So süß der Titel des Films, so bitter seine Erkenntnis:
"Die Kalorien im Zucker müssen wohl anders reagieren, als andere Kalorien."
Das wird der Australier Damon Gameau am Ende von "Voll verzuckert" festgestellt haben. Keine wirklich neue Erkenntnis, nach der die Ernährungslehre komplett neu geschrieben werden muss. Aber es ist eine, die von den Konsumenten – vor allem den Kalorienzählern – weitgehend ignoriert und von den größten Nahrungsmittelkonzernen erfolgreich kleingeredet wird.
"Die Zuckerindustrie setzt sei jeher vollständig auf die Idee der Energiebilanz. Denn eine nachweislich schädigende Wirkung würde Zucker auf eine Stufe mit Zigaretten, Tabak und Lungenkrebs stellen. ..."
Sagt Gary Taubes, Ernährungsexperte und Autor des Buchs Good Calories, Bad Calories.
"Die Zuckerindustrie vertrat die Idee: Eine Kalorie ist eine Kalorie ist eine Kalorie. Und doch bewirken diese Kalorien nachweislich ganz unterschiedliche Dinge im menschlichen Körper."
Welche das sind, veranschaulicht Damon Gameau in einem Selbstversuch. Der steht im Mittelpunkt von "Voll verzuckert". Gameau, von Beruf Schauspieler, inszeniert sich selbst als Versuchskaninchen in seinem ersten Dokumentarfilm. Dabei gilt sein Interesse ausschließlich dem Nahrungsmittel, von dem jeder Deutsche 35 Kilo im Jahr zu sich nimmt – Tendenz steigend.
Das Zucker-Experiment
"Ich will rausfinden, was Zucker mit mir macht. Worauf sollte ich denn jetzt achten?"
"Wenn du dich dem australischen Durchschnittswert anpassen willst, dann musst du täglich schon so etwa 40 Teelöffel Zucker essen."
"40 täglich?"
"Ja, 40 täglich. ..."
David Gillespie ist einer von vier Experten, die Damon Gameau bei seinem Zucker-Experiment begleiten. Im Film wird der Buchautor zur Comicfigur "Der Kreuzritter". Einer von vielen Einfällen, in denen Gameau seiner Kreativität freien Lauf gelassen hat, damit sein Film so kurzweilig und unterhaltsam wie nur möglich ist, dabei aber die wissenschaftlichen Fakten nicht aus den Augen verliert. Da darf sein Landsmann Hugh Jackman – kostümiert als Magier – im Schnelldurchgang die Geschichte des Zuckers präsentieren. Und der Brite Stephen Fry macht uns in einem kleinen Exkurs mit der Familie Zucker bekannt.
"Gewisse Nahrungsmittel, die wir essen, werden aufgetrennt. Sie zerfallen zu Traubenzucker, den unser Körper gern verbrennt. Gäbe es keinen Traubenzucker, gäbe es keinen Menschen wie dich."
Nur Zucker aus "gesunden Lebensmitteln"
Weniger originell als die Inszenierung, in der Gameau die sprechenden Köpfe seines Expertenteams mitunter auf Dosen, Flaschen und Schachteln der zuckerhaltigen Nahrungsmittel platziert – weitaus weniger originell ist jedoch der eigentliche Versuch. Denn den hat in ganz ähnlicher Form schon 2004 der Amerikaner Morgan Spurlock in seinem Film "Super Size Me" unternommen.
Statt Fast Food jetzt also Zucker: umgerechnet 40 Teelöffel am Tag – und das zwei Monat lang. Das Besondere: Bei dem konsumierten Zucker darf es sich ausschließlich um solchen handeln, der in sogenannten gesunden Lebensmitteln steckt wie Fruchtsäften, Frühstücksflocken oder Müsliriegeln.
" Also keine Softdrinks, Schokolade, Süßigkeiten oder Eis. ..."
Es würde diesen Film natürlich nicht geben, wäre nach 60 Tagen – am Ende des Selbstversuchs – nichts Bemerkenswertes mit Damon Gameau und seinem Körper passiert. Das Ergebnis:
"Ich nehme die gleiche Menge Kalorien zu mir wie vorher, aber meine Leber ist nur noch fettund in meinen Kopf tut sich was. So viel ist klar. Und ich fühle mich nicht satt."
8,5 Kilo Gewichtszunahme, zehn Zentimeter größerer Bauchumfang, Fettleber: Das sind die Fakten. Dass es bei diesem Einzelergebnis weniger um Validität geht als vielmehr um bildhafte Deutlichkeit, ist Damon Gameau sicherlich von Anfang an bewusst gewesen. Dennoch greift sein Film zu kurz, wenn er vor allem im letzten Drittel die Macht der Lebensmittelkonzerne und ihrer vermeintlich gekauften Wissenschaftler ins Visier nimmt. Der – nennen wir es – investigative Teil von "Voll verzuckert", der sich mit dieser weltweiten Zucker-Verschwörung befasst, ist wenig raffiniert. Hier hätte der Film mehr Pfeffer und weniger eitle Selbstinszenierung vertragen können.