecken, wo sie viel Freiraum haben ordentlich zu schwimmen und dann schon in Nahrungskonkurrenz mit ihren Kollegen zu treten."

    Die Beckenanlage und die Futterküche sind für Besucher nicht zugänglich. Wer die Küche betritt muss vorher die Schuhe desinfizieren, und nach der Fütterung wird erst einmal alles mit dem Schlauch abgespritzt und ordentlich geschrubbt. Es riecht wie in einer Fischhalle. In einem Becken liegen schon die Heringe für die nächste Mahlzeit.

    Tim Fetting: "Da wird gerade der schockgefrorene Fisch wieder aufgetaut für die Seehunde. Der Fisch, den wir bekommen der wird direkt auf See schockgefroren, damit er ganz ganz frisch ist und die Seehunde ihn auch ohne Bedenken fressen."
    Tierpfleger Tim Fetting ist ständig im Einsatz bei der Futterzubereitung. Über 70 verlassene Seehundjunge hat die Station in diesem Sommer zur Hochsaison beherbergt. Dass die Kleinen ihre Mütter verlieren, dafür gibt es in der Hauptsache zwei Gründe:

    Peter Lienau: "Das sind starke Sommergewitter und leider wir als Menschen, die immer zu viel Interesse an den Tieren zeigen. Draußen im Wattenmeer sollte man nämlich viel Abstand zu den Tieren halten. Die Tiere flüchten einfach wenn man zu nah dran geht und dann kommt es zu diesen Trennungen."

    Deshalb steht im Nationalparkhaus an erster Stelle die Aufklärung. Die Mitarbeiter vom Bereich Umweltbildung halten Vorträge, leiten Wattwanderungen oder führen wie Sarah Studte durch die interaktive Ausstellung der Seehundstation.

    Da gibt es ausgestopfte Tiere, Simmulationen von Ebbe und Flut oder Fragespiele am Computer. Außerdem die sogenannte Sinnessäule:

    Sarah Studte: "Die ist auch ganz toll und zwar kann man hier verschiedene Sachen machen. Hier kann man feststellen, dass Seehunde einen ziemlich guten Geschmackssinn haben. Also sie wissen anhand des Salzgehaltes, befinde ich mich in Flußnähe oder weit draußen. Dann kann man halt sehen, wie ein Seehund sehen würde auf Land und unter Wasser. Können Sie auch gerne durchgucken, wenn sie Lust haben."

    So mancher ist erstaunt, was man über Seehunde alles erfährt.

    Besucher: "Die Sinnesorgane, wie unterschiedlich die im Vergleich zum Menschen sind. Dass die an Land schlechter sehen und im Wasser, in der Dunkelheit besser." "Das Gewicht, 100 bis 150 Kilo, das ist beachtlich, das hätte ich nicht gedacht." "Dass die tauchen können, aber wieder hoch müssen. Ich dachte, die können die ganze Zeit unter Wasser bleiben."

    Wer die Seehunde auch in freier Wildbahn erleben möchte, kann sich einer Seehundfahrt anschließen. Gerade durch die Schiffe werden die Tiere aber oft gestört. Umsichtige Kapitäne haben ein Zertifikat des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer erworben. Sie wissen, wie sie sich verhalten müssen. Einige der Ausflugsfahrten werden von Mitarbeitern des Nationalparkhauses kommentierend begleitet.

    Erklärungen vom Schiff: "Hier bei uns wird der Nationalpark in drei Zonen eingeteilt, zum einen in die Ruhezone, das ist die höchste Schutzzone und die ist ganz wichtig, damit die Seehunde geschützt werden, oder eben die Vögel in entsprechenden Schutzgebieten ...."

    Seit Juni dieses Jahres gehört das Wattenmeer zum Weltnaturerbe. Peter Lienau weiß, dass ein solcher Titel noch mehr Besucher anlocken wird und hofft, dass die Aufklärungsarbeit der Seehundstation Früchte trägt.

    Peter Lienau: "Das ist eine große Auszeichnung, die jetzt diese verschiedenen Nationalparke des Wattenmeeres erhalten haben. Wir glauben, dass es dann sicherlich für viele auch noch interessanter ist hierher zukommen, wichtig ist allerdings die vorher bereits existenten Vorgaben dringlich einzuhalten, dass also die Ruhezonen nicht betreten werden dürfen, dass man das der Natur überlässt, was dort auch passieren soll."