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Kinokunst für alle

Das "Festivals des deutschen Films" in Ludwigshafen ist ein Publikumsfestival, das auch Filme zeigt, die schon im Kino angelaufen sind. Auch in diesem Jahr spielte - wie schon im vergangenen Jahr - die ostdeutsche Provinz eine prominente Rolle als Schauplatz der vorgestellten Filme. Es gab unterschiedliche Antworten auf die Fragen, was bleibt an Lebensmöglichkeiten zwischen Alkoholkonsum und urbaner Plattenbau-Tristesse?

Von Klaus Gronenborn | 14.06.2008
    Zeitweise fühlte man sich an das Filmfestival im schweizerischen Locarno erinnert, wenn heftiger Gewitterregen niederprasselte. Doch der konnte die gute Stimmung des Publikums beim "Festival des Deutschen Films" nicht trüben. Abend für Abend erwiesen sich die beiden Zeltkinos auf der Ludwigshafener Parkinsel unter den alten Platanen am Rheinufer als ebenso magisch leuchtender wie generationsübergreifender Ort - der das Kino im urbanen Multiplex- und Programmkino-Alltag ja längst nicht mehr ist.

    Ein Gewinn für die Region ist das "Festival des Deutschen Films", das sich dem Autorenfilm verschrieben hat, allemal. Umso befremdlicher, dass die Landesregierung von Rheinland-Pfalz das Festival nach wie vor finanziell nicht mittragen will. Wenn es dabei bleiben sollte, dann sei, so Festivalleiter Michael Kötz in seiner Rede anlässlich der Verleihung des "Preises für Schauspielkunst" an Nina Hoss, "die Zukunft des Festivals, so schön es sich auch entwickelt hat, ernsthaft gefährdet". Bleibt zu hoffen, dass der lebhafte Publikumsprotest an dieser Stelle seiner Rede nicht ohne Resonanz im Mainzer Ministerium verhallt.

    Nach der Preisverleihung an die Schauspielerin Nina Hoss wurde vor knapp tausend Zuschauern der Film "Das Herz ist ein dunkler Wald" der Berliner Regisseurin Nicolette Krebitz gezeigt. Er beginnt wie ein typischer realistisch intonierter Spielfilm der "Berliner Schule." Dann aber steigern sich die wie ein klassisches Drama aufgebauten Szenen einer zerbrechenden Ehe zu einem veritablen Alptraum, mit einer Medeagleich fulminant agierenden Nina Hoss als betrogener Ehefrau. Die muss eines Tages feststellen, dass ihr Mann ein Doppelleben führt. Ihm, dem Musiker Thomas, verleiht Devid Striesow, ebenfalls in Ludwigshafen mit dem "Preis für Schauspielkunst" ausgezeichnet, eine intensive Präsenz. Er führt ein zweites Eheleben mit einer anderen Frau, einem anderen Kind. Ein Leben, das auf bestürzende Weise bis in die Details der Wohnverhältnisse dem eigenen ähnelt. Das entzieht der Protagonistin den Boden der Realität unter den Füßen - und lässt sie zuletzt vom Opfer zur Täterin werden.

    Auch in diesem Festivaljahrgang spielte - wie schon im vergangenen Jahr - die ostdeutsche Provinz eine prominente Rolle als Schauplatz.
    Was bleibt hier an Lebensmöglichkeiten zwischen Alkoholkonsum, erfolglosen Gängen zum Arbeitsamt und der urbanen Plattenbau-Tristesse der Wohnverhältnisse? Darauf gaben die Filme im Wettbewerb um den mit 50.000 Euro dotierten "Filmkunstpreis" ganz unterschiedliche Antworten.

    Der Protagonistin Eva in Tamara Staudts Spielfilm "Nur ein Sommer" gelingt noch die Flucht aus der Plattenbausiedlung im brandenburgischen Eberswalde in die Schweizer Berge, wo sie als Melkerin auf einer Alm arbeitet und eine neue Liebe findet. Die jugendlichen Protagonisten in "Sieben Tage Sonntag", dem Spielfilmdebüt von Niels Laupert, entkommen ihrer urbaner Unbehaustheit nicht. Lauperts Film basiert auf der authentischen Geschichte zweier 16-Jähriger, die einen brutalen Mord begingen und trotz ihrer Minderjährigkeit nach Erwachsenenstrafrecht zu 25 Jahren Haft verurteilt wurden. Mit düsterer Präzision und einer an die Filme des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieslowski erinnernden Dramaturgie und Bildästhetik zeichnet Niels Laupert das Bild einer Jugend, die sich nur durch Gewalt Respekt zu verschaffen meint.

    Unter den Regiedebüts hinterließ "Die Legende von Shiva und Parvati", der einzige Dokumentarfilm im Wettbewerb, den ästhetisch nachhaltigsten Eindruck. Krishna Saraswati, geboren in einem nordindischen Himalajadorf und aufgewachsen in Deutschland, erzählt in seinem ersten Langfilm, der an der Filmakademie Ludwigsburg entstand und im Zeltkino auf der Parkinsel uraufgeführt wurde, die Geschichte seiner Eltern. Seine Anfang der 1950er Jahre geborene Mutter ging in der 70er Jahren als Hippie nach Nordindien und lebte dort mit einem Yogi zusammen.

    Krishna Saraswati, mit dem das "Festival des Deutschen Films" einen viel versprechenden Regisseur entdeckt hat, blickt hinter die Familienphotos, die ihm von seinen heute verstorbenen Eltern geblieben sind. In weit ausholenden erzählerischen Bögen verbindet sein Film die schwäbische Provinz mit der nordindischen Bergregion. Saraswati befragt Freunde und Weggefährten seiner Eltern nach deren Lebensträumen. Und er entdeckt bittere Wahrheiten hinter der scheinbar tiefenentspannten Hippie-Idyllik einer drei Mal leitmotivisch zitierten Photografie aus dem Jahr 1977, die seine Mutter meditativ versunken im Lotos-Sitz neben ihrem freundlich lächelnden Yogi-Ehemann zeigt.

    "Die Legende von Shiva und Parvati" bleibt ästhetisch vielschichtiger, für einen Studentenfilm erstaunlich souverän inszenierter und montierter, auf jeden Fall preiswürdiger Film in Erinnerung.