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Kippende Rotationsachse lässt es in mittleren Breiten schneien

Raumfahrt. - Auf dem Mars gibt es offenbar nicht nur an den Polen Wassereis, sondern auch in niederen Breiten. Auf einer Pressekonferenz der US-Raumfahrtagentur NASA und in einem Artikel in "Nature" stellt ein Wissenschaftler der staatlichen Universität Arizona in Tempe entsprechende vor, die auf den Bildern der US-Marssonde Odyssey beruhen. Dieses Eis soll auch für die auffälligen Erosionsrinnen verantwortlich sein, die seit einigen Jahren als Hinweise auf Wasser in jüngerer Marsvergangenheit gelten.

    Lange Zeit galten die Erosionsrinnen und Schuttfächer, die eine hochauflösende Kamera an Bord der US-Raumsonde "Mars Global Surveyor" auf der Marsoberfläche entdeckt hat, als Indizien für flüssiges Wasser in so planetologisch kurz zurückliegenden Zeiten wie einer Million Jahre. Aufgrund neuer Bilder, die diesmal die jüngste Marssonde der NASA, Odyssey, gemacht hat, schlägt ein Geologe der staatlichen Universität von Arizona jetzt einen Mechanismus vor, in dem Schnee die entscheidende Rolle spielt. Sie verknüpften dafür die Rinnen mit den ebenfalls schon länger bekannten pastenartigen Strukturen, die früher schon als Eisvorkommen unter Schutt und Staub interpretiert worden waren.

    Der Mechanismus ist relativ komplex: Auslöser ist die Rotationsachse des Planeten, die sehr viel stärker schwankt als die der Erde. Denn anders als unser Planet hat der Mars keinen großen Trabanten, der ihn stabilisiert. Offenbar kippt sie daher in Abständen von etwa 100.000 Jahren um einen beträchtlichen Winkel und setzt dabei die Pole, an denen normalerweise das Gros des auf dem Mars verbliebenen Wassers als Polareis konzentriert ist, verstärkt der Sonnenstrahlung aus. Die mittleren Breiten, die etwa den Zonen von Berlin, Moskau und Chicago auf der Erde entsprechen, sind in diesen Perioden die kältesten Stellen des Mars. Philip Christensen hat jetzt in einem Computermodell berechnet, dass in diesen Zeiten das Polareis sublimiert, also direkt vom Eis in die Wasserdampfphase übergeht, und sich als Schnee in mittleren Breiten niederschlägt. Kippt die Marsachse wieder zurück, werden diese Schneefelder der Sonnenstrahlung ausgesetzt und dann beginnt der Mechanismus, der zu den Rinnen führt. Die Schneeoberfläche reflektiert nämlich nur den größten Teil der Lichtenergie, ein gewisser Prozentsatz wird in einer darunter liegenden Schicht absorbiert und verflüssigt dort das Wasser. Dieses flüssige Wasser fließt dann durch die Schneeoberfläche geschützt durch den Schutt der Marsoberfläche und sorgt für die Erosionsrinnen. Nach und nach verdampft der Schnee der mittleren Breiten wieder und zurück bleiben die Erosionsrinnen sowie die Eispakete an polzugewandten Wänden, die ebenfalls schon beobachtet wurden.

    Christensens Vorschlag ist zunächst einmal nur eine weitere Erklärung unter vielen, die durch weitere Daten künftiger und noch laufender Marsmissionen noch erhärtet werden muss. Doch für die NASA, die derzeit die Landeplätze der beiden Mars-Rover auswählt, hat sie besonderen Reiz. Denn in solchen Schneefeldern oder in ihren Resten - so sagen die Enthusiasten der Agentur - könnten durchaus extrem belastbare Mikroorganismen, Bakterien oder sogar Algen leben.

    [Quelle: Dagmar Röhrlich]