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"Kirchenvater des 20. Jahrhunderts"

Der Theologe und Pfarrer Karl Barth wurde von seinen Schweizer Gemeindemitgliedern "Genosse Pfarrer" genannt, weil er sich für die Belange der Arbeiter und Gewerkschaften einsetzte.

Von Anna Gann | 10.05.2011
    Karl Barth war stets unbestechlich, geradlinig - und streitbar. Den Glauben hat er nie als Privatangelegenheit aufgefasst oder als bloße Gesinnungssache.

    Es gibt keine abstrakte Gesinnung, sondern die Gesinnung ist immer eine konkrete Sache. Eine bloße Gesinnung, da gebe ich keinen roten Heller dafür. Das ist nichts, gar nichts.

    Barth ist der wohl bedeutendste evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts. Seine eigene Gesinnung als Christ und Theologe forderte ihn zum Beispiel in den 1930er Jahren zum Handeln heraus, als er sich an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Bonn weigerte, die Vorlesungen so wie seine Professorenkollegen mit "Heil Hitler" zu beginnen.

    Und dann habe ich einen Brief geschrieben: Ich kann doch nicht eine Vorlesung über die Bergpredigt halten und vorher den Hitlergruß machen. Das wäre schlechter Geschmack, das geht eben nicht.

    Am 10. Mai 1886 wird Karl Barth als ältestes von fünf Kindern einer Basler Theologenfamilie geboren. 1911 übernimmt er die Pfarrstelle im Schweizerischen Industriedorf Safenwil. Aus Solidarität mit den Arbeitern in seiner Gemeinde tritt er der sozialistischen Partei bei. Die sozialen Gegensätze in der Gesellschaft und den Ersten Weltkrieg empfindet er in seinen Predigten als große Herausforderung. Intensiv studiert er die Bibel, hält dann auch Vorträge vor Pfarrerkollegen und verfasst eine Schrift zum biblischen Römerbrief. Darin heißt es:

    Gotteserkenntnis ist kein Entrinnen in die sichere Höhe reiner Ideen, sondern ein mitleidendes und mitschaffendes und mithoffendes Eintreten auf die Not der jetzigen Welt.

    Seine Gedanken, die er im Laufe seines Lebens immer weiter entwickelt und die später als "Dialektische Theologie" bezeichnet werden, erregen Aufsehen. Auch, weil sie eine Absage an die seit dem 19. Jahrhundert bedeutsame "Liberale Theologie" sind. Obwohl er keinen Doktortitel hat, wird der Schweizer 1921 auf eine neu errichtete Honorarprofessur an die Universität Göttingen berufen.

    Ich war nicht eingerichtet darauf, akademischer Theologe zu werden und Vorlesungen und Seminare zu halten. Es ging aber, die Studenten haben sich gerade interessiert für einen Professor, der sozusagen selber noch Student ist.

    1925 wird Karl Barth Professor in Münster, 1930 in Bonn. Er erhält zahlreiche akademische Ehrungen, sein vierbändiges, unvollendetes Hauptwerk "Kirchliche Dogmatik" ist seit 1922 erschienen. Im Widerstand gegen Hitler wird Barth zum Mitbegründer der evangelischen "Bekennenden Kirche". Von ihm stammt der Text der berühmten "Barmer Erklärung".

    Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete, Führer geben oder geben lassen.

    Als er den Beamteneid auf Hitler verweigert, wird Barth 1935 in den Ruhestand versetzt. Er geht zurück in seine Geburtsstadt Basel und lehrt dort bis zu seiner Emeritierung. Im Ost-West-Konflikt setzt sich der fünffache Familienvater für Verständigung ein. Zur Frage: Soll die Kirche sich aus der konkreten Politik heraushalten? sagt er kurz vor seinem 80. Geburtstag:

    Nein, es gibt Dinge, von denen die Kirche nicht die Hände lassen kann! Man hat uns das auch 1933 /34 zum Vorwurf gemacht, wir mischten uns da in politische Belange ein, man soll das reine Evangelium predigen und nicht da gegen den Nationalsozialismus Stellung nehmen. Und das waren im Grunde immer die Leute, die heimlich oder offen für den Nationalsozialismus waren.

    In seiner letzten Lebensphase geht er eine Freundschaft mit Carl Zuckmayer ein. Der bekannte Schriftsteller schreibt dem Mozart-Liebhaber und Pfeifenraucher Barth:

    Gott sei gedankt, dass er Ihnen in Ihrem hohen Alter noch die 'Freudigkeit' zur kämpferischen Frage und zur Lebensliebe verliehen hat. Möge Ihnen die glühende Pfeife noch lange nicht ausgehen!

    Am 10. Dezember 1968 stirbt Karl Barth 82jährig in Basel. Am Abend zuvor hat er noch an einem Manuskript gearbeitet. Es bricht mitten im Satz ab.