Muscheln sind Filtrierer, das heißt, sie sortieren feine Partikel mit Nährstoffen aus dem Wasser heraus. Eine ausgewachsene Muschel, die bis zu 5 Zentimeter groß werden kann, filtriert pro Stunde immerhin einen Liter Wasser. Damit nimmt sie allerdings nicht nur auf, was gut für sie ist, sondern auch alle Schadstoffe. Deshalb werden Muscheln, wie der Umweltminister des Landes Schleswig-Holstein, Klaus Müller, betont, vom Lebensmitteluntersuchungsamt in Neumünster zweimal im Jahr auf Schwermetalle wie Blei, Cadmium oder Pestizide und die Giftstoffe von Algen untersucht:
Zweimal im Jahr bedeutet, dass Ende März und Ende Oktober die Proben gezogen werden. Und wenn wir feststellen, dass einer der Schadstoffe überschritten ist in den Grenzwerten, dann gibt es in dem Gebiet auch keine Ernte, und es kommt nichts auf den Teller.
Das ist Dr. Hermann Kruse, Toxikologe an der Universität Kiel, zu wenig. Er fordert ein flächendeckendes Monitoring - gerade angesichts der Schadstoffe, die nach dem Elbehochwasser in die Nordsee gelangt sein können:
Jetzt werden wir uns natürlich bei neueren Untersuchungen auch neuen Stoffen widmen müssen. Da sind es die Organozinnverbindungen, die als Antifouling gerade an der Küste viel angewandt werden. Es sind z.B. die Flammschutzmittel. Das sind überwiegend Organochlorverbindungen, die wir aber bisher noch nicht auf der Liste hatten, die in den letzten Jahren aber eingedrungen sind in die Nahrungskette, die müssen wir jetzt auch kontrollieren, gerade in der Muschel. Und dann sollte man noch eine weitere Stoffgruppe erwähnen, die besonders toxisch ist, das sind die Nitromoschusduftstoffe, Duftimitate, wenn Sie so wollen, die leider auch die Eigenschaft haben, dass sie schwer abgebaut werden in den Nahrungsketten, so dass sie auch eine Rolle spielen bei den Schadstoffen und auch für den Menschen.
Dioxin wurde bereits im Elbewasser festgestellt, in erhöhter Konzentration. Im Wasser findet eine Verdünnung statt. In der Muschel wird dieser Verdünnungseffekt wieder aufgehoben. Denn sie scheidet das Wasser wieder aus. Was aber zurückbleibt sind die Partikel, an denen sich das Dioxin anheftet. Dieser Schadstoff wird nicht nur in der Muscheln gespeichert. In der Muschel reichert sich das Dioxin an. Denn es gehört zu den Schadstoffen, die vom Stoffwechsel der Muschel nicht abgebaut werden können. Hermann Kruse:
Das ist genau das Problem, dass die Schadstoffe, die in der Muschel angereichert werden, auch die Eigenschaft haben, dass sie sich beim Menschen anreichern. Darüber hinaus haben sie dann aber noch die unangenehme Eigenschaft, dass sie fettlöslich sind. Solche Verbindungen werden zu 95 bis 99 Prozent hineinwandern in unser Depotfett und wird dann in bestimmten Situationen wieder freigesetzt und kann dann zu Schäden führen.
Mit der Wirkung der Schadstofffrachten aus der Elbe auf die Muscheln rechnet der Toxikologe schon in dieser Muschelsaison, die gerade erst begonnen hat und bis etwa März dauert. Langfristig kann die Anreicherung noch größer sein, denn Muscheln werden erst dann geerntet, wenn sie die entsprechende Marktreife und damit das entsprechende Alter haben. Deshalb plädiert Hermann Kruse dafür, nicht nur auf die Grenzwerte für bestimmte Schadstoffe zu schauen. Weil Grenzwerte die möglichen Schadstoffmengen regelrecht ausreizen. Solche Grenzwerte können - so Hermann Kruse - nicht im Sinne des Verbrauchers sein:
Sie sind nach unserem Verständnis zu hoch angesetzt. Wir gehen eigentlich davon aus, wenn wir den Verbraucher beraten, welche Schadstoffmengen er noch gerade aufnehmen kann, dass wir Vorsorgewerte heranziehen. D.h. wir möchten jetzt den Verbraucher vorsorglich vor eventuell eintretenden Schadstoffrisiken schützen. Und wir haben uns Grenzwerte überlegt, die wesentlich niedriger sind. Es sind Grenzwerte, die sind um den Faktor 10 niedriger. Aber wir können dann, wenn diese Werte unterschritten sind, dem Verbraucher auch sagen: Du darfst!