Dieser trockene Schuss aus einem Gewehr mit einer herausgeworfenen Patrone ist der Kammerton A dieses Films aus Norwegen. Es ist eine Rachegeschichte um Hauptdarsteller Stellan Skarsgard. Der spielt einen im Nachbarland gut integrierten schwedischen Schneepflugfahrer – er ist gerade Bürger des Jahres geworden –, als ihm eines Tages der Kragen platzt. Sein einziger Sohn wird als Opfer einer Überdosis Heroin gefunden. Im disziplinierten Leben des Vaters ist für Exzesse kein Platz. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. In seiner kühlschrankkalten Ideallandschaft, in der er jeden Tag dieselbe Straße frei räumen muss, macht sich Nils auf die Suche nach den Hintermännern des Todes seines Sprösslings. Bald findet er einen Kumpel seines Sohnes, der etwas zu wissen scheint.
"Was für Leute?"
"Was für Leute?"
"Das willst Du gar nicht wissen, glaub mir. Entschuldige. Es tut mir so leid."
"Was für Leute?"
"Kann ich was borgen soviel, dass ich..."
"Was sind das für Leute?"
"Jappe, er ist der einzige, zu dem ich Kontakt hab. Ich kenne bloß Jappe."
Nils sägt seine Flinte ab und zieht los, um die Mörder seines Sohnes zu finden. Ein klassisches Filmmotiv, das man eigentlich eher aus Hollywood-Filmen kennt. Aus Italowestern, Filmen der Coen-Brüder oder aus den Kult-Klassikern von Quentin Tarantino. Hans Petter Moland liefert, - wie schon 2010 mit "Ein Mann von Welt"-, in dem ein Mann aus dem Gefängnis kommt und wieder Anschluss ans Leben finden muss, wieder die heiter-sarkastische Variante eines Films aus der Unterwelt ab. Bald ist er von Gangsterbanden umzingelt, deren Sprachhüllen er nicht einmal kennt.
"Was soll das mit den Namen , he. Der Chinese. Der Graf und Dirty Harry. Bulle und Jappe."
"Dummes altes Gangsterding."
"Wie heißt Du denn?"
"Wing Man."
Auch wenn Hans-Petter Moland alle Regeln der Thrillerkunst erfüllt, so bringt er doch ein europäisches Element ein: bitterschwarzen Humor. Aus einem gemeinsamen Lachen im Schnee wird unversehens eine Hinrichtung. Dabei erweist sich einmal auch der Schneepflug als Präzisionswaffe. Nils stört aber zwei Mafiabanden auf, die sich den Drogenmarkt in Norwegen geradezu gemütlich aufgeteilt haben. Der Graf und der Pate – genüsslich gespielt von Bruno Ganz – trauen einander alles zu und so entgeht ihnen ganz der Rachefeldzug des Schneepflugfahrers, der sich Mann für Mann an die Bosse herantastet. Eine durchaus lächerliche Gesellschaft ist das, die im Originaltitel "Kraftidioten" trefflich abgebildet ist. Jeder hält sich für mächtiger und klüger als den anderen. Nicht umsonst ist dies ein Film fast ohne Frauen. Kraftidioten sind männlich. Und als Nils den kleinen Sohn des einen Gangsterbosses entführt und vorübergehend bei sich aufnimmt, erlebt er das blaue Wunder seiner Einzelgängerkarriere.Er muss vorlesen.
"Du schläfst nebenan."
"Machst Du nicht."
"Du frierst Dir den Arsch ab und Du kennst den Weg nicht."
"Ich bekomm sonst vor dem Schlafen immer eine Geschichte erzählt."
"Ich kenne keine Geschichten."
"Du kannst mir einfach aus irgendwas vorlesen. Das ist doch nicht so schwierig, oder?"
"Er verfügt als Besonderheit über zwei unabhängige MTU-Dieselmotoren mit einer Gesamtleistung von mehr als 2.000 PS."
Wenig später erklärt der kleine Schlauberger ihm auch noch das Stockholmsyndrom. Moland spielt in seiner sarkastischen Komödie mit allem, was er zur Verfügung hat. Die Gangsterklischees türmen sich auf zu einem monströs-lächerlichen Friedhof der Großpointen und die Mordtaten aller Seiten zerfetzen mehr und mehr die unschuldige Schneelandschaft. Bevor Nils als Mann "der Rot sieht" sein Mütchen gekühlt hat, haben alle dumm-dreisten Verbrecher sich sowieso jeweils ein kühles Grab geschaufelt. Ein Klischee ist – so sagt man – lächerlich. Aber aus 100 Klischees kann man ein Meisterwerk formen. Zumindest ist das im Unterhaltungskino so. Und – na klar – alle, die mit Erdbeersoße bekleckert im Schnee versinken, stehen nachher wieder auf und freuen sich weiter ihres Lebens. Die Illusionen des Kinos sind gnadenlos, aber man kann sie einfach abschütteln und auch nach solch einem "Grand Guignol"-Spektakel ruhig schlafen. Hauptsache die Pointen sitzen.