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Kino
Zweifeln ist tödlich - Glauben auch

Martin Scorsese wäre fast Priester geworden. Seinen Filmen sieht man das lustvolle Leiden an der Religion an. Auch sein neuestes Werk "Silence" zeigt Gläubige in einer Extremsituation. Zwei Jesuitenpatres kommen im 17. Jahrhundert nach Japan und geraten in die Fänge eines Inquisitors. Klingt fern, ist aber nah am Fundamentalismus von heute.

Von Hartwig Tegeler | 02.03.2017
    Pater Rodrigues (Andrew Garfield, vorne stehend) zelebriert die Heilige Messe für die christlichen Dorfbewohner im Geheimen.
    Pater Rodrigues (Andrew Garfield, vorne stehend) zelebriert die Heilige Messe für die christlichen Dorfbewohner im Geheimen. (2017 Concorde Filmverleih GmbH)
    "Die Last deines Schweigens ist furchtbar. Ich bete. Und bin doch verloren. Oder bete ich einfach ins Nichts?"
    Das fragt sich der Jesuitenpater Rodrigues in Japan, einem Land, in dem Christen mit Feuer und Schwert verfolgt werden.
    1638 reisen die beiden Jesuiten Rodrigues und Garpe - Andrew Garfield und Adam Driver spielen sie - von Portugal nach Japan. Der Grund für die Reise in das vollkommen vom Westen abgeschottete Land: Es gibt Gerüchte über Pater Ferreira.
    "Dass er Gott in den Schmutz getreten hat und vom Glauben abgefallen ist. Und jetzt als Japaner lebt."
    Doch Rodrigues und Garpe, die beiden jungen Jesuiten, glauben das nicht:
    "Hältst du es für möglich, dass er schwach geworden ist? Und dass er vor diesem Inquisitor gekrochen und auf den Knien gerutscht ist wie ein Hund. - Das ist nichts weiter als ein Gerücht."
    In Japan wollen sie den Gerüchten auf den Grund gehen.
    Der Katholik unter den Filmemachern
    1960er-Jahre. Little Italy. Charlie aus "Hexenkessel" ist Mafioso, aber auch Katholik. Entsprechend seine Probleme.
    "Alles ist beschissen. Bis auf die Qual. Die Höllenqualen. Eine Streichholzflamme. Millionenfach verstärkt."
    Das Werk von Martin Scorsese, inzwischen 75 Jahre alt - bis zur Affäre mit einer Frau wollte er Priester werden -, war immer "der" Katholik unter den US-Filmemachern. Seine Filme sind bevölkert von Gläubigen, genauer: gläubigen Männern in einer Identitäts- und einer Glaubenskrise. Beides verwickelt sich unentwirrbar. Bei Charlie in "Hexenkessel" oder bei Jesus in "Die letzte Versuchung Christi" von 1988. Dabei geht es nicht um den Katholizismus oder den Buddhismus wie in Scorseses Dalai-Lama-Film "Kundun", nein, für Scorsese ist nicht die Frage nach der Konfession die entscheidende. Wichtiger ist ihm, zu erzählen von der Qual des Menschen in der Krise seines Glaubens, der ihm einen Platz in der Welt verschafft. Das gilt auch für Jesus in "Die letzte Versuchung Christi", der in die Wüste geht, um Gott zu hören:
    "Ich werde diesen Kreis nicht verlassen, ich werde nicht weggehen, bis du mit mir sprichst. Keine Zeichen, keine Schmerzen, diesmal sprich zu mir in menschlichen Worten", sagt er.
    Mit eben diesem Schweigen Gottes wird im Film "Silence" Pater Rodrigues konfrontiert.
    Er fragt: "Hat Gott ihre Gebete gehört, als sie starben?"
    Angst und Zweifel
    Die beiden jungen Jesuiten verstecken sich, angekommen in Japan, in einer Gemeinde von Christen, die Tag für Tag in der Angst leben, von der japanischen Inquisition entdeckt zu werden. Dann der Verrat. Pater Rodrigues und Pater Garpe vor dem Inquisitor. Sie sollen auf das Marienbild treten, so von ihrem Glauben abschwören. Oder dabei zusehen, wie die japanischen Christen gefoltert und hingerichtet werden. Das zeigt Scorseses in drastischen, schwer erträglichen Bildern. Zunächst ist Rodrigues sich selbst und seines Glaubens ganz gewiss. Während Pater Garpe schon bald anfängt zu zweifeln angesichts der Gewalt, der Qual, der Folter und des Todes:
    "Wir dürfen nicht zweifeln, denn es wäre unser Tod. - Sind wir nicht dabei aufzugeben? Wir laufen doch gerade davon, - Nein - nachdem Menschen für uns gestorben sind. - Sie sind nicht für uns gestorben, Garpe, sie sind nicht für uns gestorben."
    Doch auch Pater Rodrigues wird sowohl Garpe als auch seinen alten Lehrer, den er verachtete, weil der vom rechten Glauben abfiel, besser verstehen lernen.
    Pater Garpe (Adam Driver, links) und Pater Rodrigues (Andrew Garfield, rechts).
    Pater Garpe (Adam Driver, links) und Pater Rodrigues (Andrew Garfield, rechts). (2017 Concorde Filmverleih GmbH)
    Der Diskurs über Glauben, Zweifel, Hoffnung und Vertrauen, den Martin Scorsese in überwältigenden Bildern im Film "Silence" vorführt, wirft ein düsteres Bild auf jegliche Form von Fundamentalismus, im Film auf beiden Seiten, der japanischen wie der westlich-christlichen, die beide ihren Anspruch auf universelle Wahrheit verfolgen. Pater Rodrigues' Rektor bringt das noch in Portugal, auf den Punkt, wenn er zu den beiden Heißspornen, die es nach Japan zieht, über die missionarische Arbeit sagt:
    "Tausende sind für das, was wir ihnen gebracht haben, gestorben."
    Rodrigues wird in diesem Albtraum der Christenverfolgung in Japan schließlich erkennen müssen, dass sein Widerstand, von Glauben abzufallen, Unzähligen das Leben kostet.
    "Sicher hat Gott ihre Gebete gehört, als sie starben. Aber hat er auch ihre Schreie gehört. Wie kann ich diesen Menschen, die soviel durchlitten haben, sein Schweigen erklären. Ich selbst brauche meine ganze Kraft, um es zu verstehen."
    Das macht den Kern von Rodrigues' Glaubenskrise aus.
    "Ich spüre die Versuchung, die Versuchung zu verzweifeln. Ich habe Angst."
    Der japanische Inquisitor in "Silence" weiß um den Konflikt des Priesters, wenn er den vor eine perfide Alternative stellt:
    "Wenn du wahrhaft ein Christ bist, wirst du abschwören und sie nicht sterben lassen."
    Menschlichkeit als Botschaft
    Das Japan des 17. Jahrhunderts, das Martin Scorsese in seinem Film darstellt, ist düster. Kein Kirschblüten-Kitsch, keine betörende Ästhetik von Formen und Farben, die Japan-Filme für uns so faszinierend machen. Und doch ist die Botschaft von "Silence" im Kern die der Bergpredigt: Pater Ferreira nämlich - Liam Neeson spielt ihn -, der ehemalige Jesuiten-Priester, der nun in Japan eine Frau hat und zum Buddhismus konvertiert ist, fiel nicht aus Schwäche vom "rechten" Glauben ab, sondern aus Liebe zu den Menschen, weil er die japanischen Christen vor Verfolgung bewahren wollte. Und weil er im Übrigen das Anderssein des im Land praktizierten Shintoismus und Buddhismus ebenso zu akzeptieren begann wie er den kolonialistischen Anspruch des christlichen Missionars zu hinterfragen begann:
    "Die Japaner können sich eine Existenz jenseits des Reichs der Natur nicht vorstellen. Für sie gibt es nichts, das das Menschliche übersteigt. - Nein! - Sie können sie nicht begreifen, unsere Vorstellungen von einem christlichen Gott."
    Auch Pater Rodrigues, der seinen alten Lehrer für diese Gedanken hier noch verachtet, er wird am Ende realisieren müssen, dass seine Dogmen in dieser japanischen Kultur zu Phrasen werden:
    "Ich habe sie sterben sehen, ich habe sie sterben sehen, und ihr Tod war nicht sinnlos. - Nein, das war er nicht. Sie sind für dich gestorben."
    Martin Scorseses komplexe Erzählung über Glauben und Glaubenskrisen im Japan des 17. Jahrhunderts wird so zu einer zeitgemäßen Geschichte gegen Fundamentalismus und Dogmatismus jeglicher Couleur. Und berührt damit Fragen philosophischer, religiöser und spiritueller Natur, die auch in einer entzauberten digitalen Welt nicht erledigt sind. Denn Menschlichkeit ist die Botschaft von "Silence".