Tomas Halik plädiert für eine neue Spiritualität ohne Pomp und feste Gewissheiten. Die Kirche müsse sich Zeit nehmen für die Zweifelnden und Suchenden. Und sie müsse ihre eigene Trägheit überwinden.
"Es gibt so viele Probleme, die verschiedenen Ängste. Und ich meine, auch die Depression ist ein Phänomen unserer Zeit. Das ist nicht die Neurose wie zu Freuds Zeiten. In gewissem Sinne ist Depression eine Krankheit. Aber Depression, in einem breiten Sinne, ist auch ein Zeichen der Zeit, es ist auch eine Zivilisationskrankheit, das ist ein Schwindelgefühl gegenüber den breiten Möglichkeiten. Man muss immer wählen. Das Angebot ist so breit."
Tomas Halik weiß, wovon er spricht. Seit mehr als 30 Jahren ist er Priester, er hat Tausende von Beichten gehört. Und er ist Psychotherapeut. Schon während des Kommunismus hat er in Prag im Untergrund als Geistlicher gearbeitet, seither erzählen ihm die Leute von ihrer Not, von ihrem Kummer, ihren Zweifeln. Nun hat Halik ein Buch darüber geschrieben, es heißt "Nachtgedanken eines Beichtvaters". Nein, Halik verrät nicht, mit welchen Bekenntnissen seine Beichtkinder zu ihm gekommen sind. Aber er gesteht, dass ihn die Geschichten aus der Bedrängnis verändert haben. Auch seinen Blick auf die Kirche. Kann sie als Institution noch auf die Nöte ihrer Gläubigen antworten?
"Wenn die Kirche nur als Institution neben anderen Institutionen wirken wird, kann sie nicht helfen. Kirche muss sich nicht als Organisation, sondern als Organismus verstehen. Ich finde als ein inspirierendes Beispiel aus der Kirchengeschichte die mittelalterliche Universität. Die Universität war eine Gemeinschaft von gemeinsamem Erleben, Lernen und Beten. Und ich meine, wir brauchen so etwas Ähnliches. Gemeinsam die Wahrheit finden, durch die freie Diskussion."
Halik sieht diese "Universität des Mittelalters" nicht bloß als Lehr- und Lernanstalt, sondern als Chiffre für eine verloren gegangene christliche Tradition des angstfreien Gesprächs, der Kontemplation, des Gebets. Nein, Tomas Halik ist kein Mystizist. Er sucht keine Gewissheiten, sondern fragt nach den Bruchstellen des Glaubens.
"Glaube ist für mich keine Überzeugung, sondern eine gewisse Orientierung im Leben. Das ist ein Leben als Dialog. Und Unglaube, das ist für mich eine monologische Lebensführung, wenn man nur sich selbst hört, wenn man keine Rücksicht nimmt auf die anderen, wenn man nur sich selbst durchsetzt, das ist für mich Unglaube."
Nur wer den Zweifel zulässt und sich die Skepsis bewahrt, nur wer sich dem kritischen Impuls des Rationalen stellt, könne etwas verändern, könne auch das Charisma der Kirche wieder stärken, glaubt Halik. Und es gibt viel zu tun. Denn die Kirche ist alles andere als offen, ihr sind Macht und starre Strukturen schlicht zu wichtig. Das sagen viele, aber Tomas Halik sagt es auch. Halik lehrt als Professor für Theologie an der Karls-Universität in Prag, er zählt zu den wichtigen Vertretern seiner Disziplin in Europa. Halik schont Rom nicht.
"Ja, es gibt viele offene Fragen, und einige sind dringend. Dieses Beispiel mit den Wiederverheirateten und ihrer Situation in der Kirche, das ist wirklich ein Skandal. Die heutige Situation kann man mit dem Geist des Evangeliums und Barmherzigkeit Christi nicht begründen."
Die Kirche ist in Gefahr, den Kontakt zu den Menschen zu verlieren. Haliks Urteil über den Zustand der katholischen Kirche fällt nüchtern aus. In den "Nachtgedanken" schreibt er, der fortschreitende Rückgang an Priestern führe zu einem Kollaps der gesamten traditionellen Struktur der Pfarrverwaltung. Halik glaubt, dass es vielen von denen, die in der Kirche konkrete Verantwortung auf sich nehmen, an Mut und Kreativität mangelt. Was muss anders werden? Der Prager Theologe plädiert für eine neue Spiritualität, für einen "kleinen Glauben" ohne Pomp und feste Gewissheiten. Die Kirche müsse sich Zeit nehmen für die Gläubigen - genauso wie für die Zweifelnden und Suchenden. Vor allem aber müsse sie ihre eigene Trägheit überwinden.
"Ich bin der Meinung, wir erleben eine Mittagspause, wir erleben eine Müdigkeit, die im Mittag. Die Alten nennen das Acedia, das ist nicht Faulheit, das ist ein bisschen Depression, ein bisschen Geist der Schwere, das ist ein bisschen ein Burn-out-Syndrom, aber dieses Burn-out-Syndrom, diese Müdigkeit muss man heilen."
Tomas Halik:
Nachtgedanken eines Beichtvaters, Glaube in Zeiten der Ungewissheit, Freiburg 2012, 319 Seiten, 16,99 Euro
"Es gibt so viele Probleme, die verschiedenen Ängste. Und ich meine, auch die Depression ist ein Phänomen unserer Zeit. Das ist nicht die Neurose wie zu Freuds Zeiten. In gewissem Sinne ist Depression eine Krankheit. Aber Depression, in einem breiten Sinne, ist auch ein Zeichen der Zeit, es ist auch eine Zivilisationskrankheit, das ist ein Schwindelgefühl gegenüber den breiten Möglichkeiten. Man muss immer wählen. Das Angebot ist so breit."
Tomas Halik weiß, wovon er spricht. Seit mehr als 30 Jahren ist er Priester, er hat Tausende von Beichten gehört. Und er ist Psychotherapeut. Schon während des Kommunismus hat er in Prag im Untergrund als Geistlicher gearbeitet, seither erzählen ihm die Leute von ihrer Not, von ihrem Kummer, ihren Zweifeln. Nun hat Halik ein Buch darüber geschrieben, es heißt "Nachtgedanken eines Beichtvaters". Nein, Halik verrät nicht, mit welchen Bekenntnissen seine Beichtkinder zu ihm gekommen sind. Aber er gesteht, dass ihn die Geschichten aus der Bedrängnis verändert haben. Auch seinen Blick auf die Kirche. Kann sie als Institution noch auf die Nöte ihrer Gläubigen antworten?
"Wenn die Kirche nur als Institution neben anderen Institutionen wirken wird, kann sie nicht helfen. Kirche muss sich nicht als Organisation, sondern als Organismus verstehen. Ich finde als ein inspirierendes Beispiel aus der Kirchengeschichte die mittelalterliche Universität. Die Universität war eine Gemeinschaft von gemeinsamem Erleben, Lernen und Beten. Und ich meine, wir brauchen so etwas Ähnliches. Gemeinsam die Wahrheit finden, durch die freie Diskussion."
Halik sieht diese "Universität des Mittelalters" nicht bloß als Lehr- und Lernanstalt, sondern als Chiffre für eine verloren gegangene christliche Tradition des angstfreien Gesprächs, der Kontemplation, des Gebets. Nein, Tomas Halik ist kein Mystizist. Er sucht keine Gewissheiten, sondern fragt nach den Bruchstellen des Glaubens.
"Glaube ist für mich keine Überzeugung, sondern eine gewisse Orientierung im Leben. Das ist ein Leben als Dialog. Und Unglaube, das ist für mich eine monologische Lebensführung, wenn man nur sich selbst hört, wenn man keine Rücksicht nimmt auf die anderen, wenn man nur sich selbst durchsetzt, das ist für mich Unglaube."
Nur wer den Zweifel zulässt und sich die Skepsis bewahrt, nur wer sich dem kritischen Impuls des Rationalen stellt, könne etwas verändern, könne auch das Charisma der Kirche wieder stärken, glaubt Halik. Und es gibt viel zu tun. Denn die Kirche ist alles andere als offen, ihr sind Macht und starre Strukturen schlicht zu wichtig. Das sagen viele, aber Tomas Halik sagt es auch. Halik lehrt als Professor für Theologie an der Karls-Universität in Prag, er zählt zu den wichtigen Vertretern seiner Disziplin in Europa. Halik schont Rom nicht.
"Ja, es gibt viele offene Fragen, und einige sind dringend. Dieses Beispiel mit den Wiederverheirateten und ihrer Situation in der Kirche, das ist wirklich ein Skandal. Die heutige Situation kann man mit dem Geist des Evangeliums und Barmherzigkeit Christi nicht begründen."
Die Kirche ist in Gefahr, den Kontakt zu den Menschen zu verlieren. Haliks Urteil über den Zustand der katholischen Kirche fällt nüchtern aus. In den "Nachtgedanken" schreibt er, der fortschreitende Rückgang an Priestern führe zu einem Kollaps der gesamten traditionellen Struktur der Pfarrverwaltung. Halik glaubt, dass es vielen von denen, die in der Kirche konkrete Verantwortung auf sich nehmen, an Mut und Kreativität mangelt. Was muss anders werden? Der Prager Theologe plädiert für eine neue Spiritualität, für einen "kleinen Glauben" ohne Pomp und feste Gewissheiten. Die Kirche müsse sich Zeit nehmen für die Gläubigen - genauso wie für die Zweifelnden und Suchenden. Vor allem aber müsse sie ihre eigene Trägheit überwinden.
"Ich bin der Meinung, wir erleben eine Mittagspause, wir erleben eine Müdigkeit, die im Mittag. Die Alten nennen das Acedia, das ist nicht Faulheit, das ist ein bisschen Depression, ein bisschen Geist der Schwere, das ist ein bisschen ein Burn-out-Syndrom, aber dieses Burn-out-Syndrom, diese Müdigkeit muss man heilen."
Tomas Halik:
Nachtgedanken eines Beichtvaters, Glaube in Zeiten der Ungewissheit, Freiburg 2012, 319 Seiten, 16,99 Euro