Archiv


Kirsch-Apfel-Ravioli aus dem Labor

Chemie. - Dass Forscher durchaus keine Kostverächter sein müssen, beweisen Forscher des Technologie-Transfer-Zentrums Bremerhaven eindrucksvoll. Denn hier werden für die Chefs der gehobenen Gastronomie neue Gerichte und Küchentricks entwickelt.

Von Frank Grotelüschen |
    Weißer Kittel, vor sich eine Präzisionswaage. Geschickt hantiert sie mit Erlenmeyerkolben und Petrischalen – eine Chemikerin in ihrem Labor. Doch dann macht Claudia Krines einen Schritt zur Seite – und gibt den Blick auf zwei höchst alltägliche Gerätschaften frei.

    "Wir haben jetzt hier vor uns einen normalen, haushaltsüblichen Herd und eine Mikrowelle."

    Krines Arbeitsplatz ist die Laborküche am Technologie-Transfer-Zentrum Bremerhaven. Gemeinsam mit ihren Kollegen entwickelt sie neue Tricks und Kniffe für die Profiköche der Welt.

    "Die Köche sind die Ideengeber. Wir als Wissenschaftler haben zwar die Übersicht über mögliche technische Lösungen. Aber wir können uns nicht ausdenken, was kulinarisch relevant oder erfolgreich sein kann."

    Dann macht sich Claudia Krines an die Arbeit: Als erstes bastelt sie sich eine künstliche Kirsche. Sie dreht den Verschluss einer Flasche auf und gießt einen durchsichtigen Sirup in ein Gefäß, das auf der Präzisionswaage steht. Es ist ein aufgelöster Zucker, gewonnen aus einer Alge.

    "Ich werde mal 50 Gramm ansetzen. So, jetzt kommt der Geschmacksgeber dazu. Ich habe hier einen Apfel-Kirsch-Saft gewählt."

    Krines schüttelt, Saft und Sirup mischen sich, heraus kommt ein roter Apfel-Kirsch-Sirup. Nun langt die Forscherin mit einem Löffel in den Sirup und legt den Inhalt in eine Schale ab, sie enthält eine Kalziumlösung. Im Kalziumbad formt sich der Sirup ganz von selbst zu einer Kapsel mit fester Haut.

    "Sie könnten jetzt falsche Cocktailkirschen herstellen, die innen flüssig gefüllt sind. Den Algenzucker müssen Sie sich vorstellen wie langkettige Schnüre, die leicht verquirlt da liegen. Und kommt dieser Algenzucker mit dem Kalzium in Berührung, dann bilden sich richtig feste Strukturen aus. Das ist das, was Sie als Gelhülle wahrnehmen. Und innen bleibt das Ganze flüssig."

    Zum Beweis schneidet sie die falsche Kirsche auf – der Inhalt zerläuft. Auch für Herzhaftes eignet sich die Technik – etwa für Basilikumkügelchen in der Tomatensuppe. Sie zünden die unter Gourmets so geschätzte Geschmackexplosion. Denn erst im Mund platzen die Kügelchen und geben ihr Inneres frei – eine Aromabombe.

    "Weiteres beliebtes Thema in der Gastronomie sind Schäume, ganz einfach weil sie luftig leicht sind und auch den Geschmack fördern, weil Schaum eine große Oberfläche hat und daher die Geschmack tragenden Moleküle ganz gut an die Zunge kommen können."

    Das Ziel: ein Schaum, der nicht gleich wieder in sich zusammenfällt, sondern der seine Form hält. Krines macht einen Schaum aus Cidre. Sie gießt ihn in ein Glas und fügt zwei Gramm eines Pulvers hinzu, wieder ist es Algenzucker. Er soll später die Gasblasen im Schaum stabilisieren. Der Handmixer verrührt das Gemisch zu einem zähen Kleister. Den Kleister gießt Krines in einen Sahnesiphon, und zielt damit in ein Sektglas. Im Nu füllt sich das Glas mit Cidreschaum.

    "Hier haben wir jetzt einen eher leichten, wässrigen Schaum, der großblasig ist. Wir haben ihn jetzt so stabilisiert, dass das Ganze etwa zehn bis 15 Minuten halten kann. Die wissenschaftliche Erklärung liegt darin, dass man die äußere Phase mit Hilfe des Algenzuckers andickt, stabilisiert und dadurch eine verringerte Entgasung bewirkt. Der Algenzucker hält die Luftblasen fest."

    Dann folgt das Highlight. Claudia Krines hat aus dem Kirsch-Apfel-Algensirup eine Scheibe geformt und mit der Kalziumlösung zu einem festen Häutchen fixiert.

    "Wir haben unser fertiges Kirschhäutchen, geben einige Löffel von dem Cidreschaum dazu und klappen das Ganze zur Ravioli um."

    Kirsch-Apfel-Ravioli gefüllt mit Cidreschaum. Klingt lecker – aber bei der Verkostung bleibt die Geschmacksexplosion aus. Ein Labor ist schließlich kein Sternerestaurant. Und zum Ausprobieren tut’s auch der Billigcidre aus dem Supermarkt.