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Kino am Scheideweg

In der Mitte des Bildschirms läuft ein Spielfilm, am Rand tauchen Dokumentarfilmschnipsel auf. Auch zu interaktiven Elementen kann man wechseln und Informationen zum Hauptfilm vertiefen. Zwar gibt es erst wenige Projekte, die den konventionellen Film begleiten, doch künftig könnte es immer mehr werden - im Zeitalter des Onlinevertriebs.

Von Josef Schnelle |
    "Iron Sky". Eine Trashkomödie über Nazis, die auf der dunklen Rückseite des Mondes überwintert haben, um 2018 wieder nach der Weltherrschaft zu greifen. Das Besondere an diesem Film des finnischen Regisseurs Timo Vuorensola ist nicht sein Erfolg, auch nicht der unbekümmerte triviale Umgang mit der Geschichte, sondern die Geschichte seiner Entstehung. Das Projekt entstand im Internet und hat einen Vorläufer - "Star Wreck", eine Parodie auf die Raumschiff Enterprise-Serie. 1992 entstand der erste Kurzfilm dieser Reihe von Samuli Torssonen. Er entwickelte eine Art von Community nach dem Vorbild von Wikipedia, die sich an der Entstehung der folgenden Filme mit guten Ratschlägen und kreativen Ideen beteiligten. Der siebte Film von Timo Vuorensola wurde schließlich 2005 abendfüllend ins Netz gestellt. Inzwischen war das Crowd-, besser Cloud-Funding von "Iron Sky" schon gestartet. Ungefähr ein Drittel der Produktionskosten des aufwendigen Kinofilms kam so zusammen. Auf der Website des Films kann man der "Movie Production Community" beitreten, die Fortsetzungen des Films werden schon heftig diskutiert. Immer mehr Fernseher sind internetfähig. Die Zukunft des Kinos wird multimedial sein mit immer mehr Abspielmöglichkeiten und Synergieeffekten. Schon bald könnte nicht nur der Entstehungsprozess eines Filmes "crossmedial" erfolgen, erste Filme mit diesem Grundgedanken sind schon entstanden. Zum Beispiel "Collapsus", ein dreigliedriges Web-Kino-Ereignis, das Tommy Pallota zum Thema Energie und Ressourcenknappheit gedreht hat. Er beschreibt sein Projekt so:

    ""Es ist zum Teil fiktionale Erzählung, davon, wie die Energiekrise zehn junge Leute überall auf der Welt beeinflusst. Es ist teilweise ein Dokumentarfilm. Es gibt also Momente, in denen Sie sprechende Köpfe sehen können, Menschen, die über die Themen und die Voraussagen reden. Und dann gibt es noch eine interaktive Komponente.""

    Während in der Mitte des Bildschirms also ein Spielfilm läuft, tauchen am Rande immer wieder Dokumentarfilmschnipsel auf, die das Geschehen kommentieren. Außerdem kann man zu interaktiven Elementen wechseln, die heute üblichen Spielen ähneln und die Informationen zum Thema vertiefen. Es ist auch denkbar, Geschichten zu entwickeln, denen man durch entsprechendes Eingreifen eine bestimmte Richtung geben kann. Noch gibt es höchstens ein Dutzend solcher Projekte, aber klar ist schon, dass die derzeitige Konvention, sich einen Film in einer dunklen Kiste anzuschauen, bald ernsthafte Konkurrenz bekommen könnte. Für den YouTube-Contentmanager Christoph Poporatis hat diese Zukunft schon begonnen. Es gibt immer mehr Webkanäle, die mit neuen Inhalten gefüllt werden müssen. Poporatis glaubt, dass dies allgemein zu kürzeren Filmformen und mehr seriellen Angeboten führen wird. Doch die Branche ist eher behäbig und betet das Mantra der Unveränderbarkeit des klassischen Contents. Wie zum Beispiel Peter Aalbaek Jensen, Produzent von "Zentropa" - der dänischen Großproduktion, die Lars von Triers Filme herstellt.

    "Ich glaube wirklich daran, dass eine Geschichte in zwei Stunden zu erzählen ein Format ist, das seit 2000 Jahren existiert und weitere 2000 Jahre existieren wird. Meine Philosophie ist daher seit 20 Jahren: so viele Rechte wie möglich an Filmen zu erwerben und dann darauf zu sitzen und zu warten, was beim Übergang zu Neuen Medien passiert."

    Auch Aalbaek-Jensen geht jedoch zumindest bei der Vermarktung seiner Filme gelegentlich neue, ebenfalls crossmediale Wege. Vier Wochen vor dem Kinostart brachte er "Melancholia" von Lars von Trier als Video-on-Demand im Internet heraus und kassierte schon einmal eine Million Dollar, bevor der Film ins Kino kam. Etwa 1,8 Millionen hat der Film dann später in deutschen Kinos eingespielt. Crossmedia in allen seinen Facetten ist das Thema des Jahres. Es wurde am Rande des Filmmarktes in Berlin heftig diskutiert und die Film- und Medienstiftung NRW plant in diesem Sommer einen mehrtägigen Kongress zur Frage, welche Veränderungen für Produzenten und Kinos diese Entwicklung haben könnte. Das Kino der Zukunft wird alle Plattformen nutzen müssen, wenn es nicht museal werden will.