Freitag, 19. April 2024

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Kinostart "Wackersdorf"
"Politiker schämen sich ja heute für nichts mehr“

Wackersdorf steht seit den 1980er-Jahren für Bürgerprotest und zivilen Ungehorsam. Sieben Jahre lang kämpften die Menschen gegen eine geplante atomare Wiederaufbereitungsanlage. Heute undenkbar, meint Filmregisseur Oliver Haffner. Die bayrischen Polizeigesetze würden einen solchen Protest verhindern.

Oliver Haffner im Corsogespräch mit Thekla Jahn | 14.09.2018
    Szene aus dem Spielfilm "Wackersdorf" von Oliver Hafner, Kinostart: 20.09.2018
    Landrat Hans Schuirer schließt sich dem Protest gegen die atomare Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf an (Erik Mosoni Photography)
    Nicht Demonstrationsszenen, nicht Bilder von Protestlern, von Wasserwerfern und Hundertschaften der Polizei stehen im Vordergrund des Films, sondern der SPD-Landrat Hans Schuirer, der zunächst daran glaubt, dass Fortschritt und neue Technologie Arbeitsplätze und Wohlstand in die Oberpfalz bringen. Doch dann erkennt er, dass man ihm nicht alle Risiken erzählt hat und dass demokratische Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, um das Projekt durchzusetzen.
    Hans Schuirer ist in Sorge um seinen Landkreis und die Menschen. Er positioniert sich gegen die Wiederaufbereitungsanlage und lässt sich auch von der Strauss-Regierung nicht einschüchtern.
    "Ich glaube es gibt diesen Politiker-Typus heute weniger, aber die Sehnsucht nach diesen Politikern ist sehr groß", meint Regisseur Oliver Haffner und beklagt, dass in den vergangenen Jahrzehnten Vertrauen in Politiker verloren gegangen sei.
    Rücksichtsloses Karrieredenken hat zugenommen
    "Der Neoliberalismus macht ja vor keiner Volksgruppe halt. Und das Karrieredenken und das rücksichtslose Karrieredenken, das hat sich auch im politischen Betrieb vor die eigentlichen Aufgabe - nämlich Diener des Volkes zu sein und das Entwickeln von Ideen für das Gemeinwesen - geschoben. Und das ist, glaube ich, die Hauptursache dafür, dass dieser Vertrauensverlust stattgefunden hat."
    Das Polit-Drama "Wackersdorf" verquickt gedrehte Spielfilmszenen und Archivmaterial geschickt miteinander, versucht die Zeit der 1980er in der Bildsprache und mit heutzutage gefühlt langen Einstellung wiederaufleben zu lassen.
    "Ich glaube ganz stark an eine Ruhe - generell - in der filmischen Erzählung vor allem in unserer ein bisschen überbeschleunigten Zeit, an lineare Erzählstrukturen, die dieser Dekonstruktion der Realitiät etwas entgegensetzen." Das, so ist Oliver Haffner überzeugt, funktioniere auch bei jüngeren Zuschauern, die im Film schnellere Schnitte gewohnt sind. "Weil es für die ja etwas Neues ist. Wenn man dem Zuschauer am Anfang klar macht in der Bildsprache, dass er sich auch mal zurücksetzen kann und sich in diese Welt einfach fallen lassen darf, dann ist es ein großer Unterhaltungswert, aber ich denke auch das die empathische Fähigkeit des Zuschauers dadurch angeregt wird."
    Protest wie in Wackersdorf heute nicht mehr möglich
    Der Film hat durch die Demonstrationen in München, bei der kürzlich 30.000 Menschen gegen die bayrischen Polizeigesetze auf die Straße gingen, eine nicht vorhergesehene Aktualität erhalten.
    "Man muss sich mal klar darüber sein: Das neue Polizeiaufgabengesetz, das würde sozusagen einen Protest wie in Wackersdorf jetzt total verhindern. Die Leute werden schon verhaftet, bevor sie überhaupt ihre Wohnungen verlassen. Das muss man sich auch klar machen, dass durch den Überwachungsstaat oder die Ausweitung der Polizeirechte wir eigentlich in einem viel demontierteren Rechtsstaat uns mittlerweile befinden, als in den 80er-Jahren."
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.