Freitag, 29. März 2024

Archiv

Kirchenmalereien in Lieberhausen
Der Teufel trägt Brüste

Hörner, Harke, Höllenfeuer: Der Teufel gehört zum Stammpersonal sakraler Kunst, in vielen Kirchen ist er zu sehen. Oder ist es eine Sie? Wer genau hinschaut kann erkennen, dass bei der Darstellung des Bösen die Geschlechtergrenzen verwischen. Ein Besuch in Lieberhausen im Oberbergischen Land.

Von Ana Suhr | 20.11.2018
    Ein roter Teufel mit Vollbart, Brüsten und Drachenflügeln beugt sich über einen Gekreuzigten.
    Dieser Teufel trägt Vollbart und Brüste (Deutschlandradio / Ana Suhr)
    "Das soll der Teufel sein, aber ich sage, der ist dargestellt wie ein weiblicher Drache."
    "Für mich ist das eine Darstellung eines Teufels."
    "Ja, das weiß ich jetzt nicht, ob das weibliche Brüste sein sollen? Oder ob der, der es gemalt hat, sich das einfach so vorgestellt hat. Nein, das muss ich sagen: Wenn das weibliche Brüste sein sollen, habe ich da ein Problem mit."
    Die Besucher der evangelischen Kirche in Lieberhausen tun sich etwas schwer damit, zu bestimmen, was genau das für ein seltsames Wesen ist, das sie verschmitzt anzugrinsen scheint. Ein männlicher Teufel? Ein weiblicher Drache? Oder vielleicht sogar ein Monster? Selbst die einschlägige Fachliteratur weiß nicht genau zu sagen, was überhaupt ein Monster ist.
    In unserer Zeit ist ebenso wie im Mittelalter die Verwendung der Begriffe »Monster« und »monströs« durchaus geläufig, aber eine genaue Definition dessen, was auf diese Weise zu bezeichnen wäre, ist damals wie heute keineswegs einfach. […] Mittelalterliche Monster im engeren Sinn waren zwar wunderlich, fremd, ja schaurig und mitunter auch äußerlich abstoßend, aber fast niemals wurden sie dem Menschen gefährlich.
    Aus: Simek, Rudolf: Monster im Mittelalter. Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen. Böhlau Verlag Wien Köln Weimar (Vorabdruck), zweite, verbesserte Auflage 2019, S. 17.
    Dieses Wesen sieht auf den ersten Blick zwar harmlos aus, wirkt aber trotzdem so, als könnte es dem Menschen, über dem es schwebt, durchaus gefährlich werden. Es ist also wohl kein Monster. Rudolf Simek ist auch erstaunt darüber, wer ihn von einer der vielen buntbemalten Kirchensäulen herab anguckt, aber er weiß sofort, wer oder was das ist:
    "Also, es ist eindeutig ein Dämon. Was aber an dem Dämon interessant ist: Er hat einen Vollbart, und er hat weibliche Brüste – und das ist ziemlich ausgefallen. Also ich hab das in mittelalterlichen Darstellungen bis jetzt noch nirgends gesehen."
    Frauen mit Bärten
    Der Österreicher ist Professor für Mediävistik an der Universität Bonn und kennt sich gut mit wundersamen Wesen aus, denn er hat das Buch über sie geschrieben. "Monster im Mittelalter. Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen" heißt es. Darin lässt sich allerlei Wundersames finden, so durchaus auch Frauen mit Bärten, aber ein teuflisches Zwitterwesen ist nicht dabei.
    Rudolf Simek in der Kirche von Lieberhausen
    Rudolf Simek in der Kirche von Lieberhausen (Deutschlandradio / Ana Suhr)
    "Die Dämonen haben ja in mittelalterlichen Darstellungen oft ein zweites Gesicht in der Schamgegend, so dass man nie sagen kann, was die eigentlich sind vom Geschlecht her, ob sie männlich oder weiblich sind. Vielleicht ist das direkt angelegt, dass sie eben beides sein sollen. Sie können ja die Gestalt wechseln, sie können sich in jeder Gestalt zeigen – das macht sie ja so gefährlich, die Dämonen –, aber dass er gleichzeitig männlich und weiblich ist, das sehe ich hier zum ersten Mal", wundert sich Simek.
    Der seltsame Dämon ist Teil einer Darstellung der Kreuzigung von Jesus von Nazareth. Simek beschreibt die gesamte Szene: Jesus hängt in der Mitte am Kreuz, rechts und links von ihm sind zwei weitere Gekreuzigte zu sehen, über dem linken von ihnen schwebt der rote Dämon mit den Brüsten.
    Die Kreuzigungsszene zeigt Jesus von Nazaret und die beiden Schächer am Kreuz, darüber ein Engel und ein Teufel
    Die Kreuzigungsszene in der Kirche von Lieberhausen (Deutschlandradio / Ana Suhr)
    "Es ist der linke Schächer, der böse von den beiden Kriminellen, die mit Jesus gekreuzigt wurden. Der rechte Schächer, der auch freundlicher dargestellt wird, wird von einem Engel in den Himmel geführt, und der rechte wird hier abgeschnitten vom Kreuz und wird offensichtlich von diesem sehr interessant dargestellten Dämon in die Hölle geführt."
    Interessant sind an diesem roten Dämon nicht nur die beiden Geschlechtermerkmale Vollbart und Brüste. Er – oder sie? – hat auch spitze Ohren, Drachen- oder vielleicht auch Fledermausflügel sowie Krallen an Händen und Füßen.
    "Wenn man die Füße anschaut, der hat ja eindeutig tierische Krallen. Er ist ein Zweizeher mit Krallen dran. Also er hat immer auch tierische Züge dabei. Das ist ja auch bei den anderen Dämonen hier in Lieberhausen, die haben oft so Fuchsgesichter oder Wolfsgesichter und dabei aber sonst menschliche Körper. Also etwas Tierisches ist bei Dämonen immer dabei", so Rudolf Simek.
    Dämon oder Teufel – den Unterschied erklärt der Mediävist anhand einer weiteren imposanten Darstellung an der Kirchendecke gegenüber:
    "Das ist ja nicht der Teufel, sondern das sind die Dämonen, seine Helfershelfer, die wir so salopp als Teufel bezeichnen. Aber es ist nicht der Teufel. Bei dieser Weltgerichtsdarstellung, wo also auf der rechten Seite die Verdammten in diesen Höllenschlund hineingezogen werden, ist auffällig: Hier sind Männer und Frauen zu sehen, übrigens aus allen sozialen Schichten. Die Frau hinten ist gut gekleidet, ist vornehm, die hat rote lange Haare. Aber vorne sind Mönche zu sehen, Könige, Priester, sogar ein Bischof ist dabei. Alle die werden hineingeführt. Aber aus den Gräbern hier steigen ... wir haben zwei Männliche und zwei Weibliche, aber die Dämonen sind hinter den zwei Blondinen her. Die eine versucht sogar zu flüchten, die steigt erst aus dem Grab und versucht davonzulaufen, und dieser fuchs- oder wolfsköpfige Dämon ist hinter ihr her und reißt sie sogar an den Haaren. Dadurch, dass man ja angenommen hat, dass die Frauen der Grund meistens für die Sünde sind, sind die Dämonen besonders natürlich hinter den Frauen her, das ist klar. Außerdem sind das zwei ziemlich attraktive Blondinen, auf die sich diese drei Dämonen stürzen. Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun."
    Drei Dämonen jagen zwei Frauen, die aus ihren Gräber aufsteigen.
    Die Dämonen sind hinter den zwei Blondinen her (Deutschlandradio / Ana Suhr)
    Die Kreuzigungsszene und das Weltgericht mit dem Höllenschlund sind nur zwei Motive unter unzähligen anderen. Die Kirche von Lieberhausen ist überall an Wänden, Säulen und Decken mit farbenprächtigen Fresken geschmückt. Ihre Bilderfülle und deren Erhaltungszustand macht sie zur spektakulärsten der insgesamt fünf sogenannten Bonten Kerken – also bunten Kirchen – im Bergischen Land. Die meisten ihrer Malereien stammen aus dem 15. Jahrhundert, so auch der "Teufel mit Brüsten". Die kleine Kirche selbst ist älter, sie wurde 1274 zum erstenmal schriftlich erwähnt. 1586 erreichte die Reformation das Bergische Land: Sowohl Lieberhausen als auch die anderen vier "bonten Kerken" in Marienberghausen, Marienhagen, Müllenbach und Wiedenest wurden evangelisch. Im Zuge der Reformation wurden in vielen Kirchen die vorhandenen Malereien weiß übertüncht, denn die neuen Kirchenoberen wünschten keine ablenkenden Bildnisse mehr. In Lieberhausen jedoch passierte das Gegenteil: 1589 wurden die vorhandenen Fresken sogar noch durch neue, postreformatorische Bilder und Bibelsprüche ergänzt. 1850 wurden allerdings auch hier alle Malereien überstrichen und erst gut 60 Jahre später wieder aufgedeckt und konserviert.
    Dämonen ziehen alle Blicke auf sich
    Und die Dämonen? Die treiben seitdem wieder für alle sichtbar ihre Spielchen und lenken mit ihren Drolerien die Gottesdienstbesucher ab. Genau das scheint jedenfalls ihre Aufgabe zu sein, wenn man sich die Malereien genauer anschaut. In der Fachliteratur heißt es dazu:
    Als Drolerien, vom franzosischen drole, ≫lustig≪, abgeleitet, bezeichnet man heute die meist humorvollen, immer aber phantastischen Szenen an den Rändern. [...] Die zum Teil humoristisch angelegten Darstellungen von menschlich-tierischen Mischwesen rücken teilweise [...] nahe an das mittelalterliche Narrentum heran, was aber in keinem Gegensatz zum religiösen Kontext steht, da im Mittelalter der Humor in der Kirche durchaus einen Platz hatte.
    Aus: Simek, Rudolf: Monster im Mittelalter. Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen. Böhlau Verlag Wien Köln Weimar (Vorabdruck), zweite, verbesserte Auflage 2019, S. 92 ff.)
    Heilige, Engel, Menschen, ja sogar die beiden Blondinen wirken dagegen überhaupt nicht humorvoll, sondern nahezu statisch und leblos. Die vielen kleinen – eigentlich ja gefährlichen – Dämonen ziehen deshalb alle Blicke auf sich. Sie sind äußert lebendig und verspielt dargestellt und wirken zumindest für uns heute überhaupt nicht mehr zum Fürchten. So frech und unterhaltsam sind sie übrigens nicht nur in Lieberhausen, sondern auch in der "bonten Kerke" von Wiedenest zu sehen. Auch dort gibt es eine Darstellung des Weltgerichts mit dem Höllenschlund, und am rechten Rand der Szene scheint ein kleiner Dämon regelrecht bösen Schabernack mit einem Engel zu treiben.
    Ein Deckengemälde in der Kirche von Lieberhausen zeigteinen Dämon, der Schabernack mit einem Engel treibt, der eine Trompete hält.
    Der kleine Dämon treibt Schabernack mit einem Engel (Deutschlandradio / Ana Suhr)
    Der "Teufel mit den Brüsten" aus Lieberhausen hingegen hat nichts Schalkhaftes an sich. Er guckt vermeintlich freundlich und ruhig auf die Besucher hinab, so dass sich viele von ihnen auch weiterhin fragen werden, wer oder was das ist. Und ob dieses rote Wesen in der Kirche von Lieberhausen nun männlich oder doch weiblich ist – oder vielleicht sogar beides. Professor Rudolf Simek hat die Antwort auf diese Fragen schon gefunden:
    "Der Teufel ist hier eindeutig hermaphroditisch, würde ich sagen."