Spengler: Frau Schavan, ein alter Lehrsatz der Römer lautete: über die Toten nur Gutes. Heißt das, dass Sie nun die Auseinandersetzungen mit dem Papst und Ihre Enttäuschungen der letzten Jahre vergessen und verdrängt haben?
Schavan: Die muss man nicht vergessen und wer sie nicht vergisst, schmälert auch nicht das Lebenswerk dieses großen Papstes. Es war ein Jahrhundertpapst. Es war ein ungewöhnlicher Brückenbauer. Es war ein Papst mit einem großartigen Charisma, ohne das diese Kirche nun zu leben hat. Das alles macht jeden Katholiken auch stolz. Das sind auch alles Würdigungen, die jedes Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken so teilt. Aber gerade weil für ihn der Satz gilt, dass er den Mächtigen nie geschmeichelt hat, war er umgekehrt auch jemand, der ganz gewiss nicht wollte, dass man ihm nur schmeichelte.
Spengler: Sie haben in einem Fragebogen der Zeitschrift "Focus" auf die Frage nach Ihrer Lieblingsfigur in der Geschichte geantwortet: das ist Papst Johannes XXIII. Warum war Ihnen dieser Papst lieber als der verstorbene?
Schavan: Dieser Papst ist für mich verbunden mit dem 2. vatikanischen Konzil, mit einem besonderen Höhepunkt in der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts, weil dieses Konzil ja in besonderer Weise Weichen dafür stellen wollte, die Türen und Fenster zu öffnen, sich in neuer Weise mit der jeweiligen Zeit und Kultur auseinanderzusetzen, in der die Kirche existiert, also Impulse nicht ausschließlich aus der Tradition zu suchen, sondern ernsthaft die Fragen der Zeit im Licht des Evangeliums zu betrachten. Das habe ich für einen ganz großartigen Aufbruch gefunden und Johannes XXIII. war jemand, der die Kirche in besonderer Weise ermahnt hat, nicht allein auf das zu setzen, was war, und nicht zu glauben, es sei schon alles entfaltet, was in der Kirche steckt, sondern auf das Neue zuzugehen.
Spengler: War dann Johannes Paul II. sozusagen die Gegenreformation?
Schavan: Johannes Paul II. hat im Blick auf die Kirche sehr viel stärker auf Tradition gesetzt, auf das, was bislang in der Kirche entwickelt war. Er war fortschrittlich als politischer Papst. Er hat die Welt verändert. Er hat Politik nicht durch unmittelbar politische Aktionen betrieben, sondern indem er zum Beispiel den Menschen in Polen, den Menschen in Osteuropa Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein gegeben hat für diese große Revolution. Aber wenn es um die Fragen der Kirche und ihrer Entwicklung ging, dann war er sehr viel stärker konzentriert auf die Tradition, auf die Bewahrung der Tradition, zu erklären wieso klares Zeugnis eines ist, das sich unmittelbar auf die Tradition zurückführen lässt. Der Blick auf das, was an Neuem möglich ist, an einer Weiterentwicklung, die auch noch bislang nicht Gekanntes zulässt, das war nicht seine Sache.
Spengler: Was war für Sie am Enttäuschendsten?
Schavan: Die Form und dieser Duktus der Endgültigkeit, mit der er sich zum Priesteramt der Frau geäußert hat.
Spengler: Sie hatten ja auch persönlich starke Konflikte wegen der Konfliktberatung für Schwangere. Im Rückblick: war die Schließung der katholischen Schwangerschaftskonfliktberatung ein Fehler, oder können Sie der jetzt etwas abgewinnen?
Schavan: Im Nachhinein finde ich ist dieses Beispiel ein gutes Beispiel, wie Differenzen, wie ein Konflikt doch am Ende zu einem sehr verantwortungsbewussten Handeln der Laien in Deutschland geführt hat. Wir haben ja nicht gestritten über die Frage Lebensschutz ja oder nein, sondern es ging einzig um die Frage, wie kann ungeborenes Leben besser geschützt werden, ist der Schein ein möglicher Hinweis oder ein Grund für ein Missverständnis, ist das ein unklares Zeugnis. Wir waren – übrigens nicht allein die Laien, sondern die überwältigende Mehrheit der deutschen Bischöfe – anderer Meinung. Aber nachdem diese Entscheidung aus Rom da war, hat es eine Initiative gegeben, haben die Laien sehr verantwortungsbewusst gehandelt und so ist es heute möglich, dass in unterschiedlicher Weise Beratung durch kirchliche Beratungsstellen, aber eben auch Beratungen im Kontext des Gesetzes durch Donum Vitae möglich wird. Eine konstruktive Lösung, eine, die letztlich ja auch in der Öffentlichkeit viel Anerkennung findet. Es muss ja nicht sein, dass in der Kirche nie Auseinandersetzung stattfindet. Es ist eine Institution, in der es Differenzen gibt wie überall sonst über viele vorletzte Fragen. Wichtig ist, dass am Ende es dann zu konstruktiven Lösungen kommt.
Spengler: Um noch einmal zurückzuspringen. Sie sagten Ablehnung der Priesterschaft für Frauen. Wieso wäre das so wichtig für Sie, die Ablehnung sozusagen aufzuheben?
Schavan: Ich gehe nicht davon aus, dass die Ablehnung alsbald aufgehoben wird. Man muss wissen, dass jeder Nachfolger in der Tradition seiner Vorgänger steht. Es geht nicht um die Frage Priestertum der Frau jetzt ja oder nein oder in absehbarer Zeit, sondern es ging um den Duktus, um diesen Ton der Endgültigkeit. Wenn man an die Theologie denkt, wenn man sich etwa beschäftigt mit der Ämtertheologie, dann wissen wir natürlich ebenso, dass auch die katholische Kirche in einer Zeitenwende steht, durch die der Papst sie ja in politischer Hinsicht brillant geführt hat. Aber sie muss auch nach innen nachdenken über die Teilhabe von Männern und Frauen an Verantwortung. Sie muss nachdenken über den Stellenwert der Theologinnen in der Wissenschaft. Sie muss nachdenken auch über Teilhabe an der Verantwortung, die die Seelsorge betrifft, also wird es einmal möglich sein, dass wirklich diese Kirche Frauen als Seelsorgerinnen akzeptiert, etwa in der Krankenhausseelsorge, in der Hospizbewegung, in unseren Gemeinden. Ich habe nie erwartet, dass dieser Papst diese Frage schon beantwortet. Das muss man respektieren, wenn jemand sagt, mein Schwerpunkt ist ein anderer und dieser Schwerpunkt ist ein historisch so bedeutsamer, dass dahinter viele innerkirchliche Fragen zurückstehen müssen. Aber die Frage ist, in welcher Art dann ein Thema beendet wird, und ich bin davon überzeugt, dass die katholische Kirche sich der Weiterentwicklung des Amtes und ihrer Dienste in Zukunft stellen muss.
Spengler: Das heißt Sie erwarten von einem neuen Papst die Beantwortung dieser zuletzt angesprochenen Fragen?
Schavan: Ich erwarte von der Kirche unter einem neuen Papst, dass die Kraft, die die Kirche in dieser Welt mit dem Charisma dieses jetzt verstorbenen Papstes gehabt hat, dass diese Autorität und diese Kraft auch nach innen entwickelt wird und da jetzt nicht einfach über Priestertum der Frau ja oder nein diskutiert wird, denn dies heißt einfach nur Fortsetzung bisheriger Strukturen, sondern nachgedacht wird auch über mehr Verantwortung für Laien, mehr Verantwortung für Frauen in der Seelsorge, in der Wissenschaft, in der Präsenz der Kirche vor Ort.
Spengler: Ich danke Ihnen für das Gespräch. – Das war Annette Schavan, die CDU-Politikerin und Kultusministerin Baden-Württembergs.
