Dirk-Oliver Heckmann: Kinder in Armut: Wenn man dem Kinderschutzbund Glauben schenken darf - und der dürfte sich einigermaßen auskennen -, dann nimmt das Problem in Deutschland immer größere Ausmaße an. 2,6 Millionen Kinder im Alter von bis zu 18 Jahren lebten derzeit von Hartz IV oder Sozialhilfe. Wenn man noch jene Familien hinzunehme, die nur knapp über dieser Grenze leben, dann erhöhe sich die Zahl sogar auf fünf Millionen, so der Präsident des Kinderschutzbunds, Heinz Hilgers, gestern in Berlin. Und der Trend, so Hilgers, der gehe weiter nach oben. Ein Skandal sei es, dass die Bundesregierung das Problem offenbar auf die lange Bank schiebe.
Am Telefon ist jetzt Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von der CDU. Schönen guten Morgen!
Ursula von der Leyen: Guten Morgen!
Heckmann: Frau von der Leyen, bevor wir zu den Konsequenzen kommen und zu Ihrer Politik die Frage: Leben wir in einer Gesellschaft, die immer mehr Kinderarmut produziert?
Leyen: Nein, das muss unter keinen Umständen so sein, und das dürfen wir auch nicht zulassen. Was wir lernen aus den Erfahrungen anderer Länder, insbesondere unserer nördlichen und westlichen Nachbarn, also Frankreich und Skandinavien, ist, dass, wenn es gelingt, den Eltern von Kindern die Möglichkeit zu geben, gut zu arbeiten, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen - dafür sind Stichworte wie Elterngeld, gute Kinderbetreuung und dann der Blick auf den Kinderzuschlag wichtig -, dass dann in diesen Ländern interessanterweise die Zahl der Kinder, die geboren werden, steigt, aber gleichzeitig die Kinderarmut sinkt und insbesondere die Kinder auch bessere Bildungschancen haben. Und genau das muss das Ziel einer Gesellschaft sein.
Heckmann: Das heißt also im Umkehrschluss: In Deutschland ist es derzeit so, dass das Problem in der Tat steigt, dass die Zahl der Kinder, die in Armut leben, in der Tat steigt?
Leyen: In Deutschland ist es so, dass wir sehen, dass die Familien mit Kindern - insbesondere die kinderreichen Familien sind das und die Alleinerziehenden - noch nicht profitieren, genügend profitieren vom Aufschwung, Konjunkturaufschwung, den wir erleben. Und wenn wir genauer hinschauen, dann sehen wir, dass insbesondere für die Alleinerziehenden das Thema "Wie kann ich arbeiten, wenn es keine gute Kinderbetreuung gibt?" im Vordergrund steht. Deshalb ist es jetzt richtig, eben die Kinderbetreuung auszubauen, insbesondere für die unter Dreijährigen, und der Wirtschaft auch ganz klar zu machen, wir brauchen eine familienbewusste Arbeitswelt.
Aber für die kinderreichen Familien ist noch ein anderes Problem im Vordergrund: In vielen, vielen dieser Familien arbeiten die Eltern, aber sie verdienen nicht genug, um auch die Kinder davon zu ernähren. Deshalb sind sie als sogenannte Aufstocker in Hartz IV. Wir wollen mit dem erweiterten Kinderzuschlag ein Instrument nutzen, das sagt, wenn ihr in der Lage seid, für euch als Eltern selber den Lebensunterhalt zu verdienen, und es nicht schafft für die Kinder, dann gibt es für jedes Kind einen Kinderzuschlag von bis zu 140 Euro, damit ihr eben nicht Hartz IV zusätzlich beantragen müsst.
Heckmann: Und dieser Zuschlag, der soll nach den Plänen der Großen Koalition erweitert werden. Aber der Präsident des Kinderschutzbundes Hilgers hat gestern gesagt, die Regierung habe ihr Versprechen schon gebrochen, denn schon für 2006 sei eben der Ausbau dieses Kinderzuschlages versprochen worden.
Leyen: Keineswegs! Da bringt, glaube ich, der Kinderschutzbund etwas durcheinander. Wir haben ganz klar vereinbart in der Koalition, im Jahr 2006 wird der Kinderzuschlag, der ja erst 2002 überhaupt eingeführt worden ist, ausgewertet: Wie wirkt er? Wo sind seine Schwachstellen? Was läuft gut, was läuft schlecht? Diese Auswertung haben wir vorgelegt, und wir haben daraus auch gelernt. Wir haben gesehen, dass der Kinderzuschlag bisher 124.000 Kinder erreicht, aber wir könnten viel mehr Kinder, nämlich rund eine halbe Million, also 500.000 Kinder erreichen, das heißt aus Hartz IV holen, wenn wir zwei Dinge verbessern, nämlich den Einstieg - der ist sehr bürokratisch, sehr kompliziert, sehr starr, da gibt es eine ganz starre Grenze - und den Übergang in Mehrarbeit, also wenn Eltern mehr dazuverdienen, dass ihnen nicht so viel gestrichen wird vom Kinderzuschlag, dass es eigentlich gar nicht lohnt, mehr zu verdienen.
Diese beiden Dinge, die haben wir jetzt verbessert im Konzept. Das ist fertig ausgearbeitet, von allen Experten übrigens auch sehr begrüßt. Das begrüßt ja auch der Kinderschutzbund. Dieses erweiterte neue Kinderzuschlagskonzept wollen wir jetzt einführen.
Heckmann: Sie wollen es einführen. Das heißt, wann wird es eingeführt? Sie sagten, der erweiterte Kinderzuschlag kommt Anfang 2008. Ist das in trockenen Tüchern?
Leyen: Wir werden im September das im Kabinett miteinander beraten. Wir haben in Meseberg schon, also jetzt in der Kabinettsklausur vergangene Woche, ausführlich darüber gesprochen. Und mich hat gefreut, dass wir auch gemeinsam festgehalten haben, dass der Kinderzuschlag ein bewährtes Instrument ist, das ausgebaut werden soll. Wir haben noch einige Dinge zu klären mit dem Bundesarbeitsministerium, denn das Bundesarbeitsministerium wirft natürlich den Blick nicht wie wir so speziell auf Familien mit Kindern, insbesondere kinderreiche Familien, sondern mehr auf den gesamten Niedriglohnsektor. Aber ich sage auch ganz deutlich: Die Zeit drängt. Der Kinderzuschlag ist fix und fertig durchgearbeitet. Er ist akzeptiert, er ist gut. Wir könnten ihn und müssen ihn jetzt einführen, denn ich denke, dann haben wir auch ein ganz wirksames akzeptiertes Instrument ab Januar 2008, um eben deutlich mehr Kindern zu helfen.
Heckmann: Aber es könnte gut sein, Frau von der Leyen, dass der Zuschlag eben so in dieser veränderten Art und Weise nicht kommt oder nicht zum 1.1.2008?
Leyen: Doch. Wir sind uns alle einig über den hohen Zeitdruck, der herrscht, dass wir jetzt handeln wollen und handeln müssen und auch handeln werden. Ich finde es legitim, dass man innerhalb einer Bundesregierung auch mit den beteiligten Ministerien untereinander sich abstimmt, aber es steht auch ganz klar der Termin fest, vereinbart im Kabinett, dass wir Ende September mit einem gemeinsamen Vorschlag kommen. Und dann bleibt genügend Zeit, um bis Ende des Jahres die nötigen gesetzgeberischen Schritte zu tun.
Heckmann: Aber eine Erhöhung des Kinderzuschlages, wie vom Kinderschutzbund gefordert, darüber lässt die Bundesregierung nicht mit sich reden?
Leyen: Ich denke, 140 Euro sind ein Wort, und wir haben auch mit vielen Experten darüber gesprochen. Dies in Kombination mit dem Kindergeld, das jeder bekommt, der arbeitet, und Möglichkeiten des Wohngeldes, hilft in der Tat genau an dieser ganz kritischen Stelle, der Übergang von Hartz IV in Arbeit und damit auch in Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, diese Unabhängigkeit vom Staat herzustellen. Insofern ist diese Höhe schon richtig gewählt. Viel schwieriger war eben bisher die Möglichkeit, wer kriegt den Kinderzuschlag, die starre bürokratische Grenze abzubauen und vor allen Dingen, wenn man mehr verdient, das Ausschleichen aus dem Kinderzuschlag nicht so kompliziert zu machen und den Arbeitsanreiz höher zu halten.
Heckmann: Frau von der Leyen, der Kinderzuschlag nützt ja nur Familien, die in der Tat einen Job haben, also den Aufstockern. Sie haben es gerade eben schon gesagt. Was ist denn mit den Hartz-IV-Empfängern ohne Job? Wenn man den Berichten Glauben schenken darf, dann ist es ja so, dass immer mehr Kinder beispielsweise abgemeldet werden in der Schule oder in der Kindertagesstätte vom Mittagessen, weil sich die Eltern das eben gar nicht leisten können.
Leyen: Wenn wir den Blick auf die Hartz-IV-Empfänger richten, die nicht arbeiten, so muss, wenn man eine Priorität setzt, zu allererst sagen, die oberste Priorität muss sein, den Eltern zu Arbeit zu verhelfen. Nicht Kinder machen an sich arm, sondern Kinder leben in Armut, wenn ihre Eltern keine Arbeit haben.
Heckmann: Aber in der Zwischenzeit müsste ja auch etwas geschehen?
Leyen: Genau. Ganz wichtig ist: die Eltern in Arbeit bringen. Dazu brauchen sie gute Kinderbetreuung, gute Ganztagsangebote und in der Tat ist die Diskussion, aber die muss auf Landesebene und in den Kommunen geführt werden, denn da liegt die Aufgabe, die Frage nach den Mittagessen in den Kindertagesstätten oder in den Schulen. Aber diese Kombination zwischen Arbeit, guter Kinderbetreuung, gute Ganztagsangebote, die ist entscheidend, um Menschen, die Kinder haben, also Eltern die Möglichkeit zu geben, aus Hartz IV rauszukommen. Ohne Arbeit geht es nicht.
Heckmann: Frau von der Leyen, seit Mügeln wird viel über Rechtsradikalismus diskutiert. Inwieweit spielt auch Kinderarmut den Rechtsradikalen in die Hände?
Leyen: Kinderarmut ist ein enorm bedrückendes Thema und Problem, aber ich warne davor, diese Verquickung herzustellen zum Rechtsextremismus, denn das ist auch nicht fair den Kindern gegenüber, auf die wir unseren Blick richten. Wohl richtig ist, dass der Rechtsextremismus, das haben wir gelernt in den Regionen in den neuen Bundesländern, wo er stärker ist, dass der Rechtsextremismus auf einem Boden gedeihen kann, wo wir insbesondere Perspektivlosigkeit junger Menschen sehen, das heißt eine hohe Arbeitslosigkeit gekoppelt ist mit ganz wenig Angeboten der sinnvollen Freizeitgestaltung für junge Menschen und mit einer fehlenden Tradition des Zivilengagements, also des bürgerschaftlichen Engagements.
Ich will hier aber auch ganz deutlich sagen, dass man gerade in den neuen Bundesländern sehen kann, dass es Regionen gibt, die haben das verstanden und die haben ganz konsequent gesagt, wenn es hier nicht tradierte Jugendarbeit gibt, zum Beispiel die kirchlichen Angebote oder die Jugendverbände, die bei uns im Westen sehr stark sind, während sie bei uns im Osten, in den neuen Bundesländern nicht so stark sind, dass da die Kommunen sich eingesetzt haben, und dort geht es auch besser. Dort merkt man ganz deutlich, dass diese rechtsextremen Tendenzen viel, viel geringer sind, während in den Gegenden, wo die Kombination eben ist zwischen Arbeitslosigkeit und für die jungen Menschen nicht wirklich etwas, was sie begeistert, was sie motiviert, was sie in ihrer Freizeit beschäftigt, wo sie ihr Herz reinhängen, die sind dann leichter verführbar durch die Angebote der Rechtsextremen, die ganz gezielt dann auch in dieses Vakuum reingegangen sind.
Heckmann: Derzeit ist es ja so, Frau von der Leyen, dass die Gelder nicht direkt an die Initiativen gegen rechts gehen, sondern die Kommunen müssen ihren Bedarf über die Bundesländer anmelden. Wenn jetzt die Bürgermeister von betroffenen Kommunen eben das Problem nicht sehen, dann fließt auch kein Geld. War es also ein Fehler, dieses System umzustrukturieren?
Leyen:! Die Finanzierung hat zwei Säulen. Die erste Säule - und die halte ich für sehr wichtig - geht in der Tat über die Kommunen, über die Gemeinden, denn wir können, oder wir müssen, die Verantwortung vor Ort auch einfordern. Wir müssen die Beteiligung der politisch Verantwortlichen haben, der Akteure, die vor Ort auch handeln und das Leben mitgestalten. Sie müssen sich des Themas bewusst sein und ganz aktiv sich auch überlegen, was sie tun können.
Recht haben Sie, wenn dort in der Tat schon Bürgermeister sind oder Kommunen sind, die keinerlei Interesse haben, sich in diesem Thema zu bewegen, dass es eine andere Chance geben muss. Deshalb haben wir eine zweite Säule, die übrigens genauso stark finanziell ausgestattet ist wie die andere Säule. Die sagt: Dann Modellprojekte an die freien Träger, an die Initiativen, die unabhängig von der Kommune sind. Aber, ich denke, beide Standbeine müssen sein. Wir können es nicht haben, dass nur Initiativen sozusagen freischwebend über der Kommune sind. Andererseits muss man die Kommune in Verantwortung nehmen. Nur wenn das nicht funktioniert, dann haben wir eben die zweite starke Säule der Modellprojekte.
Heckmann: Zur Debatte um Kinderarmut in Deutschland und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus war das Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU).
Am Telefon ist jetzt Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von der CDU. Schönen guten Morgen!
Ursula von der Leyen: Guten Morgen!
Heckmann: Frau von der Leyen, bevor wir zu den Konsequenzen kommen und zu Ihrer Politik die Frage: Leben wir in einer Gesellschaft, die immer mehr Kinderarmut produziert?
Leyen: Nein, das muss unter keinen Umständen so sein, und das dürfen wir auch nicht zulassen. Was wir lernen aus den Erfahrungen anderer Länder, insbesondere unserer nördlichen und westlichen Nachbarn, also Frankreich und Skandinavien, ist, dass, wenn es gelingt, den Eltern von Kindern die Möglichkeit zu geben, gut zu arbeiten, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen - dafür sind Stichworte wie Elterngeld, gute Kinderbetreuung und dann der Blick auf den Kinderzuschlag wichtig -, dass dann in diesen Ländern interessanterweise die Zahl der Kinder, die geboren werden, steigt, aber gleichzeitig die Kinderarmut sinkt und insbesondere die Kinder auch bessere Bildungschancen haben. Und genau das muss das Ziel einer Gesellschaft sein.
Heckmann: Das heißt also im Umkehrschluss: In Deutschland ist es derzeit so, dass das Problem in der Tat steigt, dass die Zahl der Kinder, die in Armut leben, in der Tat steigt?
Leyen: In Deutschland ist es so, dass wir sehen, dass die Familien mit Kindern - insbesondere die kinderreichen Familien sind das und die Alleinerziehenden - noch nicht profitieren, genügend profitieren vom Aufschwung, Konjunkturaufschwung, den wir erleben. Und wenn wir genauer hinschauen, dann sehen wir, dass insbesondere für die Alleinerziehenden das Thema "Wie kann ich arbeiten, wenn es keine gute Kinderbetreuung gibt?" im Vordergrund steht. Deshalb ist es jetzt richtig, eben die Kinderbetreuung auszubauen, insbesondere für die unter Dreijährigen, und der Wirtschaft auch ganz klar zu machen, wir brauchen eine familienbewusste Arbeitswelt.
Aber für die kinderreichen Familien ist noch ein anderes Problem im Vordergrund: In vielen, vielen dieser Familien arbeiten die Eltern, aber sie verdienen nicht genug, um auch die Kinder davon zu ernähren. Deshalb sind sie als sogenannte Aufstocker in Hartz IV. Wir wollen mit dem erweiterten Kinderzuschlag ein Instrument nutzen, das sagt, wenn ihr in der Lage seid, für euch als Eltern selber den Lebensunterhalt zu verdienen, und es nicht schafft für die Kinder, dann gibt es für jedes Kind einen Kinderzuschlag von bis zu 140 Euro, damit ihr eben nicht Hartz IV zusätzlich beantragen müsst.
Heckmann: Und dieser Zuschlag, der soll nach den Plänen der Großen Koalition erweitert werden. Aber der Präsident des Kinderschutzbundes Hilgers hat gestern gesagt, die Regierung habe ihr Versprechen schon gebrochen, denn schon für 2006 sei eben der Ausbau dieses Kinderzuschlages versprochen worden.
Leyen: Keineswegs! Da bringt, glaube ich, der Kinderschutzbund etwas durcheinander. Wir haben ganz klar vereinbart in der Koalition, im Jahr 2006 wird der Kinderzuschlag, der ja erst 2002 überhaupt eingeführt worden ist, ausgewertet: Wie wirkt er? Wo sind seine Schwachstellen? Was läuft gut, was läuft schlecht? Diese Auswertung haben wir vorgelegt, und wir haben daraus auch gelernt. Wir haben gesehen, dass der Kinderzuschlag bisher 124.000 Kinder erreicht, aber wir könnten viel mehr Kinder, nämlich rund eine halbe Million, also 500.000 Kinder erreichen, das heißt aus Hartz IV holen, wenn wir zwei Dinge verbessern, nämlich den Einstieg - der ist sehr bürokratisch, sehr kompliziert, sehr starr, da gibt es eine ganz starre Grenze - und den Übergang in Mehrarbeit, also wenn Eltern mehr dazuverdienen, dass ihnen nicht so viel gestrichen wird vom Kinderzuschlag, dass es eigentlich gar nicht lohnt, mehr zu verdienen.
Diese beiden Dinge, die haben wir jetzt verbessert im Konzept. Das ist fertig ausgearbeitet, von allen Experten übrigens auch sehr begrüßt. Das begrüßt ja auch der Kinderschutzbund. Dieses erweiterte neue Kinderzuschlagskonzept wollen wir jetzt einführen.
Heckmann: Sie wollen es einführen. Das heißt, wann wird es eingeführt? Sie sagten, der erweiterte Kinderzuschlag kommt Anfang 2008. Ist das in trockenen Tüchern?
Leyen: Wir werden im September das im Kabinett miteinander beraten. Wir haben in Meseberg schon, also jetzt in der Kabinettsklausur vergangene Woche, ausführlich darüber gesprochen. Und mich hat gefreut, dass wir auch gemeinsam festgehalten haben, dass der Kinderzuschlag ein bewährtes Instrument ist, das ausgebaut werden soll. Wir haben noch einige Dinge zu klären mit dem Bundesarbeitsministerium, denn das Bundesarbeitsministerium wirft natürlich den Blick nicht wie wir so speziell auf Familien mit Kindern, insbesondere kinderreiche Familien, sondern mehr auf den gesamten Niedriglohnsektor. Aber ich sage auch ganz deutlich: Die Zeit drängt. Der Kinderzuschlag ist fix und fertig durchgearbeitet. Er ist akzeptiert, er ist gut. Wir könnten ihn und müssen ihn jetzt einführen, denn ich denke, dann haben wir auch ein ganz wirksames akzeptiertes Instrument ab Januar 2008, um eben deutlich mehr Kindern zu helfen.
Heckmann: Aber es könnte gut sein, Frau von der Leyen, dass der Zuschlag eben so in dieser veränderten Art und Weise nicht kommt oder nicht zum 1.1.2008?
Leyen: Doch. Wir sind uns alle einig über den hohen Zeitdruck, der herrscht, dass wir jetzt handeln wollen und handeln müssen und auch handeln werden. Ich finde es legitim, dass man innerhalb einer Bundesregierung auch mit den beteiligten Ministerien untereinander sich abstimmt, aber es steht auch ganz klar der Termin fest, vereinbart im Kabinett, dass wir Ende September mit einem gemeinsamen Vorschlag kommen. Und dann bleibt genügend Zeit, um bis Ende des Jahres die nötigen gesetzgeberischen Schritte zu tun.
Heckmann: Aber eine Erhöhung des Kinderzuschlages, wie vom Kinderschutzbund gefordert, darüber lässt die Bundesregierung nicht mit sich reden?
Leyen: Ich denke, 140 Euro sind ein Wort, und wir haben auch mit vielen Experten darüber gesprochen. Dies in Kombination mit dem Kindergeld, das jeder bekommt, der arbeitet, und Möglichkeiten des Wohngeldes, hilft in der Tat genau an dieser ganz kritischen Stelle, der Übergang von Hartz IV in Arbeit und damit auch in Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, diese Unabhängigkeit vom Staat herzustellen. Insofern ist diese Höhe schon richtig gewählt. Viel schwieriger war eben bisher die Möglichkeit, wer kriegt den Kinderzuschlag, die starre bürokratische Grenze abzubauen und vor allen Dingen, wenn man mehr verdient, das Ausschleichen aus dem Kinderzuschlag nicht so kompliziert zu machen und den Arbeitsanreiz höher zu halten.
Heckmann: Frau von der Leyen, der Kinderzuschlag nützt ja nur Familien, die in der Tat einen Job haben, also den Aufstockern. Sie haben es gerade eben schon gesagt. Was ist denn mit den Hartz-IV-Empfängern ohne Job? Wenn man den Berichten Glauben schenken darf, dann ist es ja so, dass immer mehr Kinder beispielsweise abgemeldet werden in der Schule oder in der Kindertagesstätte vom Mittagessen, weil sich die Eltern das eben gar nicht leisten können.
Leyen: Wenn wir den Blick auf die Hartz-IV-Empfänger richten, die nicht arbeiten, so muss, wenn man eine Priorität setzt, zu allererst sagen, die oberste Priorität muss sein, den Eltern zu Arbeit zu verhelfen. Nicht Kinder machen an sich arm, sondern Kinder leben in Armut, wenn ihre Eltern keine Arbeit haben.
Heckmann: Aber in der Zwischenzeit müsste ja auch etwas geschehen?
Leyen: Genau. Ganz wichtig ist: die Eltern in Arbeit bringen. Dazu brauchen sie gute Kinderbetreuung, gute Ganztagsangebote und in der Tat ist die Diskussion, aber die muss auf Landesebene und in den Kommunen geführt werden, denn da liegt die Aufgabe, die Frage nach den Mittagessen in den Kindertagesstätten oder in den Schulen. Aber diese Kombination zwischen Arbeit, guter Kinderbetreuung, gute Ganztagsangebote, die ist entscheidend, um Menschen, die Kinder haben, also Eltern die Möglichkeit zu geben, aus Hartz IV rauszukommen. Ohne Arbeit geht es nicht.
Heckmann: Frau von der Leyen, seit Mügeln wird viel über Rechtsradikalismus diskutiert. Inwieweit spielt auch Kinderarmut den Rechtsradikalen in die Hände?
Leyen: Kinderarmut ist ein enorm bedrückendes Thema und Problem, aber ich warne davor, diese Verquickung herzustellen zum Rechtsextremismus, denn das ist auch nicht fair den Kindern gegenüber, auf die wir unseren Blick richten. Wohl richtig ist, dass der Rechtsextremismus, das haben wir gelernt in den Regionen in den neuen Bundesländern, wo er stärker ist, dass der Rechtsextremismus auf einem Boden gedeihen kann, wo wir insbesondere Perspektivlosigkeit junger Menschen sehen, das heißt eine hohe Arbeitslosigkeit gekoppelt ist mit ganz wenig Angeboten der sinnvollen Freizeitgestaltung für junge Menschen und mit einer fehlenden Tradition des Zivilengagements, also des bürgerschaftlichen Engagements.
Ich will hier aber auch ganz deutlich sagen, dass man gerade in den neuen Bundesländern sehen kann, dass es Regionen gibt, die haben das verstanden und die haben ganz konsequent gesagt, wenn es hier nicht tradierte Jugendarbeit gibt, zum Beispiel die kirchlichen Angebote oder die Jugendverbände, die bei uns im Westen sehr stark sind, während sie bei uns im Osten, in den neuen Bundesländern nicht so stark sind, dass da die Kommunen sich eingesetzt haben, und dort geht es auch besser. Dort merkt man ganz deutlich, dass diese rechtsextremen Tendenzen viel, viel geringer sind, während in den Gegenden, wo die Kombination eben ist zwischen Arbeitslosigkeit und für die jungen Menschen nicht wirklich etwas, was sie begeistert, was sie motiviert, was sie in ihrer Freizeit beschäftigt, wo sie ihr Herz reinhängen, die sind dann leichter verführbar durch die Angebote der Rechtsextremen, die ganz gezielt dann auch in dieses Vakuum reingegangen sind.
Heckmann: Derzeit ist es ja so, Frau von der Leyen, dass die Gelder nicht direkt an die Initiativen gegen rechts gehen, sondern die Kommunen müssen ihren Bedarf über die Bundesländer anmelden. Wenn jetzt die Bürgermeister von betroffenen Kommunen eben das Problem nicht sehen, dann fließt auch kein Geld. War es also ein Fehler, dieses System umzustrukturieren?
Leyen:! Die Finanzierung hat zwei Säulen. Die erste Säule - und die halte ich für sehr wichtig - geht in der Tat über die Kommunen, über die Gemeinden, denn wir können, oder wir müssen, die Verantwortung vor Ort auch einfordern. Wir müssen die Beteiligung der politisch Verantwortlichen haben, der Akteure, die vor Ort auch handeln und das Leben mitgestalten. Sie müssen sich des Themas bewusst sein und ganz aktiv sich auch überlegen, was sie tun können.
Recht haben Sie, wenn dort in der Tat schon Bürgermeister sind oder Kommunen sind, die keinerlei Interesse haben, sich in diesem Thema zu bewegen, dass es eine andere Chance geben muss. Deshalb haben wir eine zweite Säule, die übrigens genauso stark finanziell ausgestattet ist wie die andere Säule. Die sagt: Dann Modellprojekte an die freien Träger, an die Initiativen, die unabhängig von der Kommune sind. Aber, ich denke, beide Standbeine müssen sein. Wir können es nicht haben, dass nur Initiativen sozusagen freischwebend über der Kommune sind. Andererseits muss man die Kommune in Verantwortung nehmen. Nur wenn das nicht funktioniert, dann haben wir eben die zweite starke Säule der Modellprojekte.
Heckmann: Zur Debatte um Kinderarmut in Deutschland und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus war das Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU).