Freitag, 29. März 2024

Archiv


Klänge aus der eisigen Zelle

"Aus einem Totenhaus" war Leos Janaceks letzte Oper. Die Uraufführung, vor 80 Jahren in Brünn, erlebte der Komponist nicht mehr, er starb 74-jährig knapp zwei Jahre vorher. Die düstere Oper verarbeitet Dostojewskis Erlebnisse in einem Straflager bei Omsk.

Von Georg-Friedrich Kühn | 12.04.2010
    Diese kurzen, kantigen Motive, schroff nebeneinandergesetzt, oft sich spaltend zu impressionistischen Punkten und dann wieder sich neu verdichtend - schon die Einleitung der letzten Oper von Leos Janacek, "Aus einem Totenhaus", im Original "Z mrtvého domu", macht das kompositorische Prinzip sehr deutlich.

    Dem fanfarenartigen Motiv des Beginns wird einige Takte später Kettengerassel beigemischt - und so der Ort des Geschehens musikalisch fixiert. Dazwischen stehen immer wieder lyrische Passagen der Solovioline. Janacek hatte Teile der Introduktion aus einem geplanten Violinkonzert übernommen.

    Zwischen 1927 und 1928 ist "Z mrtvého domu" entstanden. Der Komponist verfertigte das Libretto selber sehr frei nach Dostojewskis "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" als eine Art Protokoll des Schreckens.

    Vier Jahre, von 1850 bis 1954, hatte Dostojewski wegen eines als "kriminelles Schreiben" denunzierten Textes in einem Lager bei Omsk als Kettensträfling verbüßen müssen und dann weitere fünf Jahre als Soldat in Semipalatinsk.

    Hier innen war eine eigene, besondere Welt: ein Totenhaus für lebendig Begrabene, ein Leben wie sonst nirgends auf der Welt und auch Menschen von besonderer Art. Alle Insassen hier waren Träumer.

    … notierte der Dichter in seinen autobiografischen Aufzeichnungen. Und Janacek beantwortet die selbst gestellte Frage, warum er sich in diese "düsteren, eisigen Zellen der Kriminellen" begebe?

    Ihre Verbrechen lassen sich nicht von ihrer Stirn wischen, aber ebenso wird man auch nicht den Funken Gottes auslöschen können.

    "In jeder Kreatur ein Funke Gottes" schrieb er denn auch als Motto über die Partitur. Wahrhaftigkeit war Janaceks Motto für sein Werk und die Lektüre von Dostojewskis Aufzeichnungen aus dem zaristischen Gulag wie ein böses Erwachen. 1896 bei seiner ersten Reise nach Russland hatte der unter der nationalen Beengung durch die Habsburger Monarchie leidende mährische Komponist noch geschwärmt:

    Mir ist so frohgemut: Erwachen, Auferstehung! Ich schüttle die Sklaverei ab, wir fahren los - Russland!

    Jetzt, als er die dunklen Seiten seines geliebten Russlands kennenlernt, notiert er:

    Mir ist, als schritte ich von Stufe zu Stufe hinab, bis auf den Grund der elendesten Menschen aller Menschen. Und das ist ein schweres Schreiten.

    Besonders beeindruckt da die Krankenhausszene des dritten Akts, wenn einer der Gefangenen fiebernd erzählt, wie er im Suff seine Frau erschlug, und ein anderer erkennt: Sie war das Mädchen, um das auch er einst geworben hatte.

    Am 12. April 1930 wurde "Aus einem Totenhaus" in Brünn uraufgeführt, knapp zwei Jahre nach Janaceks Tod. Janacek selbst hatte gezögert, die Partitur zu veröffentlichen.

    Durch die moderne Art der Notation und den düsteren Schluss erschien das Werk als Torso. So fügten zwei Schüler des Komponisten einen Jubel-Freiheits-Chor à la "Fidelio" an. Erst 1958 wurde "Aus einem Totenhaus" in der ursprünglichen Gestalt gezeigt.

    Dabei hat diese Oper auch durchaus heitere Züge. Etwa, wenn die Gefangenen zu den Festtagen - wie Dostojewski es liebevoll beschreibt - Theater spielen durften. Für sie war das, auch wenn es heute zynisch klingt, ein helles Licht im düsteren Zwangskollektivalltag.