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Kinostart "Verstehen Sie die Béliers?"
Mittlerin zwischen der Welt und ihrer taub-stummen Familie

Regisseur Eric Lartigeau zeigt in dieser locker-leichten französischen Komödie die Familie Bélier. Die 16-jährige Paula tritt als Mittlerin auf, weil alle anderen Familienmitglieder taub-stumm sind. Ausgerechnet sie hat eine beeindruckende Gesangsstimme - und muss sich nun zwischen ihrer Familie und einer Ausbildung im entfernten Paris entscheiden.

Von Josef Schnelle | 28.02.2015
    - "Denkt ihr Vater wirklich, die Leute würden einen Gehörlosen wählen?"
    - "Die Leute haben ja auch einen Idioten gewählt."
    Die 16-jährige Paula ist nicht auf den Mund gefallen. Hier gibt sie dem Bürgermeister des kleinen Provinzörtchens Paroli, der fürchtet, Vater Bélier könnte bei der nächsten Wahl gefährlich werden. Der ist nämlich tatsächlich taubstumm wie seine Frau und Paulas jüngerer Bruder. Die Béliers sind Milchbauern, machen Käse und verkaufen ihn auf dem Wochenmarkt. Da ist Paula, die einzige in der Familie, die hören und sprechen kann, besonders gefordert. Sie muss der Umwelt die Gebärdensprache der Eltern übersetzen, auch beim Gang zum Frauenarzt muss sie sie begleiten, auch, wenn es um intime Dinge wie Vaginalpilze geht.
    - "Auf jeden Fall ist es unbedingt notwendig, dass er die Salbe verwendet. Sonst wird sie das nie los."
    - "Du musst die Salbe verwenden. Das ist superwichtig."
    - "Außerdem sollten sie für eine gewisse Zeit keinen Geschlechtsverkehr haben."
    - "Was heißt: Nicht damit einverstanden? Aber ihr könnt euch doch wohl eine Weile zurückhalten. Ihr seid doch keine Tiere. Also wirklich."
    In dieser Situation wird die Gebärdensprache zur derben Gestik. Die Lacher im Kino dürften gewiss sein. Die Béliers sind trotz oder gerade wegen ihrer Handicaps eine glückliche Familie, deren Alltag von Harmonie und heiterem Miteinander geprägt ist. Stünde da nicht die junge Hauptdarstellerin Louane Emera mit großer Präsenz im Mittelpunkt, so könnte man den Griff in die Heile-Welt-Klischeekiste für reichlich übertrieben halten. So aber bildet die Familie nur den Hintergrund für eine anrührende Geschichte vom Erwachsen werden. Die Wende kommt mit der Entscheidung für einen Wahlkurs in der Schule. Paula steht mit ihrer Freundin in der Schlange vor der Einschreibung.
    - "Also was nehmen wir? Chor? Töpfern? Theater? Fotografie? Jetzt sag schon, damit wir wenigstens in einem Kurs sind. Hey hörst Du mir vielleicht Mal zu? Jetzt hör aber auf mit diesem Typen. Der ist total nervig im Unterricht und lass dieses ständige Ja, Ja."
    - "Hey ihr Zwei. Könnt ihr euch mal für was entscheiden."
    - "Was ist los? Hast du ein Problem, Harry Potter? Was nehmen wir?"
    - "Chor!"
    - "Chor?"
    Die Tragweite dieser Entscheidung wird Paula erst später begreifen. Auch der Tonfall der lockeren, leichten Komödie ändert sich nun. Paula verliebt sich zum ersten Mal. Der lockenköpfige Gabriel erscheint auch durchaus nicht unerreichbar. Doch dann geschieht bei den Chorproben etwas Unerwartetes. Plötzlich entschlüpft ihr ein hinreißender Sopranton.
    - "Wi wi wi wi wi wi wi."
    - "Sehen sie nicht in den Himmel. Das bringt nichts. Nach vorne geradeaus."
    - "Wiwiwiwiwiwiwi."
    - "Ja, sehr gut, langsam kommt es. Noch mal."
    - "Wiwiwiwiwiwiwi."
    - "Öffnen sie sich sehr gut, das ist es."
    - "Wiwiwiwiwiwiwoah."
    - "Das wollte wohl schon lange raus."
    Nun will ihr ehrgeiziger Musiklehrer sie für einen Wettbewerb der Musikhochschule bei Radio France anmelden. Doch das würde eine Trennung von der Familie bedeuten. Und weil Paula kein renitenter Teenager ist, treibt sie das um. Doch in der Märchenlogik dieses dahinplätschernden Unterhaltungsfilms mündet die Geschichte in ein gutes Ende.
    Komödien reisen nicht, sagt man. Der Humor des einen Landes ist im anderen nur schwer verständlich. Doch das gilt offenbar ausdrücklich nicht für französische Filmkomödien wie "Willkommen bei den Sch´tis" oder zuletzt "Monsieur Claude und seine Töchter", die auch in Deutschland Millionen Besucher anlockten. Vielleicht liegt das Erfolgsgeheimnis nicht in der dramaturgischen Perfektion, sondern im leicht-lockeren französischen Flair, das diese Filme mitbringen und das auch bei uns viele Freunde hat.
    Auch die "Béliers" werden viel Erfolg haben. Und dieses anrührende Drama um ein Mädchen, das die Stimme einer ganzen Familie ist und dann entdeckt, das seine Berufung im Gesang liegt, hat es auch verdient, ein Publikum mit einer empathischen Botschaft zu berühren.
    Vielleicht ein bisschen schlicht ist dieser Film, aber wenn Louane Emera als Paula das Lied singt, dass ihre Eltern nie hören werden, weswegen sie es ihnen auf der Bühne in Gebärdensprache übersetzt, dann fühlt man sich auf angenehme Weise in große Zeit der französischen Melodramen in den 1950er-Jahren zurückversetzt. "Liebe Eltern ich geh, ich liebe euch aber ich geh, ich fliehe nicht, ich flieg davon."