Donnerstag, 28. März 2024

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Kirche und Flüchtlingspolitik
"Der Kurs der Kanzlerin ist vernünftig"

Sven Petry ist evangelischer Pfarrer in Sachsen – und Ehemann der AfD-Vorsitzenden. Das Paar hat sich getrennt, privat wie politisch: Der promovierte Theologe gehört seit kurzem der CDU an. Im Interview erklärt Petry, was die Bibel zur Flüchtlingspolitik sagt, wie das Meinungsklima in Sachsen ist und warum die Kirchen den Angsterfüllten geschützte Räume bieten sollten.

Sven Petry im Gespräch mit Christiane Florin | 02.03.2016
    Männliche Flüchtlinge sitzen am 24.09.2015 während einer Unterrichtsstunde in einem Klassenraum der Berufsbildenden Schule (BBS) 6 der Region Hannover (Niedersachsen).
    In einen Integrationskurs sollten diejenigen gehen, die klatschen, wenn es brennt - empfiehlt Sven Petry (dpa / picture-alliance / Holger Hollemann)
    Christiane Florin: "Wer Beifall klatscht, wenn es brennt, braucht dringend einen Integrationskurs" – haben Sie getwittert, nachdem in Bautzen der Brand einer Flüchtlingsunterkunft beklatscht wurde. Was passiert, wenn Sie so etwas veröffentlichen?
    Sven Petry: Dann passiert das, was mit solchen Tweets passiert: Es gibt Menschen, die sie retweeten. Andere, die auf ein "Gefällt mir" drücken, neuerdings wird das ja mit Herzchen gemacht, nicht mehr mit Sternchen. Manchmal bekomme ich persönliche Nachrichten, in der Regel Zuspruch. Ein, zwei böse EMails habe ich auch bekommen.
    Florin: Frauke Petry, die AfD-Vorsitzende ist ihre Frau. Sie leben von ihr getrennt. Warum sind Sie vor einigen Monaten in die CDU eingetreten?
    Petry: Weil ich im Laufe des letzten Sommers zunehmend festgestellt habe, dass man mich als Ehemann der Vorsitzenden mit der AfD identifiziert hat. Wer mich nicht kannte, das konnte ich aus diversen – auch anonymen – Zuschriften herauslesen, ist ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass ich vermutlich auch noch alle politischen Ansichten meiner Frau oder auch der AfD teile. Das tue ich nicht, das habe ich damals nicht getan. Wenn man politisch verortet wird, kommt irgendwann der Punkt, wo man sich selbst verorten muss.
    Florin: Unterstützen Sie jetzt den Kurs der Kanzlerin?
    Petry: Ich halte den Kurs der Kanzlerin im Großen und Ganzen für vernünftig und richtig, ja.
    Florin: Wie muss ich mir Ihre praktische Arbeit als Pfarrer in Sachsen vorstellen? Welche Rolle spielt das Thema Flüchtlinge in ihrer alltäglichen Arbeit in der Gemeinde, in Ihren Predigten?
    Petry: Das Thema treibt die Menschen um, weil jeder etwas hört oder auch im Fernsehen sieht. Manchmal auch vor Ort. In einem der Orte, für die ich als Pfarrer zuständig bin, gibt es schon seit einigen Jahren eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge. Und im letzten Jahr wird natürlich auch in Sachsen auf den Dörfern darüber gesprochen, wie das werden soll. Herrscht da nun Chaos oder nicht? Kriegt man das wieder in den Griff oder nicht? Welche Folgen könnte das für uns haben? Aber auch – was kann man ganz konkret tun, um Flüchtlingen zu helfen? Auch diese Frage wird mir immer wieder gestellt.
    Florin: Wie viele in Ihrer Gemeinde helfen denn Flüchtlingen?
    Petry: Das kann ich Ihnen jetzt nicht in einer genauen Zahl sagen. Da führe ich keine Statistik.
    Florin: Wenn Sie das Meinungsklima beschreiben sollten in Ihrer Gemeinde: Ist das eher Hilfsbereitschaft oder Skepsis, Angst, Feindschaft?
    Petry: In der großen Mehrheit ist das auf keinen Fall Feindschaft. Viele machen sich Gedanken, wie es weitergehen kann und soll. Das verunsichert viele Menschen. Man hat den Eindruck, es gibt keinen Plan. Man will helfen, aber ist sich nicht sicher, wie das gehen kann.
    Florin: Bautzen, Clausnitz, Freital, Heidenau – das sind alles Orte in Sachsen. Die Frage wird oft gestellt, ich stelle Sie auch Ihnen als Pfarrer in Sachsen: Warum dort?
    Petry: Ich weiß es nicht. Auch hier, glaube ich, gibt es eine Vielzahl von Gründen, es ist eine komplexe Gemengelage von Gründen.
    Florin: Einen Integrationskurs haben Sie einigen Sachsen anempfohlen. Wenn Sie den zu leiten hätten als Pfarrer, was würden Sie denen denn sagen, die klatschen, wenn eine Unterkunft brennt oder die, wie in Clausnitz, einen Bus mit verschüchterten Flüchtlingen attackieren?
    Petry: Dass es sich aus meiner Sicht einfach nicht gehört, so etwas zu tun. Es gibt gewisse Dinge, die gehören sich nicht. Das muss man in einer Gesellschaft beachten. Dazu gehört etwa, dass man Menschen nicht angreift. Das tut man nicht, dass man Menschen verächtlich macht, dass man Menschen als Menschen zum Problem erklärt.
    Florin: Sie halten diesen Teil der Bevölkerung für integrierbar?
    Petry: Das weiß ich nicht. Aber es ist eine Frage des Klimas. Möglicherweise ist das etwas, was sich in Sachsen anders darstellt als in anderen Bundesländern. Da gibt es diejenigen, die so etwas organisieren, die so etwas anführen, und dann gibt es diejenigen, die da mitmachen. In einem gesellschaftlichen Klima, in dem sich alle einig sind "Da geht man nicht mit", da bleiben die zu Hause. Aber je öfter das passiert, je öfter der Eindruck entsteht "Da kannst du ruhig mal hingehen", desto mehr tun das. Ich denke, diejenigen sollte man schon nicht von vorneherein abschreiben, sondern in einen Dialog treten und fragen, ob sie denn tatsächlich wissen, was sie da tun.
    Florin: Werden Sie als Kirchenmann gehört, wenn Sie sagen: "Das gehört sich nicht"?
    Petry: Auf Äußerungen hin, die als ein Eintreten für Flüchtlinge interpretiert werden und auch so gemeint sind, kriege ich Rückmeldungen wie: Ich solle mich als Pfarrer da doch bitte raushalten, da solle die Kirche doch lieber zu schweigen.
    Florin: Das Thema polarisiert ja ganz offenkundig. Was können die Kirchen tun, um entgiftend zu wirken, um Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen, die aufgrund von politischen Differenzen schon gar nicht mehr miteinander reden?
    Petry: Zunächst einmal, indem die Kirchen ihrem Auftrag nachkommen. Das ist zunächst in erster Linie die Verkündigung des Evangeliums. Zu Weihnachten letztes Jahr war ein Predigttext aus dem Titusbrief. Da ist von der Menschenliebe Gottes die Rede, die in Jesus Christus erschienen ist und die allen Menschen gilt. Das haben wir hochzuhalten. Das haben wir aber natürlich auch ernst zu nehmen gegenüber denjenigen, die zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage nicht meine Meinung teilen. Das sind auch Menschen. Insofern: Wie kann man Dialog fördern? Es gab an diesem Wochenende einen offenen Brief sächsischer Theologieprofessoren an die evangelische und katholische Pfarrerschaft in Sachsen, in dem raten sie unter anderem an, jedenfalls lese ich das so, geschützte Räume zu bieten und klare Grenzen einerseits zu ziehen, was geht und was nicht mehr geht. Andererseits Dialog zu ermöglichen, indem man Räume dafür schafft. Das kann Kirche natürlich machen, denke ich, weil sie dann selbst im Osten Deutschlands, jedenfalls in Sachsen, noch relativ breit in der Fläche vertreten ist. Was nötig wäre, denn auch das ist dann eine Frage, inwiefern man an dieser Stelle die Menschenwürde oder der Menschenliebe Gotte ernst nimmt: Man sollte versuchen zu vermeiden, andere vorzuführen.
    Florin: Wer führt andere vor?
    Petry: Mancher fühlt sich vorgeführt.
    Florin: Wer?
    Petry: Auch in meinen Gemeinden begegnet mir die Meinung, dass, wenn man eine eher skeptische Meinung zur Flüchtlingsfrage vertritt, dann könne man das eigentlich gar nicht offen sagen, ohne sofort in die Anti-Flüchtlingsecke sortiert zu werden. Sie haben vorhin das Wort "Polarisierung" benutzt. Ich glaube schon, wir haben eine Polarisierung. Es ist im Moment relativ schwer, sich in dieser Frage differenziert zu positionieren. Man ist entweder pro Flüchtlinge oder man ist gegen Flüchtlinge.
    Florin: Was ist denn mit Ihnen? Was sagen Sie, wenn dieser Vorwurf kommt, man könne das, was man denkt, oder die Ängste, die man hat, nicht aussprechen?
    Petry: Natürlich kann man die aussprechen. Wenn ich im Gespräch bin, dann werden die Ängste ja auch ausgesprochen. Wenn der Eindruck entsteht, das ist eine geschlossene Veranstaltung, ein Gemeindekreis, dann wird sehr offen geredet. Dann kann man auch den Sorgen mit Argumenten begegnen. Wenn ich das im Rahmen einer Podiumsdiskussion machte, dann würden viele, die sich hinter verschlossenen Türen ehrlich äußern, wieder schweigen. Ehrliches Gespräch braucht geschützten Raum.
    Florin: Aber der, den Sie vorhin zitiert haben – Stichwort Evangelium, der ist an die Öffentlichkeit getreten. Zwingt nicht das Evangelium auch zu einer klaren öffentlichen Stellungnahme im Sinne von: Du sollst den Fremden bei dir aufnehmen, den Bedürftigen helfen? Geht das mit dieser Diskretion wirklich? Ist das christlich?
    Petry: Es ist ja nicht so, dass das nicht geschieht. Ich habe mich unter anderem auch öffentlich positioniert. Wenn ich ins Neue Testament schaue, wie da Ämter und Aufgaben beschrieben werden, dann müsste ich andererseits doch fragen: Ist jedem in gleicher Weise gegeben, das öffentlich zu vertreten. Die Kirchen äußern sich ja und ich tue es auch.
    Florin: Hat Ihre Frau Ihrer Weihnachtspredigt (über Gottesliebe und Menschenliebe) zugehört?
    Petry: Der Predigt über Titus? Nein.