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Klage gegen KiK
Von der Schuld einer Firma im globalisierten Textilgeschäft

Im pakistanischen Karatschi starben 2012 bei einem Fabrik-Brand des Textilzulieferers Ali Enterprises 259 Menschen. Hauptauftraggeber war der deutsche Discounter KiK. Jetzt beginnt in Dortmund der Prozess. Es könnte ein Präzedenzfall über die Textilbranche hinaus werden.

Von Caspar Dohmen und Moritz Küpper | 28.11.2018
    Saeeda Khatoon zeigt ein Foto ihres verstorbenen Sohnes, eines der Brandopfer
    Eine der Klägerinnen, die in Dortmund vor Ort ist: Saeeda Khatoon (dpa/ Bernd Thissen)
    Ein Friedhof in dem Industrieviertel Baldia Town in Karatschi – der größten Industriestadt Pakistans. Krähen kreisen über Grabsteinen.
    Saeeda Khaton steht mit ihrem Mann vor einem Gemeinschaftsgrab. Sie lesen sechs in Tafeln gemeißelte Namen vor. Alle sechs Männer verbrannten am 11. September 2012 in der Textilfabrik "Ali Enterprises". 259 Menschen starben bei dem schwersten Fabrikunfall Pakistans. 120 Opfer sind auf diesem Friedhof begraben – auch der einzige Sohn des Ehepaars.
    Bei solchen Katastrophen ist die Bestürzung groß über menschenunwürdige Zustände in den Fabriken, in denen die Waren für uns Konsumenten im globalen Norden hergestellt werden. Anders als sonst verschwanden die Nachrichten aus Pakistan in diesem Fall aber nicht so schnell aus den Schlagzeilen – denn die Betroffenen, die Angehörigen der Brandopfer, haben sich gewehrt. Sie organisierten sich und wählten vier Vertreter aus ihren Reihen aus, die gegen den Textildiscounter "KiK" im fernen Deutschland klagten. Denn sie machen "KiK" – den wichtigsten Auftraggeber von "Ali Enterprises" – mitverantwortlich für das schreckliche Geschehen. Die vier verlangen jeweils ein Schmerzensgeld von 30.000 Euro.
    Verkohlten Sohn auf der Treppe sofort erkannt
    Vor dreieinhalb Jahren wurde die Klage eingereicht. Am Donnerstag dieser Woche werden nun erstmals Vertreter des beklagten Unternehmens und Kläger vor dem Landgericht Dortmund zusammentreffen. Das Gericht ist zuständig für Bönen, jenen Ort am Rande des Ruhrgebiets, wo die Zentrale des Textildiscounters liegt. Anreisen wollen der Kläger Muhammad Hanif, der mit neun Jahren in der Fabrik anfing und den Brandanschlag nur um Haaresbreite überlebte, und Saeeda Khatoon, die ihren verkohlten Sohn auf der Treppe sofort erkannte, weil er sein Gesicht mit einem Teller geschützt hatte.
    Die beiden älteren Kläger kommen nicht: Muhammad Jabbir und Abdul Azis Khan Yousuf Zai, die beide einen Sohn verloren. Alle vier nutzen aber die Möglichkeit, die ihnen das Zivilrecht gibt. Eva Kocher, die Zivilrecht an der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder lehrt, erklärt:
    "Das Interessante am Zivilrecht ist, dass es gerade die Verletzten selbst berechtigt. Das Völkerrecht funktioniert eben auf der Ebene der Regierungen bzw. zwischen Staaten. Da haben Einzelne, deren Kinder gestorben sind, wie in diesem Fall, eben keine wirklichen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Und über das Zivilrecht können diejenigen, die Menschenrechtsverletzungen erlitten haben, sich selbst Verantwortung zuweisen."
    Ladenzeile von KiK, davor Radfahrer
    Blick auf ein KiK-Geschäft in Deutschland (Imago/ Jochen Tack)
    Ein solches Verfahren findet Kocher überfällig."Bei der KiK-Klage geht es im Grunde darum, eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit von KiK festzustellen. Und das ist auch der richtige Weg – meine ich –, dass man mal feststellt, dass es tatsächlich auch Verantwortlichkeiten in transnationalen Zusammenhängen gibt. Also man müsste mal rechtlich feststellen lassen, dass die Verantwortung für Menschenrechte nicht an nationalen Grenzen endet."
    Fest steht: Mit dem Verfahren wird Neuland betreten. "Zum ersten Mal eine Klage vor deutschen Zivilgerichten gegen eine deutsche Muttergesellschaft für ein Schadensereignis bei einem deutschen Zulieferer. Das ist jetzt hier konkret in der Textil-Branche, aber auch eine Art Präzedenzfall für alle Branchen, wie auch zum Beispiel die Rohstoff-Industrie", sagt auch Leonard Hübner vom Institut für internationales und ausländisches Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg.
    Verfahren nach pakistanischem Recht
    Er forscht zu dem Thema "Unternehmenshaftung für Menschenrechtsverletzungen". Das Verfahren in Dortmund findet nach pakistanischem Recht statt – möglich macht dies eine Rechtsnorm der EU. Zivilprozesse nach ausländischem Recht, etwa Scheidungen oder Vertragsstreitigkeiten, sind vor deutschen Gerichten deshalb keine Ausnahme.
    Eine zentrale Rolle könnte bei der Hauptverhandlung vor der siebten Kammer des Landgerichts Dortmund nun ein Gutachten spielen, welches das Gericht selbst bei einem unabhängigen britischen Rechtsgelehrten bestellt hat. Ken Oliphant kommt darin zu dem Schluss, dass die Ansprüche der Kläger "nach pakistanischen Recht verjährt sind".
    Schließt sich die Kammer um Richter Herbert Beckers dieser Auffassung an, dann könnte das Verfahren schnell vorbei sein. "Ja, das Gutachten sagt ja klar, dass, ich betone: im pakistanischen Recht eine Verjährung vorhanden ist. Von daher gehen wir auch davon aus, dass es gar nicht zu dem Prozess kommt. Ich glaube, von Gewinnen und Verlieren zu reden, ist schwierig. Aber wir glauben, es kommt gar nicht zu dem Prozess aufgrund der Verjährung im pakistanischen Recht", sagt Patrick Zahn.
    Der 42-Jährige ist seit dem Jahr 2016 Vorsitzender der Geschäftsführung bei "KiK", dem fünfgrößte Textilhändler Deutschlands. Der Umsatz der Tengelmann-Tochter betrug im Jahr 2017 rund zwei Milliarden Euro. Zahn sieht sein Unternehmen zu Unrecht auf der Anklagebank und geht fest davon aus, dass der Prozess eingestellt wird:
    "Wir sind uns relativ sicher, dass wir Recht bekommen. Wobei, da muss man auch unterscheiden, es gibt das juristische, das harte Recht, und es gibt natürlich auch ein gefühltes Recht. Ich glaube - oder wir glauben fest daran, dass wir eine Verantwortung haben, der wir auch nachgekommen sind in diesem Fall, dass aber am Ende des Tages sowohl der Staat, in dem wir tätig sind, als auch der Fabrikbesitzer gewisse Pflichten hat und diese auch zu erfüllen hat."
    Streitpunkt Verjährung
    Die Kläger und deren Unterstützer sehen "KiK" in der Verantwortung – und wollen die Hoffnung nicht aufgeben, dass das Gericht sich doch noch mit der Hauptsache beschäftigt. Miriam Saage-Maaß – Juristin bei der Menschenrechtsorganisation "European Center for Constitutional Rights" aus Berlin:
    "Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass es da auch eine andere Auslegung des pakistanischen Rechts gibt, dass die Ansprüche eigentlich nicht verjährt sein sollten."
    Sie verweist auf die langwierigen Verhandlungen zwischen Opfervertretern und dem Unternehmen "KiK". "Aus unserer Sicht ist genau auch dieser Umstand, dass, solange Verhandlungen laufen, eine Verjährungsfrist für eine mögliche Klage unterbrochen wird, eigentlich auch ein Rechtsprinzip, das auch in Pakistan gilt."
    Demonstrantenzug mit Plakaten und Fotos
    Opfer der Brandkatastrophe kämpfen im vergangenen Jahr in Karatschi für ihre Rechte (imago/ PPI Zuma Wire)
    In Fabriken kann es brennen, ein Funke reicht oft schon, und Stoff entzündet sich. Doch viele Opfer könnten noch leben, meint Faisal Siddiqi; der Wirtschaftsanwalt engagiert sich ehrenamtlich für die Opfer. "Das Feuer hätte niemals so viele Menschen getötet."
    "Es gibt diese grundlegenden Sicherheitsmaßnahmen, die wir seit den 1930er Jahren kennen: Man verschließt die Türen nicht von außen, man hat Feuermelder, es gibt Brandschutzübungen. Wenn all dies da gewesen wäre, dann wären möglicherweise 30 oder 40 Leute umgekommen, vielleicht auch 50 Leute. 255 Menschen wären nicht getötet worden."
    Zu diesem Ergebnis kamen auch Kriminalisten des "Institute for Forensic Architecture" in London. Im Auftrag der Klägeranwälte haben sie das Unglück in einer Computersimulation nachgezeichnet.
    KiK-Geschäftsführer Zahn widerspricht Darstellungen
    Im Gebäude waren die drei Stockwerke und der Keller nur durch ein gemeinsames Treppenhaus verbunden. Die Bauvorschriften sehen in Pakistan zwei Treppenaufgänge vor. Die Alarmanlage funktionierte nicht. Ein Zwischengeschoss bestand verbotenerweise aus Holz statt aus brandgeschütztem Beton. Fluchttüren waren verschlossen. Schnell füllten sich bei dem Brand die höheren Stockwerke mit Qualm. Hunderte Arbeiter drängten durch das einzige Treppenhaus nach unten. Sie konnten kaum etwas sehen, weil auch die Beleuchtung ausgefallen war. Das Feuer hatte die Treppen teilweise schon zerstört. Viele Arbeiter erstickten und verbrannten. "KiK"-Geschäftsführer Zahn widerspricht dieser simulierten Darstellung: Diese sei an vielen Stellen unrichtig.
    "Es bleibt erst einmal festzuhalten, dass es sich bei dem Brand um einen Brandanschlag gehandelt hat. Es sitzen in Pakistan neun Angeklagte auf der Anklagebank. Es ist, glaube ich, für jedes Unternehmen und an jedem Ort dieser Welt unmöglich, sich gegen solche heimtückischen Anschläge zu schützen. Wenn Brandsätze oder Brandbeschleuniger an Notausgängen, an Treppen, gelegt werden, dann … Kein Brandschutz dieser Welt helfen, dann so eine Katastrophe zu verhindern."
    Dennoch: Im Kern geht es bei der Klage um die Fragen: Waren die Feuerschutzregeln bei "Ali Enterprises" dermaßen unzureichend? Und wenn ja, trifft "KiK" dann als Auftraggeber der Fabrik eine Mitschuld? Unstrittig ist, dass "KiK" den Zulieferer zu 75 Prozent ausgelastet hat. Deswegen ziehen die Kläger – vereinfacht gesagt – eine Parallele zur Scheinselbständigkeit von Beschäftigten. Sie sehen die beauftragende Firma in einer besonderen Verantwortung, weil sie faktisch über die Bedingungen in der Fabrik mitentschieden habe. "KiK" hat von Anfang an jede Haftungsmöglichkeit abgestritten, so Geschäftsführer Zahn:
    "Wir haben den Standort selber oder von unabhängigen Stellen vier Mal prüfen lassen. Erst kurz vor dem Brand, drei Wochen vor dem Brand ist der Fabrik "SA 8000" attestiert worden, was ein Standard ist, der insbesondere auf die Arbeitssicherheit eingeht, und für uns war und ist in dem Fall nicht mehr zu machen."
    Viermal als "High-Risk" eingestuft
    Dank der Klage kam Licht in Vorgänge, die sonst verborgen geblieben wären. So finden sich in der Klageerwiderung einige Kontrollberichte, die sonst unter Verschluss gehalten werden. Wie angeführt, hatte die US-Firma "Underwriting Laboratories" demnach vier Mal die Fabrik "Ali Enterprises" im Auftrag von "KiK" kontrolliert. Doch nach den Berichten stuften sie die Fabrik jedes Mal als "High-Risk" ein, weil zumindest in einer der Bewertungskategorien auf der vierstufigen Bewertungsskala die schlechtesten Noten erreicht wurden: "übermäßige Überstunden", oder Mängel beim Brandschutz, oder fehlende Schutzausrüstungen.
    Diese Berichte waren Wasser auf die Mühlen der Kläger, die übrigens in Italien auch ein Verfahren gegen die Prüfungsfirma "Rina" anstrengen. Auch deren Prüfer waren wenige Wochen vor dem Brand bei "Ali Enterprises" und hatten grünes Licht für das anspruchsvolle Zertifikat "SA 8000" gegeben. Wie das geschehen konnte, ist bis heute rätselhaft.
    Anfangs dachte in Pakistan niemand an eine Klage gegen "KiK". Warum auch - bemühte sich das Unternehmen doch bereits kurz nach dem Unglück um Hilfen für die Opfer und nahm deswegen Kontakt zu "Piler" auf – einem pakistanischen Institut für Arbeitsangelegenheiten. Noch im Dezember 2012, drei Monate nach dem Brand, überwies "KiK" eine Million Dollar Hilfsgelder – der High Court of Sindh verteilte sie an die Angehörigen, mehr als 3.000 Dollar je Opfer. In den folgenden zwei Jahren verhandelten Vertreter von "Piler" und "KiK" auch über langfristige Entschädigungen. Es zog sich.
    Als im Mai 2016 erneut Verhandlungen begannen, spielten das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Internationale Arbeitsorganisation ILO eine maßgebliche Rolle. Im September 2016 zahlte "KiK" weitere 5,15 Millionen US-Dollar an die Betroffenen. Nach Ansicht der Kläger hat ihre Klage einen erheblichen Anteil daran, dass "KiK" der erneuten Zahlung zustimmte. In Bönen, bei "KiK", war man überrascht, dass auf die erneute Zahlung eine Klage folgte:
    "Also, ich persönlich war eigentlich der Meinung, dass das die Einigung gewesen ist, als ich in Pakistan gewesen bin, vor gut zwei Jahren. Das ist anscheinend nicht der Fall. Unsere Aufträge waren in der Fabrik, und von daher ist es für mich immer die Frage nicht der Schuld gewesen, sondern es war eine Frage der Verantwortung, die wir hier übernommen haben. Ich hätte mir das auch von anderen gewünscht, aber das ist nicht immer alles gerecht im Leben."
    Fabrikanten trifft offenbar keine Schuld
    Auch in Pakistan fanden diverse Gerichtsverfahren statt, die für die Klägerinnen gut ausgingen - etwa um Pensionsansprüche oder verwaltungsrechtliche Ansprüche. Eine spektakuläre Wende nahm dagegen das Verfahren gegen die Eigentümer der Fabrik, die sich ins Ausland abgesetzt hatten. Anders als zu Beginn gehen die Behörden heute nicht mehr davon aus, dass die Fabrikanten eine Schuld trifft. Die Rede ist jetzt von Schuldgelderpressungen und Bandenkriminalität. Für die Kläger vorm Gericht in Dortmund war die Feuerursache jedoch noch nie wesentlich – sondern der mangelhafte Brandschutz.
    Eine solche Klage zu organisieren ist aufwändig und schwierig, gelang in diesem Fall nur dank der Unterstützung mehrerer NGOs.
    "Es ist ein enormer Aufwand. Die Visa-Politik der Europäischen Union enorm im Wege steht, also wir hoffen, dass einer der Überlebenden des Brandes – der Muhammad Hanif – dies Mal einreisen kann."
    Arshad Bhaila vor dem Gericht in Larkana
    Arshad Bhaila, Geschäftsführer von Ali Enterprises, verlässt das Gerichtgebäude (dpa)
    Sagt Menschenrechts-Anwältin Miriam Saage-Maaß. Schon einmal hat er kein Visum für Deutschland erhalten, weil er auf einer Sanktionsliste der EU steht. Angeblich soll er 2012 in Österreich festgenommen worden sein, zu einem Zeitpunkt, wo er nach eigener Aussage in Karatschi seine schwere Rauchvergiftung auskurierte. Bei "KiK" dagegen ist die Wahrnehmung eine andere:
    "Das ist ja schon eine Kampagne, die an uns, zumindest ist das mein Gefühl, an uns abgearbeitet wird. Aus Sicht einer Kampagne kann ich das nachvollziehen, aber mehr auch nicht", so "KiK"-Chef Patrick Zahn. Er sieht naturgemäß das Engagement der NGOs oder Lobby-Gruppen kritisch:
    "Wir haben Millionen von Kunden, bei denen wir eine soziale Funktion erfüllen, die sich wohl bei uns fühlen und die gerne bei uns einkaufen. Dann wundert mich manchmal, dass Gruppen mit drei-, vier-, fünfhundert Mitgliedern als Zivilgesellschaft gelten. Das ist schon eine Fragestellung, der man sich stellen muss: Ist das wirklich immer die Zivilgesellschaft?"
    Bewusstsein schaffen für globalisiertes Wirtschaften
    Heinz-Peter Mansel, Direktor des Instituts für internationales und ausländisches Privatrecht der Universität zu Köln, erkennt darin eine neue Entwicklung:
    "Ich glaube schon, dass es den Organisationen, die die Kläger unterstützen, zum einen um eine Entschädigung der konkreten Kläger geht, zum anderen darum, ein Bewusstsein zu schaffen für die Problematik globalisierten, geteilten Wirtschaftens."
    Während Unglücksfälle früher eher außergerichtlich geklärt worden seien, werde es zukünftig wohl verstärkt Gerichtsverfahren geben: "Die NGOs unterstützen solche Klagen, um eben die Rechtsräume stärker auszuloten."
    Die Parallelen zu den Klagen der Deutschen Umwelthilfe für Dieselfahrverbote in deutschen Städten sind augenfällig. Das Prinzip: Die eher tatenlose Politik soll zum Handeln gezwungen werden. Vor einem Jahr erklärte das Oberlandesgericht Hamm zudem die Klage eines peruanischen Bauern gegen den Energie-Konzern "RWE" für zulässig. Sein Vorwurf: "RWE" sei für den Klimawandel verantwortlich, und sein Grundstück sei durch das Wasser eines tauenden Gletschers in den Anden bedroht. Er forderte daher von dem Konzern, sich an den Kosten für Schutzmaßnahmen an seinem Haus zu beteiligen.
    Es ist die Frage der Zurechnung, die auch den "KiK"-Fall juristisch so interessant mache, sagt auch der Heidelberger Jurist Hübner, denn es geht eben "letztlich auch um die Anerkennung, die gerichtlich und öffentliche Anerkennung von dem Leid, was den Opfern dort widerfahren ist. Die juristische Frage, die dahinter steht, ist natürlich, ob KiK dafür verantwortlich ist. Das kann man moralisch fragen, und das kann man juristisch fragen, aber das muss nicht zwingend in Deckung stehen."
    Franzosen als Vorreiter
    Die Antwort darauf sei schwierig. Nach deutscher Gesetzeslage gebe es dafür bisher keine Anhaltspunkte, so Hübner: "Möglicherweise könnte hier ein Blick ins Ausland helfen: Insbesondere die Franzosen haben sich aus Sicht vieler als Vorreiter hier erwiesen. Denn dort gibt es seit letztem Jahr ein neues Gesetz, das französische Unternehmen verpflichtet, ein Überwachungsplan im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte in ihrer Lieferkette aufzustellen. Halten die Unternehmen diesen also nicht ein und kommt jemand in Folge dessen zu Schaden, so haften sie, vereinfacht gesagt, auf Schadenersatz. Ein solches Gesetz gibt es in Deutschland bisher nicht, es wird aber verstärkt diskutiert im Moment."
    Ständer in einem Warenhaus mit KiK-Kleidung
    KiK ist Anbieter von Billig-Textilien (dpa/ Bernd Thissen)
    "KiK" fordert heute sogar ein Sorgfaltspflichtengesetz für Unternehmen. Der Gesetzgeber solle festlegen, welche Verpflichtungen Unternehmen für ihre Zulieferer haben, sagt "KiK"-Geschäftsführer Zahn:
    "Ja, wir hätten schon sehr begrüßt, wenn mal Klarheit ist für Unternehmen. Ich hoffe nicht, dass es nochmal zu irgendeinem Unglück bei irgendeiner Branche kommen muss, um diese Frage zu klären, sondern dass vorher Lösungen gefunden werden, und da ist Politik gefordert."
    … und zwar über Deutschland hinaus:
    "Die Sorgfaltspflicht muss aber zumindest auf ein europäisches Level gehoben werden, weil es bringt nichts, wenn wir als Deutsche Gesetzgebung haben, die für ein deutsches Unternehmen gilt, die aber nicht, zum Beispiel für ein spanisches, englisches, irisches Unternehmen gilt. Damit hier Wettbewerbsgleichheit für alle gilt."
    Allerdings haben sich große Teile der Wirtschaft bei den Verhandlungen für einen Nationalen Aktionsplan für Unternehmen und Menschenrechte 2016 gegen ein Sorgfaltspflichtengesetz gestellt. Einen Entwurf hatten NGOs und Rechtsexperten erarbeitet. Es blieb bei einer freiwilligen Regelung.
    Große Bedeutung für die Betroffenen
    Im September waren die Unterstützer der Opfer wieder einmal bei den Betroffenen in Pakistan und haben über die anstehende Verhandlung gesprochen.
    "Die Kläger und Klägerinnen wissen, dass ihre Chance schwierig aussehen." Trotzdem bedeutet diese öffentliche Verhandlung unglaublich viel für die Betroffenen.
    Wie sagte Saeeda Khatoon noch, die ganz besonders den Wandel vom passiven Opfer zu einer selbstbewusst auftretenden Person verkörpert, in Karatschi: "Wir haben uns zusammengetan. Der Fall ist international geworden. Solche Unfälle müssen überall auf der Welt verhindert werden. Wir kämpfen für unser Recht, und unser Ziel ist es, dass es nirgendwo mehr solche Brände geben darf."