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Kino im Iran
"Ich habe die Logik der Zensur nie verstanden"

Er ist einer der bekanntesten Filmemacher im Iran: Mani Haghighi. "Ich drehe immer ein paar Minuten in jedem Film, die besonders weit über die roten Linien gehen", sagt er im DLF, "damit die Zensoren etwas haben, das sie herausnehmen können." Mit den Mächtigen zu verhandeln: das ist für ihn kein Tabu. Im Gegenteil. Unser Reporter Jörg-Christian Schillmöller hat Mani Haghighi zuhause in Lavasan bei Teheran besucht.

Mani Haghighi im Gespräch mit Jörg-Christian Schillmöller |
    Sie sehen den Filmemacher Mani Haghighi, er schaut in die Kamera, hinter sich ein Gemälde.
    Der iranische Filmemacher Mani Haghighi hat kein Problem damit, mit den Zensoren wochenlang zu verhandeln. (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Auf der Berlinale lief dieses Jahr sein Film "A Dragon Arrives" im Wettbewerb - ein skurriler Krimi auf einem rostigen Schiff in einer iranischen Wüstenlandschaft. Ganz anders "50 Kilo Kirschen", eine kitschige Schmonzette für die Massen, die im Iran tatsächlich gerade auch Massen in die Kinos zog. Der Filmemacher Mani Haghighi lebt in einem Bergstädtchen östlich von Teheran und dreht bewusst im Land und nicht im Exil. Er experimentiert mit Plot, Geschmack und Ästhetik und wird nicht müde, mit den Zensoren um Sekunden zu feilschen. Jörg-Christian Schillmöller hat Mani Haghighi zuhause in Lavasan bei Teheran getroffen und ihn gefragt, wie er mit den roten Linien der Zensur umgeht.
    Mani Haghighi: Ich habe meine eigenen, meine persönlichen Erfahrungen. Andere Filmemacher hatten wirklich eine harte Zeit mit den Zensoren. Ihre Filme wurden verboten, sie gingen ins Gefängnis. Ich selbst habe dieses Problem nie gehabt. Ich liebe es, zu verhandeln, und ich sehe in meinen Kunstwerken nichts Heiliges, an das man nicht rühren darf."
    Jörg-Christian Schillmöller: Dann unterscheiden sie sich von Jafar Panahi, der gerade Berufsverbot hat und einmal gesagt hat: Ich werde niemals auch nur ein einziges Bild aus meinen Filmen herausnehmen.
    Haghighi: Sagen wir es so: Ich bin in jeder Hinsicht das absolute Gegenteil von Jafar Panahi. Kunst ist ein Prozess, ich bin Teil dieses Prozesses, und ich weiß selbst bis zur letzten Sekunde nie, welche Teile ich drinbehalten will und welche nicht. Ich bin ständig in Bewegung."
    Schillmöller: Sind Sie manchmal überrascht davon, was bei den Behörden auf Kritik stößt - und hätten das nie erwartet?
    Haghighi: Ich bin permanent erschüttert davon, was sie in meinen Filmen alles drin lassen und was sie rausnehmen wollen. Ich habe die Logik der Zensur im Iran nie verstanden. Was ich tue - und das ist kein großes Geheimnis, denn die wissen genau, dass ich das tue: Ich filme immer Dinge, von denen ich weiß, dass sie rausgenommen werden, einfach um ihr Bedürfnis zu befriedigen, dieses Bedürfnis, dass sie nun mal irgendwas rausschneiden müssen.
    Ich habe immer ein paar Szenen drin, die eigentlich nicht reingehören, die einfach unverschämt weit über die roten Linien gehen. Das sind so fünf, sechs Minuten, und die fliegen dann natürlich raus, und mein Film als solcher bleibt intakt. Dieses Spiel spielt hier jeder, das ist schon in Ordnung. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich einverstanden damit bin, zensiert zu werden. Es gibt Szenen in meinen Filmen, und das war immer schon so, da weigere ich mich, sie rauszunehmen.
    Sie sehen den Filmemacher Mani Haghighi, er sitzt am Computer.
    Mani Haghighi lebt im Bergstädtchen Lavasan östlich von Teheran. (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Meine beiden ersten Filme sind komplett verboten worden, weil ich nicht bereit war, das rauszunehmen, was sie wollten. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, damit umzugehen, mit denen umzugehen. Bei meinem Film 'Modest Reception' habe ich es geschafft, sie auf sechs Sekunden herunterzuhandeln, und dass sie dann diese sechs Sekunden rausgenommen haben, machte mir nichts - oder sehr wenig. Ich mag diese Haltung nicht, dass Du mit den Mächtigen, mit der Macht nicht verhandeln darfst. Ich habe immer mit der Macht verhandelt. Auch außerhalb der Kunst, und schon durch die simple Tatsache, dass wir im Iran leben, verhandelst Du die ganze Zeit mit der Macht.
    Verhandeln heißt ja nicht, dass Du schon besiegt wärest von der Macht. Für mich ist das vielleicht der radikalere Ansatz: Es ist viel schwieriger, in dieses Büro zu gehen und jemandem gegenüber zu sitzen, der kein Wort von dem versteht, was Du sagst. Und dann einen Monat lang zu verhandeln. Das ist politisch viel gefährlicher als einfach zu sagen: Ich mache keine Filme mehr, bleibe zuhause und werde depressiv.
    Schillmöller: Wie wichtig ist es für Sie, im Iran zu leben und zu arbeiten? Sie haben ein Studio hier, sie haben eine Wohnung in den Bergen östlich von Teheran.
    Haghighi: Es ist sehr wichtig, es ist von entscheidender Bedeutung. Iran ist ein pulsierender, ein interessanter Ort, auch wenn es so viele Schwierigkeiten gibt, hier zu leben. Ich rede nicht nur von der Zensur, ich rede auch von Luftverschmutzung und dem scheußlichen Verkehr. Aber letztlich ist es ein spannender Ort, um zu arbeiten, und ich finde hier die besseren Themen. Und ich kann in meiner Muttersprache arbeiten. Das ist der Hauptgrund."
    "Wir gehen raus aus der Stadt"
    Schillmöller: Was sind aus ihrer Sicht die wichtigen Strömungen im iranischen Kino 2016?
    Haghighi: Eine der wichtigen Strömungen ist das realistische Familien-Melodram. Dafür stehen besonders die Filme von Asghar Farhadi und allen, die ihn kopieren. Drumherum, an den Rändern gibt es Leute wie mich, die sich nicht mehr für diese bürgerlichen Eheprobleme der Mittelklasse interessieren. Wir gehen raus aus der Stadt, wir gehen aufs Land, weg vom Realismus, hin zu einem fantasievolleren und, wie in meinem Fall, auch fantastischeren Filmemachen."
    Schillmöller: Ihr neuer Film "A Dragon Arrives" ist auf der Berlinale gelaufen. Es ist ein Krimi, aber auch eine Satire und eine Art Doku. Können Nicht-Iraner den Film überhaupt verstehen?
    Haghighi: Ich würde sagen, sie verstehen ihn sogar viel besser, weil sie frei sind von all diesen Anspielungen auf die iranische Geschichte, auf die Kunst, auf Theaterstücke und Filme aus den Sechzigern. Ich glaube, man muss das nicht alles wissen."
    Schillmöller: Nein, denn der Film ist ja trotzdem schön anzusehen. Die Farben erinnern an Almodovar, dieses Orange, dazu ein riesiges rostiges Schiff mitten in der Wüste, alles sehr sinnlich.
    Haghighi: Ja, die ganze Welt, der ganze Raum, alles, was Sie wissen müssen, ist in dem Film drin. Ich glaube nicht, dass es irgendwas außerhalb des Filmes gibt, das Sie wirklich kennen müssen, um ihn zu verstehen."
    "Der Versuch, mich selbst auszuradieren"
    Schillmöller: Sie haben einen zweiten Film gemacht, der gerade läuft, "50 Kilo Kirschen" - er hat den Ruf, kommerzieller und kitschig zu sein.
    Haghighi: "Der Film ist durch und durch kommerziell und kitschig. "A Dragon Arrives" ist der Versuch, der Philosophie zu entwischen. Der andere Film ist der Versuch, der Kunst an sich zu entwischen. Das war ein Experiment für mich. Ich habe mich damit befasst, was eine massentaugliche iranische Komödie genau ausmacht. Ich wollte verstehen, was meine Landsleute mögen und was sie lustig finden."
    Schillmöller: Haben Sie es verstanden?
    Haghighi: Ja, das habe ich. Auch wenn es nicht mit meinem Geschmack übereinstimmt. Also war der Film der Versuch, mich selbst auszuradieren, meinen Geschmack und alles was ich glaube, und etwas allein für die Masse zu machen. Und daraus ist einer der erfolgreichsten Filme der iranischen Geschichte geworden. Also hat es geklappt. Aber es war ganz schön radikal."
    Schillmöller: Haben Sie vielen Dank.
    Haghighi: Danke, dass Sie so weit rausgefahren sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.