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Kirchen im Netz
"Herzhafteres Umarmen der digitalen Möglichkeiten"

Der Journalist Jonas Bedford-Strohm passt in keine Schublade. Er ist Sohn eines prominenten Protestanten, engagiert sich in einer Freikirche und forscht an der Münchner Hochschule für Philosophie der Jesuiten. Sein Thema: die digitale Revolution in Institutionen wie den Kirchen.

Jonas Bedford-Strohm im Gespräch mit Monika Dittrich | 05.10.2017
    Jonas Bedford-Strohm in der Aula der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München
    Jonas Bedford-Strohm nennt sich selbst "ein wandelndes ökumenisches Projekt". (Gerd Henghuber)
    Monika Dittrich: Papst Franziskus twittert, und Millionen Menschen folgen ihm. Die Luther-Bibel gibt es als App fürs Smartphone. Und eigentlich jede kleine Kirchengemeinde in Deutschland präsentiert sich heutzutage mit einer eigenen Seite im Netz. Das reicht aber alles nicht - sagt Jonas Bedford-Strohm. Der älteste Sohn des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland ist Journalist; und er forscht derzeit an der Hochschule der Jesuiten in München. Sein Thema: die Kirchen und die digitale Revolution. Sein Appell: Die Kirchen müssen im Internet aktiver werden. Ich habe Jonas Bedford-Strohm gefragt, ob die Kirchen den Mitgliederschwund, den sie in Deutschland seit Jahren erleben, ausgerechnet im Netz aufhalten werden.
    Jonas Bedford-Strohm: Ich denke nicht, dass man alleine durch die Digitalstrategie alle Probleme der Kirche lösen kann. Ich glaube aber schon, dass es ein entscheidender Baustein ist, weil es natürlich, wenn wir mehrere Stunden am Tag im Netz verbringen und am Bildschirm, dann wäre es unverantwortlich für die Kirchen, dort nicht auch präsent zu sein.
    Also, wenn die Kirchen ihren Auftrag ernstnehmen wollen, dann können sie dort nicht nicht präsent sein. Das heißt, Kirchen können auch nicht einfach sagen: "Ach ja, die Arbeitswelt interessiert mich nicht", sondern digitale Arbeit gehört zum absoluten Kerngeschäft allen kirchlichen Arbeitens auf allen Ebenen.
    Dittrich: Ihr Forschungsthema ist die digitale Revolution und die Kirchen, Sie haben das gerade angesprochen. Sie halten mit Kritik nicht hinterm Berg. Was machen die Kirchen denn falsch, die katholische und auch die evangelische?
    Bedford-Strohm: Eine der entscheidenden Komponenten ist, denke ich, die Art und Weise, wie man Kommunikation interpretiert. Ich denke, dass man gerade auch das Netz nicht einfach als öffentlichen Senderkanal, also als Distributionskanal quasi für die eigenen Inhalte verstehen kann, in dem alten Sendermodell, sondern dass natürlich auch eine der Kernkompetenzen prinzipiell von Kirche die Kommunikation ist, die Interaktion ist. Und ich denke, das müsste sich noch deutlich stärker auch in den Projekten, den Produkten und der Digital-Strategie wiederfinden.
    "Mit sehr anonymer Kritik im Internet umgehen lernen"
    Dittrich: Haben die Kirchen vielleicht Angst vor dem Dialog, auch vielleicht vor dem Gegenwind, der sich in den sozialen Medien ja automatisch ergibt?
    Bedford-Strohm: Ja, ich denke schon, dass man wahrscheinlich einfach ein bisschen mutiger sein muss, wenn man sich ins Netz begibt. Aber natürlich haben auch alle Pfarrer Erfahrung mit Öffentlichkeit und auch mit Kritik. Das heißt, ich glaube nicht prinzipiell, dass das ein Problem sein muss, aber natürlich muss man lernen, mit einer sehr anonymen Kritik im Internet umgehen zu können. Aber nicht alles an der Digitalfrage ist ja auch mit Öffentlichkeit gleich bedacht, sondern wenn man WhatsApp oder Snapchat oder sowas, Peer-to-Peer-Kommunikation mit einzelnen Menschen macht, dann ist das eine Seelsorgesituation, die gar nicht öffentlich ist, wo nicht gleich die Shitstorm-Thematik im Vordergrund steht.
    Dittrich: Und was denken Sie? Warum machen die Kirchen das bislang nicht so, zumindest nicht so ausreichend, wie Sie es beschreiben?
    Bedford-Strohm: Ich denke, ein Teil davon ist einfach eine prinzipielle Generationenfrage, dass natürlich diese Sachen erst nach und nach in die großen, etablierten Institutionen der liberalen Demokratie reinkommen. Das heißt, Ministerien oder der öffentlich-rechtliche Rundfunk, alle großen Anstalten öffentlichen Rechts und Institutionen, die das öffentliche Leben prägen, haben Schwierigkeiten damit. Das ist eine völlig neue Art …
    Dittrich: …Das heißt, das ist nicht nur ein Fehler der Kirchen?
    Bedford-Strohm: Ich glaube definitiv, dass das nicht nur ein Fehler der Kirchen, sondern dass das eine ganze, eine gesellschaftliche Lernaufgabe ist, an der natürlich auch die Kirchen teilnehmen müssen. Und deswegen glaube ich, dass das auch wichtig ist, das die Kirchen ethische Orientierung geben dann, wenn sie Erfahrung mit der Technologie machen. Aber dazu müssen sie eben auch diese Erfahrung machen. Denn sonst ist es ein abstraktes, dogmatisches Reden, was an der Praxis vorbeigeht. Das heißt: Authentisch ist die Orientierung dann, wenn sie weiß, wovon sie spricht. Und deswegen würde ich mir auch wünschen, dass noch ein herzhafteres Umarmen der digitalen Möglichkeiten auch in den Kirchen sich einfinden würde.
    Dittrich: Ein herzhaftes digitales Umarmen - jetzt müssen Sie uns mal erklären, wie, konkret, soll das denn aussehen? Was raten Sie den Kirchen konkret?
    Bedford-Strohm: Also ganz entscheidend ist natürlich, dass die sozialen Medien bespielt werden.
    Dittrich: Also Twitter, Facebook und so weiter.
    Bedford-Strohm: Twitter, Facebook - aber eben auch nicht nur die öffentlichen sozialen Medien, also Facebook ist ja vielleicht so halb-öffentlich, kann man sagen, Twitter ist eher auf politische Multiplikatoren gemünzt. Aber jede einzelne Plattform hat so seine eigenen Vor- und Nachteile und man muss eben schauen, was genau das richtige ist für die Gemeindesituation, für die Öffentlichkeitsarbeit. Aber es ist natürlich eben nicht nur Öffentlichkeitsarbeit.
    Das heißt, man muss auch solche Sachen wie geschlossene Messenger, die einfach von einzelnen Menschen, mit vielleicht kleinen Gruppen, einer Konfirmandengruppe, die werden oft schon per Whatsapp koordiniert. Und ich denke, das müsste vielleicht noch mehr Sichtbarkeit bekommen. Und dann könnte man auch untereinander "best practices" teilen, man könnte voneinander berichten, welche Projekte man gemacht hat, was gut funktioniert, was wirklich funktioniert und was nur gut klingt. Und ich glaube, in diesem Lernprozess müsste man auch noch vielleicht einfach viel, viel offener und ehrlicher – und auch kritischer – gemeinsam nach den richtigen Lösungen suchen.
    "Der Papst ist ein interessantes Phänomen, weil er 30 Millionen Follower hat"
    Dittrich: Dann sagen Sie doch mal ein Beispiel. Was finden Sie richtig vorbildlich? Wer macht es richtig gut?
    Bedford-Strohm: Also im katholischen Bereich ist der Papst ein interessantes Phänomen, weil er 30 Millionen Follower hat. Natürlich hat er so eine Art Marken-Awareness, also Markenbewusstsein in der Öffentlichkeit sowieso schon. Und darauf beruht es vor allen Dingen auch. Er hat eher so eine Art Senderstrategie, eher so nach dem alten Modell, dass er also jeden Tag einen Gedanken teilt, der vielleicht aus der Bibel inspiriert ist oder ein theologischer Satz oder vielleicht auch eine humanistische Note manchmal hat. Und das findet Anklang, weil es eben so ein tägliches Begleiter-Phänomen ist. Und ich denke, dass da eine Riesenchance ist, wenn man einfach diese Täglicher-Begleiter-Möglichkeit, die es früher dadurch gab, dass einfach die Losungen oder die Bibel auf dem Nachttisch saß, dass man die jetzt auch digital nutzt.
    Ein Denkmal des heiligen Franz von Assisi mit einem Vogel in der Hand im niederösterreichischen Mostviertel
    Vom Sprechen zu den Vögeln hin zu Twitter: Die Kernkompetenz der Kirchen ist Kommunikation (imago stock&people)
    Dittrich: Das ist das Beispiel aus der Katholischen Kirche. Haben Sie auch eines aus der Evangelischen Kirche?
    Bedford-Strohm: In der Evangelischen Kirche gibt es eine ganze Vielzahl von verschiedenen Projekten. Natürlich ist es in der Evangelischen Kirche so, dass es noch mal viel komplizierter ist, zu koordinieren, gemeinsam zusammenzuarbeiten, vielleicht im Rahmen der EKD oder auch zwischen einzelnen Landeskirchen. Da sind also sehr komplexe Institutionenprozesse im Hintergrund. Das heißt, man muss das alles mitdenken, wenn man Projekte macht.
    Aber es gibt viele Möglichkeiten: Die neue EKD-Webseite ist gut gelungen, es gibt immer mehr Aktivitäten auch auf den sozialen Medien, da könnte man jetzt viele verschiedene Beispiele nennen, wo verschiedene Landeskirchen Programme aufsetzen. Auch in der bayerischen Landeskirche gibt es einen neuen Reformprozess, wo man sich Gedanken macht, wie man auch im digitalen Raum neu arbeiten kann.
    Und wenn dafür auch ein bisschen Geld in die Hand genommen wird, aber auch die Stimmung einfach prinzipiell, die Mentalität sich öffnet dafür, dass das ein integrierter Raum ist, wo nicht nur digitale Komponenten sind, sondern immer auch analoge Komponenten. Es sind ja immer Menschen, die sich im Netz auch treffen.
    Ich glaube, das ist entscheidend, dass man einfach dort eine integrierte Ethik der Kommunikation findet, die alle digitalen und auch alle analogen Komponenten so vereint, dass sie stimmig sind. Wenn man da gut zusammenarbeitet, ist man auch auf einem guten Weg.
    Dittrich: Und wie passt das zusammen, die frohe Botschaft und das Netz?
    Bedford-Strohm: Ich denke, es passt sehr gut zusammen. Das Kerngeschäft der Kirche ist Kommunikation. Und das ist bei den verschiedenen Kirchen vielleicht mit unterschiedlichem Profil, aber natürlich haben alle den Auftrag, zu erzählen von ihrer Botschaft. Und da sind natürlich alle Kanäle für prinzipiell interessant. Das Spannende an den sozialen Medien ist jetzt, dass eben auch eine … dass es mehr zum Gespräch werden kann. Das heißt, dass es auch einen Rückkanal gibt. Insofern passt es meiner Meinung nach sehr, sehr gut zusammen.
    "Ich bin zu einem wandelnden ökumenischen Projekt geworden"
    Dittrich: Herr Bedford-Strohm, wir müssen auch noch eine persönliche Frage klären: Sie sind evangelisch, Ihr Vater, Heinrich Bedford-Strohm, ist der Ratsvorsitzende der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie selbst besuchen eine Freikirche in München und studieren an einer Hochschule der Jesuiten. Wie passt das alles zusammen?
    Bedford-Strohm: Alle haben irgendwas mit dem Christentum zu tun, ich glaube, da ist eine ziemlich deutliche Nähe. Und ich bin auch sehr froh, dass sich diese alten Spaltungen, die mitunter auch aus sehr gutem Grund entstanden sind, aber dass sie nicht mehr in der Art und Weise im Vordergrund stehen, wie es noch vor vielleicht 50 Jahren - oder vielleicht sogar noch weniger - noch war. Und ich bin insofern sehr froh, dass ich quasi zu einem wandelnden ökumenischen Projekt geworden bin, indem ich alle verschiedenen kulturellen Seiten des Christentums in Deutschland jetzt wahrnehmen darf.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.