Krise, Abstieg, Stillstand: Wer mit dieser Überschrift im Kopf zum Berliner Theatertreffen fuhr, wunderte sich dann doch. Das Theater zählt ja ganz unbestritten zu den Krisengewinnern, macht laut und ungeniert mit beim Abgesang auf die Gesellschaft. Eine heitere Himmelfahrt nach der anderen ist in Berlin zu sehen, möchte man kalauern. Doch die Stücke überzeugen nicht, weil sie Krisenbarometer sind, sondern weil sie als intelligente Gefühlsgeneratoren fungieren.
Dieses Theater ist gegenwärtig, emphatisch, selbstmitleidsfrei. Arme kleine Menschlein ohne Aussicht, ohne Zukunft, schicksalhaft geworfen, nicht vom "System", sondern vom Autor und der Dramatikerin. Die Jury fühlt hier sehr deutlich der Zeit den Puls. Kein Trash, kein Kollektiv, keine Experten des Alltags, kein Klassiker, nirgends. Dafür viel neue Dramatik, viel heitere Schwermut und viele kleine Abstürze. Die Helden des Alltags haben das Wort.
Christoph Marthaler, ohnehin Präzeptor eines Theaters der sympathischen Systemausfälle, führt mit seinem "Riesenbutzbach" das musikalische Downgrading bürgerlicher Krisenverlierer vor: "Die Titanic sinkt? Wir singen!", war schon immer sein Motto, weshalb ein paar Trigger-Texte ausreichen, um aus einem Marthaler-Abend einen bankenkritischen Marthaler-Abend zu machen.
Johan Simons zeigt mit Ödön von Horváths "Kasimir und Karoline" die Rückseite der Amüsiergesellschaft und Menschen, die von ihr ausgeschlossen sind. Dass, wenn das Geld fehlt, die Liebe zur Ware wird, ist nur eine der zeitlosen Erkenntnisse des Stücks. Und der Ungar Victor Bodó macht sich selbst zum Gesetz des Handelns in "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten" mit einer Videokamera als Zauberstab für rasante tragikomische Geschichten voller Zufälle. Auch wenn die fantastisch choreografierte Inszenierung oft hektisch aus dem Ruder läuft, Bodós überbordende Fantasie macht aus Peter Handkes stummem Stück eine ganze Stadt der verlorenen Engel.
Die New Yorker Off-Theater-Truppe "Nature Theatre of Oklahoma" hat den Life-Stream zum Theaterkonzept erhoben und die mündlich erzählte Lebensgeschichte eines ihrer Mitglieder zur dreistündigen Musical-Performance verdichtet. Mit allen Ähs, Okays und Anyways.
Eine zackige Choreografie nach Art osteuropäischer Spartakiaden liefert den sportlichen Rahmen für diese Konzeptkunst, die manche unsäglich nervt und viele ziemlich begeistert. Dieses Theater hält auch die durchschnittlichste Herkunft für anschlussfähig an Kultur- und Zeitgeschichte!
Kritik an der Auswahl im Vorfeld bezog sich auf die Massierung gerade internationaler Co-Produktionen beim Festival. Die Theatertreffen-Leiterin Iris Laufenberg sieht darin keine Bedrohung:
"Ich glaube, man muss differenzieren. Ich glaube nicht, dass es einen Festivalzirkus in den Stadttheatern gibt oder es eine Nivellierung gibt, sondern es muss sich auch öffnen für internationale Einflüsse. Und da kann man ruhig auch internationale Künstler einladen und an den Strukturen des Stadttheaters partizipieren lassen. Dass da immer noch so eine Angst ist: kennt das Publikum nicht, versteht es nicht, unbekannte Namen, würde ich sagen: Nö. Das Publikum ist offen für Gegenwartsthemen die brennen und die international reflektiert werden."
Fern jeder Beziehungsromantik angesiedelt ist Dea Lohers Stück "Diebe", das hart und oft auch vergeblich auf der Kante zwischen Banalität und Aberwitz balanciert. Ihre Figuren sind Verlierer, wirtschaftlicher Abgrund und private Abgründe halten sich die Waage. Doch die Inszenierung von Andreas Kriegenburg ist das Leichtgewicht des Theatertreffens, vor allem im Vergleich zu Luk Percevals Adaption des Fallada-Romans "Kleiner Mann was nun?" für die Münchner Kammerspiele. Ein erstklassiges Ensemble, eine sehr deutsche Wirtschaftskrisengeschichte, große Gefühle, großes Theater. Luk Perceval nimmt auch den Kitschverdacht gelassen.
"Wir sind immer als pseudointellektuelle Theaterleute so auf der Suche, ernst genommen zu werden und deshalb nicht kitschig. Und das finde ich so peinlich, denn warum sollen wir nicht auch kitschig sein? Wir singen ständig kitschige Liebeslieder mit. Die ganze Welt ist verkitscht, auch die Politik. Obama finde ich so kitschig. Und auf der Bühne geht es um Mitgefühl und das Vermeiden des Selbstmitleides. Und im Leben sehe ich das Gegenteil: Menschen, die Mut haben, jeden Tag wieder aufzustehen. Das ist überhaupt meine Vorstellung, dass Theater Mut machen sollte zum Leben. Das man etwas schafft, wonach die Leute mit Lust nach Hause gehen und sagen: ich will leben morgen! Morgen fängt es an! – das wäre schön."
Dieses Theater ist gegenwärtig, emphatisch, selbstmitleidsfrei. Arme kleine Menschlein ohne Aussicht, ohne Zukunft, schicksalhaft geworfen, nicht vom "System", sondern vom Autor und der Dramatikerin. Die Jury fühlt hier sehr deutlich der Zeit den Puls. Kein Trash, kein Kollektiv, keine Experten des Alltags, kein Klassiker, nirgends. Dafür viel neue Dramatik, viel heitere Schwermut und viele kleine Abstürze. Die Helden des Alltags haben das Wort.
Christoph Marthaler, ohnehin Präzeptor eines Theaters der sympathischen Systemausfälle, führt mit seinem "Riesenbutzbach" das musikalische Downgrading bürgerlicher Krisenverlierer vor: "Die Titanic sinkt? Wir singen!", war schon immer sein Motto, weshalb ein paar Trigger-Texte ausreichen, um aus einem Marthaler-Abend einen bankenkritischen Marthaler-Abend zu machen.
Johan Simons zeigt mit Ödön von Horváths "Kasimir und Karoline" die Rückseite der Amüsiergesellschaft und Menschen, die von ihr ausgeschlossen sind. Dass, wenn das Geld fehlt, die Liebe zur Ware wird, ist nur eine der zeitlosen Erkenntnisse des Stücks. Und der Ungar Victor Bodó macht sich selbst zum Gesetz des Handelns in "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten" mit einer Videokamera als Zauberstab für rasante tragikomische Geschichten voller Zufälle. Auch wenn die fantastisch choreografierte Inszenierung oft hektisch aus dem Ruder läuft, Bodós überbordende Fantasie macht aus Peter Handkes stummem Stück eine ganze Stadt der verlorenen Engel.
Die New Yorker Off-Theater-Truppe "Nature Theatre of Oklahoma" hat den Life-Stream zum Theaterkonzept erhoben und die mündlich erzählte Lebensgeschichte eines ihrer Mitglieder zur dreistündigen Musical-Performance verdichtet. Mit allen Ähs, Okays und Anyways.
Eine zackige Choreografie nach Art osteuropäischer Spartakiaden liefert den sportlichen Rahmen für diese Konzeptkunst, die manche unsäglich nervt und viele ziemlich begeistert. Dieses Theater hält auch die durchschnittlichste Herkunft für anschlussfähig an Kultur- und Zeitgeschichte!
Kritik an der Auswahl im Vorfeld bezog sich auf die Massierung gerade internationaler Co-Produktionen beim Festival. Die Theatertreffen-Leiterin Iris Laufenberg sieht darin keine Bedrohung:
"Ich glaube, man muss differenzieren. Ich glaube nicht, dass es einen Festivalzirkus in den Stadttheatern gibt oder es eine Nivellierung gibt, sondern es muss sich auch öffnen für internationale Einflüsse. Und da kann man ruhig auch internationale Künstler einladen und an den Strukturen des Stadttheaters partizipieren lassen. Dass da immer noch so eine Angst ist: kennt das Publikum nicht, versteht es nicht, unbekannte Namen, würde ich sagen: Nö. Das Publikum ist offen für Gegenwartsthemen die brennen und die international reflektiert werden."
Fern jeder Beziehungsromantik angesiedelt ist Dea Lohers Stück "Diebe", das hart und oft auch vergeblich auf der Kante zwischen Banalität und Aberwitz balanciert. Ihre Figuren sind Verlierer, wirtschaftlicher Abgrund und private Abgründe halten sich die Waage. Doch die Inszenierung von Andreas Kriegenburg ist das Leichtgewicht des Theatertreffens, vor allem im Vergleich zu Luk Percevals Adaption des Fallada-Romans "Kleiner Mann was nun?" für die Münchner Kammerspiele. Ein erstklassiges Ensemble, eine sehr deutsche Wirtschaftskrisengeschichte, große Gefühle, großes Theater. Luk Perceval nimmt auch den Kitschverdacht gelassen.
"Wir sind immer als pseudointellektuelle Theaterleute so auf der Suche, ernst genommen zu werden und deshalb nicht kitschig. Und das finde ich so peinlich, denn warum sollen wir nicht auch kitschig sein? Wir singen ständig kitschige Liebeslieder mit. Die ganze Welt ist verkitscht, auch die Politik. Obama finde ich so kitschig. Und auf der Bühne geht es um Mitgefühl und das Vermeiden des Selbstmitleides. Und im Leben sehe ich das Gegenteil: Menschen, die Mut haben, jeden Tag wieder aufzustehen. Das ist überhaupt meine Vorstellung, dass Theater Mut machen sollte zum Leben. Das man etwas schafft, wonach die Leute mit Lust nach Hause gehen und sagen: ich will leben morgen! Morgen fängt es an! – das wäre schön."