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Kinokritiker: Schmuddelkinder der Branche adeln

Der 3D-Animationsfilm "Up" als Eröffnungsfilm der diesjährigen Filmfestspiele in Cannes ist nach Ansicht des Filmkritikers Josef Schnelle der Versuch, auch die "Schmuddelkinder" der Branche in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Ansonsten gäbe es sehr viel bekannte Namen, Autoren und Filmemacher, die häufig in Cannes zu Gast seien.

Josef Schnelle im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: An der Croisette wartet man, wie jedes Jahr, auf die Stars und auf gute Filme, denn dass das Geschäft vermutlich nicht ganz so glamourös verlaufen wird wie in der Vergangenheit, dafür wird die Finanzkrise sorgen - oder der Streik der amerikanischen Autoren, der ja auch schon einiges verhindert hat. Zunächst aber wird heute Abend das Filmfestival festlich eröffnet, mit einer Neuheit, denn zum ersten Mal macht ein 3D-Animationsfilm der Disney-Tochter Pixar Studios den Auftakt zur Palmenkür, die danach folgt. Josef Schnelle ist einer unserer Kritiker in Cannes. Er hat den Film "Up" schon gesehen. Herr Schnelle, war das heute Nachmittag wirklich auch eine neue Dimension des Kinos?

    Josef Schnelle: Ich fand das eigentlich nicht. Ich habe nicht verstanden, was da im Vorfeld zum Beispiel in "Varaity" gestanden hat, dass man diesen Film den berühmten Disney-Klassikern "Schneewittchen und die 7 Zwerge" oder so etwas vergleichen kann. Das kann man wirklich nicht sagen. Es ist ein sehr netter, warmherziger Film für Kinder und solche, die es geblieben sind. Und mit der Moral: Die wahren Abenteuer, die erlebt man doch zu Hause, und später geht's dann vielleicht noch mal weiter zu einer zweiten Abenteuertour im Alter. Das ist eigentlich so ein bisschen die Geschichte.

    Fischer: Was ist denn über die Technik zu sagen? Man hört, Sie haben diese 3D-Brillen aufbekommen, die ja nicht gerade sich durch Bequemlichkeit auszeichnen?

    Schnelle: Das sind sogar welche, die man zurückgeben muss. Wir waren heute die Glücklichen, die die zuerst angezogen haben. Und diese zweite Schicht, die jetzt gerade ins Kino geht, die wird wohl ein bisschen Angst vielleicht vor der Schweinegrippe haben. Also die werden rumgereicht, es sind nicht diese Wegwerfbrillen, die man kennt, aus früheren 3D-Auftritten. Und das macht natürlich die Sache etwas unbequem. Das war ja schon immer das Problem des 3D-Kinos, eben diese Brillen. Bei der geringsten Ungleichheit der Augenschärfe hat man dann irgendwann Kopfschmerzen.

    Fischer: Wie sehen die Effekte denn aus? Ist das normales 3D-Kino?

    Schnelle: Die sind sehr zurückhaltend. Wenn man das aus den Freizeitparks gewohnt ist, dann wird man da jetzt nicht so viel Neues entdecken. Es ist mehr so ein Effekt von einem Aquarium, also dass es so ein bisschen Raum in dem Bild gibt. Und man vermeidet eigentlich so dieses Sachenwerfen, Bienen-summen-Lassen oder so etwas. Man kann sagen, das ist natürlich eine künstlerische Entscheidung, das jetzt nicht zur Effekthascherei zu verwenden, sondern eben nur da einzusetzen, wenn es wirklich ein bisschen was bringt für die Geschichte.

    Fischer: Nun ist es ja wahrscheinlich kein Zufall, dass die Festivalmacher "Up" programmiert haben, also ein Genre, das Neuheitswert besitzt, aber auch ein bisschen sozusagen einen Nebenweg darstellt.

    Schnelle: Ja, das hat man hier schon häufiger gemacht, mit dem Dokumentarfilm zum Beispiel. "Bowling for Columbine" von Michael Moore war der erste Dokumentarfilm, der ein Festival eröffnet hat, und das ist jetzt hier der erste 3D-Animationsfilm, der so ein Festival eröffnet. Das sind eigentlich so die Schmuddelkinder in der Branche, und das wird hier schon geadelt zum großen Kino. Das ist schon, glaube ich, ne gute Entscheidung.

    Fischer: Schmuddelkinder sind die Autorenfilmer nun gewiss nicht mehr, die sind in diesem Jahr sehr, sehr stark vertreten: Ken Loach, Michael Haneke, Quentin Tarantino. In früheren Jahren war Cannes ja auch für ein paar Entdeckungen gut. Kann man die in diesem Jahr machen?

    Schnelle: Das weiß man natürlich vorher nicht, aber es sind schon sehr, sehr viele bekannte Namen, Autoren und Filmemacher, die zum Teil drei-, viermal hier waren, Goldene Palmen und andere Preise gewonnen haben, darunter zum Beispiel Lars von Trier, der hier so was wie ein ständiger Gast ist. Und dann gibt es zwei, drei Filme, wo man richtig weiß, was da drin steckt, und die könnten natürlich die Überraschung sein.

    Fischer: Im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" stellt Tobias Kniebe heute eine steile These auf, nach der ich Sie gerne fragen würde, Josef Schnelle, nämlich, dass die Filmförderung in Deutschland, die ja unter Kulturstaatsminister Bernd Neumann geändert und aufgestockt wurde, zumindest mittelbar dazu führt, dass sich jetzt auch internationale Größen wie eben Tarantino oder von Trier sich mit deutschen Stoffen und Motiven beschäftigen. Filmförderung als Geschichtsmotor, das wäre einerseits ja toll, andererseits aber auch ein bisschen profan?

    Schnelle: Ja, die sind, glaube ich, hauptsächlich gekommen, diese drei Filme, die er da meint, sind hauptsächlich gekommen, um das Geld, das Fördergeld abzuholen. "Antichrist" von Lars von Trier zum Beispiel spielt nicht im deutschen Wald, sondern im kanadischen Wald, und der Waldmythos ist ja vielleicht auch so was Urmenschliches. Und bei Quentin Tarantino, wo es um Nazis geht, das ist immer auch schon in amerikanischen Filmen ein Lieblingsthema gewesen. Ich glaube, dass diese These was zu steil war. Die Filme waren ja alle noch nicht zu sehen.

    Fischer: Vielen Dank an Josef Schnelle für diese ersten Eindrücke vom Filmfestival in Cannes. Heute Abend ist offizielle festliche Eröffnung.