"Sie werden sich vielleicht wundern, dass jetzt hier ein Kirchenmann im Talar steht. Um es vorwegzunehmen, ich bin nicht im Auftrag meiner Kirche hier."
Der Auftritt des ehemaligen sächsischen Pfarrers Thomas Wawerka auf einer sogenannten Mahnwache am Bundeskanzleramt kurz nach dem islamistisch motivierten Anschlag auf einem Berliner Weihnachtsmarkt sorgt innerhalb der evangelischen Kirche noch immer für Aufregung und Irritation. Organisiert wurde die Kundgebung von der AfD, der vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppe der Identitären Bewegung, mit dabei Ikonen der Neu-Rechten um Jürgen Elsässer und Götz Kubitschek.
Kirche spricht von Provokation
Es sei doch eine immense öffentliche Provokation, heißt es seitens der Kirche, wenn jemand ganz offiziös im Talar und mit Beffchen bei einer Veranstaltung der Neurechten auftrete und sagt: Ich bin evangelischer Pfarrer. Obwohl er nach einer dreijährigen Probezeit im Sommer 2016 nicht in den Dienst der sächsischen Landeskirche übernommen wurde und ihm damit das Tragen des Talars verboten ist.
"Das ist faktisch eine Amtsanmaßung. Ich kann mich ja auch nicht hinsetzen mit einer Richter-Robe und bin Richter", erklärt der Magdeburger Rechtsextremismus-Experte David Begrich.
"Ich muss an diesen Tagen oft an ein Wort von Dietrich Bonhoeffer denken. Mein großes theologisches Vorbild, der hat mal gesagt, man muss dem Rad auch in die Speichen fallen", sagte Ex-Pfarrer Wawerka bei der Veranstaltung der Neu-Rechten.
Bei Bonhoeffer heißt es wörtlich: "Wenn ein Wahnsinniger mit dem Auto durch die Straßen rast, kann ich als Pastor, der dabei ist, nicht nur die Überfahrenen trösten und beerdigen, sondern ich muss dazwischenspringen und ihn stoppen, ich muss dem Rad in die Speichen fallen." Damit rief er zum gewaltfreien Widerstand gegen die Nazis auf. Dass Wawerka nun Bonhoeffer ins Spiel bringt, bezeichnet David Begrich als unverschämt und dreist. Der Pfarrer, der 1945 kurz vor Kriegsende von den Nazis umgebracht wurde, werde damit von den Rechten vereinnahmt.
""Bunt" und "weltoffen" - immer dieselben bubble-words, überall, jederzeit. Was das mit dem Evangelium zu tun hat, das möchte ich gern mal wissen! Schmeißen wir doch die Bekenntnisse alle weg und machen eine "Bunte Kirche für alle" … Sentimentalität für schlichte Gemüter!"
So lautet einer der noch etwas milderen Kommentare des einstigen Pfarrers Wawerka. In seinem Facebook-Profil waren bis Sommer vergangenen Jahres härtere, manche sagen menschenverachtende Kommentare zur Zuwanderungspolitik zu lesen. Mittlerweile hat Wawerka alle umstrittenen Einträge gelöscht. Zu sehen ist er bis heute noch mit seinem Porträt vor einer Pegida-Fahne. Gerne hätten wir ihn selbst befragt, doch Thomas Wawerka reagiert auf Anfragen nicht.
Keine öffentliche Begründung
Bis Sommer letzten Jahres war er in Frohburg bei Leipzig Pfarrer im Probedienst. Nachdem er nicht in den Dienst übernommen wurde, muss er seine Ordinations-Urkunde zurückschicken. Eine öffentliche Begründung, warum man Wawerka nicht mehr haben will, blieb aus. Stattdessen gibt es schwammige Erklärungen, die nur in einem Hintergrundgespräch geäußert werden. Tenor: Nach einer Gesamtbetrachtung kam man zur Erkenntnis, dass seine Äußerungen nicht zur Rolle eines Pfarrers passen.
Gottfried Backhaus aus Merseburg kann das nicht verstehen. Er ist der kirchenpolitische Sprecher der AfD im Landtag Sachsen-Anhalts.
"Er ist ein Pfarrer mit politischem Standpunkt. Er bringt die christliche Botschaft ganz normal rüber."
Der AfD Landtagsabgeordnete Backhaus nennt sich einen Freund von Wawerka. Er kenne von ihm keine menschenfeindlichen, rassistischen oder völkischen Aussagen. Und: Es sei auch nicht verwerflich zusammen mit dem umstrittenen Chef-Ideologen der Neu-Rechten Götz Kubitschek aufzutreten.
"Die Kirche spaltet", so Backhaus. "Indem ich Menschen ausschließe. Und das wird ja gemacht, dann ist das für mich eine klare Spaltung."
Ilse Junkermann, Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland – kurz EKM – kann das Vorgehen der Kollegen in der sächsischen Landeskirche nachvollziehen.
"Die Grenze ist dort, wo ganz eindeutige menschenverachtende Äußerungen gemacht werden, die Grenze ist dort, wo Gruppen von Menschen pauschal verunglimpft werden, die Grenze ist da, wo zu Hass und Aggression aufgerufen wird. Es gibt ganz eindeutige Grenzen, das ist gar keine Frage."
Abgrenzung in konkreten Fällen schwierig
Erst kürzlich hat der Berliner Bischof Markus Dröge geäußert, wer zu AfD gehe, solle wissen, dass die Partei kein christliches Menschenbild im Programm habe. Der Präses der rheinischen Landeskirche Manfred Rekowski forderte Christen auf, sich gegen die von Rechtspopulisten propagierte deutsche Leitkultur, in der Andersdenkende, Juden und Muslime keinen Platz hätten, deutlich zu positionieren. Damit stellen hochrangige Kirchenvertreter der EKD ihre Haltungen unmissverständlich klar. Nur: Das sind allgemeingültige Aussagen. Wenn es um konkrete Fälle geht, wird offensichtlich, dass die Abgrenzung zwischen unerwünscht und unerlaubt schwierig ist.
Das macht der Fall Wawerka deutlich. Rechtsextremismus-Experte David Begrich kritisiert, die sächsischen Landeskirche habe im Fall Wawerka zu lange geschwiegen. Von rechtslastigen Tendenzen wolle er nicht sprechen, man bekäme aber schon den Eindruck, dass im Landeskirchenamt so manche nicht richtig hinschauen wollen. Denn erst auf Druck der EKD sei es zur Kündigung von Thomas Wawerka durch das sächsische Landeskirchenamt gekommen, so Begrich weiter. Er spricht von Korrekturbedarf und fordert:
"Dass sie zwei Dinge ganz klar macht. Nämlich, dass sie einerseits deutlich macht, welche politischen Positionen mit Bibel und Bekenntnis nicht vereinbar sind. Und das sind menschenfeindliche und rassistische Positionen. Aber andererseits muss sie auch klar machen, dass sie Menschen, die rechtspopulistischen Positionen folgen oder sie argumentieren, die Auseinandersetzung zu suchen. Um mit ihnen auf Augenhöhe im Gespräch zu bleiben. Beides ist für die Kirche unablässig."
Verhaltens-Kodex für Pfarrer und Hauptamtliche könnte kommen
Der Ex-Pfarrer Thomas Wawerka ist kein Einzelfall. Für Schlagzeilen sorgte 2015 der Bremer Pfarrer Olaf Latzel. Ein scharfer Kritiker der EKD. Er sagte bei einer Evangelisationsveranstaltung in Holzminden: "Humanistische Gutmenschen-Lehren lösen das Wort Gottes in der Kirche ab". Und: In der Bibel stehe schon, dass Gott kein Miteinander der Religionen wolle, das muslimische Zuckerfest bezeichnete er in einer Predigt als Blödsinn. Daraufhin schrieb die "taz" vom "Pegida-Prediger", die "Frankfurter Rundschau" nannte ihn einen "Hass-Prediger". Die Staatsanwaltschaft sah den Anfangsverdacht der Volksverhetzung nicht bestätigt. Und: Die Bremische Landeskirche konnte auch keine dienstrechtlichen Bedenken geltend machen, da es in Bremen kein Bischofsamt gibt, die Gemeinden also alleine entscheiden. Und die St. Martini-Gemeinde stellte sich ihren Pfarrer Olaf Latzel.
Diskutiert wird nun über einen Verhaltens-Kodex für Pfarrer und Hauptamtliche. Die Personalien Wawerka und Latzel zeigen die Grenzen des Dienstrechts. Und die Grenzen der öffentlichen Mahnung.