Mittwoch, 08. Mai 2024

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Kindsmord bei Menschenaffen

Zoologie. - Auf dem Symposium "Primatenevolution" am Deutschen Primatenforschungszentrum in Göttingen treffen sich derzeit Zoologen und Anthropologen, um über unsere nächsten Verwandten zu diskutieren. Zu den Themen zählt auch die Rolle des männlichen Tieres in der Aufzucht des Nachwuchses. Dabei passt ein Phänomen partout nicht ins Bild vom netten Menschenaffen: der Kindermord. Ein männlicher Primat versucht, den Nachwuchs in seiner Gruppe zu töten, wenn er nicht selbst der Vater ist.

07.02.2001
    Der Grund für dieses Verhalten ist wahrscheinlich in der Evolution zu finden. Carel van Schaik, Primatenforscher an der Duke University im amerikanischen Durham: "Lange Zeit dachte man, Kindstötung sei ein abartiges, krankes Verhalten. Aber wir beobachten sie sehr häufig. Bei vielen verschiedenen Arten und von Männchen, die sich ansonsten völlig normal verhalten. Wahrscheinlich ist das also einfach eine Anpassungsstrategie." Die Frage sei nun, wann es einem Männchen nutzt, ein Junges zu töten, das es nicht selbst gezeugt hat? Van Schaik glaubt, die Männchen schinden Zeit: "Männchen sind in einer Gruppe gewöhnlich nur für eine begrenzte Zeit dominant. Und nur in dieser Zeit haben sie die Chance, sich mit einem Weibchen zu paaren." Die Weibchen können aber nicht ständig empfangen. Haben sie einen neues Baby, sind sie solange unfruchtbar, bis dieses Junge abgestillt ist, bevor ein neues geboren wird. So vermeiden sie, zwei Jungen gleichzeitig säugen zu müssen und keines von beiden satt zu bekommen. Kindertötung sei also eine direkte Anpassungsstrategie der Männchen, so van Schaik: "Wenn ein Männchen einen Säugling tötet, wird die Mutter wieder fruchtbar. Das erhöht die Chancen dieses Männchens, das Weibchen selber zu befruchten. Das ist eine grausige Logik, aber eben natürliche Selektion, und die kennt keine Moral."

    Die Weibchen versuchen, ihren Nachwuchs vor diesem Schicksal zu bewahren. Dafür haben sie verschiedene Strategien. Carel van Schwaik: "Die Weibchen paaren sich mit möglichst vielen Männchen in der Gruppe, sogar noch während der Schwangerschaft. Keines dieser Männchen weiß, wer tatsächlich der Vater des Jungen ist, aber jedes käme in Frage. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass einer von ihnen später dem Säugling etwas tut." Die Gefahr der Kindstötung schweißt aber auch Männchen und Weibchen zusammen. Denn männliche und weibliche Primaten leben das ganze Jahr über zusammen, während sich die meisten anderen Säugetiere nur zur Paarungszeit treffen. "Wahrscheinlich haben die Primatenmännchen im Laufe der Evolution begonnen, einfach bei den Weibchen zu bleiben", vermutet van Schaik. "Mutmaßliche Väter konnten dann die Jungen vor anderen Männchen schützen."

    Tatsächlich findet man säugende Weibchen vor allem in der Gesellschaft von Männchen die dominant sind - oder es zumindest waren, als diese Jungen gezeugt wurden. Sie verzichten damit zugunsten dieser Babys auf die Chance, erneut Vater zu werden. Stattdessen stecken sie ihre Energie in Schutz und Fürsorge für die Mütter und ihre Jungen.

    [Quellen: Ismeni Walter, Carel van Schaik]