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Kirche und Staat

Bisher reagierte die katholische Kirche auf Missbrauchsfälle häufig mit Vertuschung. Die Fälle wurden innerhalb der Religionsgemeinschaft entschieden. Auch generell, beispielsweise beim Arbeitsrecht, beruft sich die Kirche gerne auf die Trennung von Kirche und Staat, auf das Recht, ihre Angelegenheiten eigenständig zu regeln.

Von Hajo Goertz | 18.03.2010
    Ganz entschieden vertritt Kardinal Walter Kasper, im Vatikan zuständig für die Ökumene, einen neuen Kurs der Kirche im Umgang mit sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Priester und kirchliche Mitarbeiter. Die Praxis des Vertuschens müsse endgültig der Vergangenheit angehören. Jeder Fall solle ohne Schonung des Täters aufgeklärt werden.

    "Wenn also der Verdacht begründet ist - es gibt natürlich auch falsche Anzeigen, das ist klar - muss er aus dem Dienst entfernt werden, er kann dann nicht mehr tätig sein, wo er mit Kindern zusammenkommt, oder ganz entlassen werden in schweren Fällen aus dem kirchlichen Dienst. Also das sind sehr rigorose Maßnahmen, die heute ergriffen werden."

    Sie entsprechen dem Kirchenrecht. Das wurde in der Vergangenheit allerdings nicht immer eingehalten. Auch in schwerwiegenden Fällen sind Täter nicht aus sensiblen Bereichen entfernt, sondern nur an einen anderen Ort versetzt worden.

    Die Gefahr, dass der Täter rückfällig werden könnte, wurde dabei in Kauf genommen. Es soll, wie vertraulich zu erfahren ist, hier und da auch Schweigegeldangebote an Opfer gegeben haben. Das wird es, den aktuellen kirchlichen Beteuerungen zufolge, künftig nicht mehr geben. Gleichwohl wollen die Kirchenleitungen, wenn ihnen ein Verdacht bekannt wird, zunächst intern den Sachverhalt klären, auch um falsche Anschuldigungen zu vermeiden. Eine staatliche Strafverfolgung solle dadurch aber nicht verhindert werden, sagt der deutsche Kurienkardinal.

    "Es gibt ein Zivilrecht, und es gibt ein kanonisches Recht. Die sind beide unabhängig. Das ist die Grundstruktur unserer deutschen Verfassung, und da kann nicht die eine in das andere sich einmischen. Aber es ist klar: Wenn ein Anfangsverdacht, ein begründeter Verdacht da ist, dann muss das auch vor das Zivilgericht gehen."

    Eine generelle Pflicht zur Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gibt es im Fall sexuellen Missbrauchs nicht. Bei den eigenen Untersuchungen sollen, so versichert auch der Kardinal, vorab die Opfer zur Strafanzeige motiviert werden, auch Tätern will man zur Selbstanzeige raten. Dann werde die Kirche den Strafverfolgungsbehörden auch eigene Erkenntnisse zum Sachverhalt zur Verfügung stellen. Kasper, früher Bischof von Rottenburg-Stuttgart, weist dabei auf die spezifisch deutsche Trennung zwischen Kirche und Staat hin, die eine enge Zusammenarbeit vorsieht, den Religionsgemeinschaften aber weitgehende Autonomie zugesteht.

    "Die römisch-katholische Kirche ist schon eine besondere Religionsgemeinschaft, die ist hochgradig organisiert und versteht sich - und das ist originell - als Glaubensgemeinschaft zugleich als Rechtsgemeinschaft. Das schließt den Anspruch auf eine eigene Strafgewalt und auf eine eigene Gerichtshoheit in kirchlichen Straf- und Streitsachen ein."

    … erläutert Norbert Lüdecke, katholischer Kirchenrechtler an der Universität Bonn.

    "Nun könnte man denken, dieser kirchliche Anspruch ist ja mit dem Selbstbestimmungsrecht einfach in das Grundgesetz übernommen worden. Die Kirche ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig. Dann kommt aber das Aber: Nach den für alle geltenden Gesetzen, also innerhalb dieser Schranken."

    Die Autonomie der Religionsgemeinschaften gilt also nicht absolut, wie Pater Hans Langendörfer, Sekretär der katholischen Bischofskonferenz, feststellt.

    "Aus der Religionsfreiheit folgern gewisse Freiheitsräume für die Kirche, aber die Kirche ist nicht ein Staat im Staat, eine Zone verminderter Rechtsstaatlichkeit."

    Auf die aktuellen Enthüllungen bezogen, heißt das:

    "Die Deutsche Bischofskonferenz hat ganz klar erklärt, dass sie an einer Strafverfolgung, an der Aufdeckung durch die Strafverfolgungsbehörden sehr interessiert ist, dass sie selbstverständlich den öffentlichen Rechtsbereich und das staatliche Recht und die entsprechenden Ermittlungen unterstützen wird, dass sie da kooperativ ist. Das kann auch gar nicht anders sein."

    Diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit verbindet sich zugleich mit der Betonung des grundgesetzlichen Rechts, die eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln, und dabei vor staatlichen Übergriffen geschützt zu sein. Der amtierende Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, erinnert dazu an historische Erfahrung.

    "Das ist auch für uns ein hohes Gut. Das hat ja zu tun mit den Erfahrungen der Nazizeit, wo ein totalitärer Staat auch die Kirchen sozusagen sich dienstbar machen wollte, indem er auch wirklich den Kirchen vorschrieb in ihren innersten Angelegenheiten, wie kirchliches Leben zu gestalten sei. Dagegen sagt das Grundgesetz, sie haben das Recht, ihre Angelegenheiten selbstständig zu regeln, eben in diesem Rahmen, was für alle gilt."

    Dabei kommt es durchaus zu Reibungen zwischen staatlicher und kirchlicher Rechtsordnung. Erklärt der Kirchenrechtler Lüdecke.

    "Das gilt insbesondere dort, wo die Kirche als eine der größten Arbeitgeberinnen in Deutschland auftritt. Hier gilt für alle, und auch für die Kirchen, staatliches Recht zum Arbeitsschutz, zum Urlaub, zur Arbeitszeit, zur Schwerbehinderung, unter anderem grundsätzlich auch zum Kündigungsschutz und zur Gleichbehandlung."

    Gleichwohl gibt es ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht, das vom Staat - zum Leidwesen der Gewerkschaften - anerkannt wird. Nicht nur das Streitrecht ist kirchlichen Mitarbeitern verwehrt. Immer wieder kommt es zu Klagen vor staatlichen Arbeitsgerichten, wenn kirchliche Mitarbeiter wegen privater Angelegenheiten, da sie der Auffassung der Kirche nicht entsprächen, gekündigt werden, ein Katholik etwa, der nach einer Scheidung wieder heiratet. Andere Arbeitgeber geht so etwas nichts an. Weil aber kirchliche Mitarbeiter am religiösen Auftrag der Kirche mitwirkten, hätten sie besondere Loyalitätspflichten, erläutert Professor Lüdecke:

    "Die nämlich über die Leistungserbringung als solche hinausgehen und in die persönliche Lebensführung hineinreichen. Das Kirchenrecht gilt hier auch privat. Also dieses 'Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps' gilt in der Kirche nicht."

    Aufgrund der Besonderheiten kirchlichen Dienstes werden vom Staat auch Ausnahmen in den Antidiskriminierungsgesetzen zugestanden. Der Träger eines evangelischen Kindergartens etwa soll nicht verpflichtet sein, eine katholische Erzieherin einzustellen. Der Sekretär der Bischofskonferenz Hans Langendörfer:

    "Dass einer, der für die Kirche arbeitet, nicht in krassem Widerspruch, gar in Gegnerschaft zur Kirche stehen kann, erschließt sich, glaube ich, jedem, der ein bisschen darüber nachdenkt. Dass im katholischen Raum nicht durch staatliches Recht vorgeschrieben werden darf, dass Frauen in gleicher Weise Zutritt zum Priestertum haben wie Männer, versteht sich eigentlich auch für jeden, der ein bisschen darüber nachdenkt."

    Wegen der Ausnahmen behaupten allerdings manche kirchlichen Dienstgeber, Gleichbehandlungsgesetze gälten für die Kirche überhaupt nicht, und benachteiligen Frauen, etwa bei Beförderungen auch in Arbeitsbereichen, die der Gesetzgeber gar nicht gemeint hat. Damit sei das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen jedoch überzogen, meinen Staatskirchenrechtler. Das wäre auch der Fall, würden die Fälle sexuellen Missbrauchs durch Geistliche weiterhin als eigene Angelegenheit der Kirche betrachtet und nur intern geregelt.